«ganz knapp»: Andreas Knapps neuer Gedichtband hebt bereits im Titel hervor, was seine spirituelle Lyrik auszeichnet: aufs Wesentliche konzentrierte Sprachverknappung. Eine Anstiftung zu christlich-religiöser Sprachverdichtung, findet Christoph Gellner.
«In einer Zeit, wo viele ihre Sprache für den Sinn des Lebens verlieren und in Kirche und Religionen unerbittlich um Deutungshoheit gerungen wird, bleibt Andreas Knapp ein Sprach- und Gottsucher, der weiss: Wer Gott begreifen will, vergreift sich.» So steht es in der Urkunde zum Herbert-Haag-Preis, der dem katholischen Priester und Poeten im März 2018 in Luzern verliehen wurde.
Der letzte Band mit «Naturgedichten» von 2017 «Beim Anblick eines Grashalms» unternahm eine ökospirituelle Ausweitung seines lyrischen Horizonts. Im Schlussessay «Natürlich suchen wir das Übernatürliche» führt Knapp dafür ein Predigtwort des Franziskaners Berthold von Regensburg (geboren um 1210) an: «Ihr sollt lesen am Himmel und auf der Erde. Das sind eure Bücher. Ihr sollt an der Erde lernen und an den Bäumen und an dem Korne und an den Blumen und an dem Grase.»
Mystagogisch sensible Sprach- und Gottsuche
Der im März 2020 erschienene neue Lyrikband schreibt die im poetischen Schaffen von Andreas Knapp seit Anfang an stark ausgeprägte Linie mystagogisch sensibler Sprach- und Gottsuche fort.
«gebrauchsanweisung fürs gebet» ist sprachlich und inhaltlich ein «typischer Knapp»:
wenn du beten willst
bring dich zum schweigen
keine höhenflüge der gedanken
tiefpflug ins innere erdreich
du brauchst den himmel nicht bestürmen
du rennst offene türen ein
du fürchtest gegen eine wand zu reden
doch die wände haben ohren
schütte dein herz ganz aus
leere wird fülle
«Die Leere bewusst zu wollen, um eine neue Fülle zu gewinnen, abräumen, um frei zu werden für neue, unverstellte Erfahrungen und eine unverbrauchte Sprache: das ist», so Karl-Josef Kuschel in seiner Luzerner Laudatio, «eine der charakteristischen Denkfiguren in den Texten des Andreas Knapp.»
Gefäß für die Sehnsucht nach Größerem
«Stille, in der nichts sein muss, absichtsloses Einfinden in der Gegenwart Gottes, das nicht von den Tages-to-do-Listen überformt ist»: Dazu ermuntern Mirjam Schambeck und Elisabeth Wöhrle in ihrem zeitgleich erschienenen Büchlein «Im Innern barfuß. Auf der Suche nach alltagstauglichem Beten», der einen Seitenblick lohnt. «Wollte man Beten von Grund her beschreiben, könnte man sagen, dass Beten Lauschen ist […] Das Lauschen will nichts und es kehrt immer wieder ins Lauschen zurück. Es sucht nichts, auch Gott nicht, sondern schafft Raum, um gefunden zu werden von Gott.»
Inspiriert durch Gedichte und Texte von (Gott-) Sucherinnen und Suchern – neben Andreas Knapp zitieren sie inspirierende spirituelle Sprechversuche von Wilhelm Bruners, Kurt Marti, Lisa Oesterheld und Andrea Schwarz – betonen Mirjam Schambeck und Elisabeth Wöhrle, wie wichtig es ist, «Texte zu finden, die heute Gefäß für die Sehnsucht der Menschen nach Größerem, nach Gott sind.»
Auch sie unterstreichen die für Andreas Knapp so wichtige Umkehr der Gottsuche des Menschen durch die zuvorkommende Suchbewegung Gottes nach dem Menschen. Wobei Gott uns nicht im Vertrauten sucht, sondern gerade im Ungeborgenen: «das heisst, ihn nicht auf unsere vorgefertigten Schubladen festzulegen, sondern sich von Gott überraschen zu lassen». «Überall können wir von dir sagen: / hier!», zitieren Mirjam Schambeck und Elisabeth Wöhrle aus einem pointierten Gebetstext des kürzlich verstorbenen Dogmatikers Gottfried Bachl: «Niemals können wir sagen: / dort nicht!»
In der Spurweite des Evangeliums
Nach Abbruch einer steilen kirchlichen Karriere lebt Andreas Knapp heute als «Kleiner Bruder des Evangeliums» in einer Plattenbausiedlung am Rande Leipzigs und engagiert sich in der Gefängnis- und Schulseelsorge sowie der Flüchtlingsarbeit. Was seine geistliche Poesie unverwechselbar macht, ja, den jesuanischen Glutkern seiner Theologie & Biografie bildet, leuchtet in zwei neuen Texten auf:
wiedergeburt
schwerer und schmerzlicher
als das gepresstwerden
aus dem mutterschoß
die zweite abnabelung
kein muttersöhnchn mehr
auch nicht papas liebling
neu geboren nach innen
als des göttlichen
geistes kind
und solcher freiheit
kind zu sein heißt
kein kind mehr sein
geht mir nach
schuhgröße unbekannt
er ging barfuß
du musst dich nicht
in fremde stiefel zwängen
in seinen fußstapfen aber
leuchten göttliche spurenelemente
nur wenn du ihn von innen spürst
folgst du wirklich seinen spuren
Andreas Knapp: ganz knapp. Gedichte an der Schwelle zu Gott, Echter: Würzburg 2020.
Mirjam Schambeck/Elisabeth Wöhrle: Im Innern barfuß. Auf der Suche nach alltagstauglichem Beten, Echter: Würzburg 2020.