Eine Sprache, im Heute zu glauben

     

 

Fehlt es an religiöser Erfahrung? Oder bleiben viele Erfahrungen einfach stumm und konsequenzlos, weil sie nicht angemessen und stimmig zur Sprache kommen? Einer der besten Wege, dem abstumpfenden Jargon kirchlicher Binnensprache, dem blossen Weitersagen überlieferter Formeln zu entkommen, ist die Spracharbeit zeitgenössischer Dichtung. Spirituell aufmerksame Autoren wie Andreas Knapp erschliessen neue Zugänge zu heutiger christlicher Lebensdeutung, wie sie uns in der Hektik und Routine des Alltags oft nicht mehr gelingen will. Knapps Gedichtbände zählen für Christoph Gellner zu den sprachlich eindrucksvollsten Beispielen spiritueller Poesie und geistlicher Lyrik unserer Zeit.

 

von gott aus gesehen

ist unser suchen nach gott

vielleicht die weise wie er uns auf der spur bleibt

und unser hunger nach ihm das mittel

mit dem er unser leben nährt

ist unser irrendes pilgern

das zelt in dem gott zu gast ist

und unser warten auf ihn

sein geduldiges anklopfen

ist unsere sehnsucht nach gott

die flamme seiner gegenwart

und unser zweifel der raum

in dem gott an uns glaubt[1]

 

Er ist Priester, Ordensmann und einer der inspirierendsten spirituellen Lyriker im deutschsprachigen Raum. Seit 2005 arbeitet Andreas Knapp (*1958) als Packer am Fliessband und lebt mit vier Mitbrüdern in einer Plattenbausiedlung am Stadtrand von Leipzig, im säkularisierten Osten Deutschlands, fast 90% der Bevölkerung sind religionslos. Einer seiner Mitbrüder arbeitet als Hilfspfleger bei einem Behinderten, ein anderer ist Gefängnisseelsorger. Zudem schreibt Andreas Knapp Gedichte und engagiert sich an zwei Tagen der Woche ehrenamtlich als Schulseelsorger. Seit vielen Jahren bemühe er sich, resümierte Andreas Knapp jüngst in einer Gastvorlesung in Innsbruck , „für meine religiösen Erfahrungen eine Sprache zu finden. Gerade der Kontext in dem ich lebe, fordert mich heraus, über meinen Glauben noch einmal anders nachzudenken und manchmal auch um ihn zu ringen. Wie kann ich in einem Umfeld, das mit dem religiösen Sprachspiel nicht mehr vertraut ist, von meinen religiösen Erfahrungen reden? Worte wie ‚Verheissung, Gnade, Heilig, Huld‘, das sind Fremdworte.“ Gedichte, so setzte Andreas Knapp in Innsbruck hinzu, seien ein tastender Versuch, die Sprachlosigkeit zu überwinden, die grossen und kleinen Wunder des Lebens wieder neu zu entdecken. Dabei ist ihm nur allzu bewusst: „Gott ist keine Vokabel, die das Kreuzworträtsel unseres Lebens löst. Wort mit vier Buchstaben … als Antwort auf alle Fragen.  – Gott ist keine Zauberformel. Sondern ein Wort der Hoffnung, dass das Ungelöste unseres Lebens einen Raum findet.“

 

wo bist du

ich rudere

zu gott

ins uferlose

ich greife

nach gott

ins unfassliche

ich schreie

nach gott

ins unerhörte

ich spähe

nach gott

im aussichtlosen

ich brenne

nach gott

noch im erloschenen[2]

 

In der Biografie von Andreas Knapp gibt es eine einschneidende Zäsur. Zunächst schien alles auf eine glänzende Karriere hinauszulaufen: Nach dem Theologiestudium in Freiburg (Breisgau) und Rom wird er 25-jährig zum Priester ordiniert, auf die Promotion folgen fünf Jahre als Studierendenseelsorger, mit nur 35 Jahren wird er Direktor des Theologenkonvikts Collegium Borromäum, dem Priesterseminar der Erzdiözese. „Ich habe 12 Jahre in der Hochschulseelsorge und Priesterausbildung in Freiburg gearbeitet“, bilanzierte er in Innsbruck. „Wenn ich dann Gottesdienste vorzubereiten hatte, so kam ich oft in Verlegenheit. Denn manche Texte aus dem Messbuch klangen mir fremd und ihre Sprache war nicht mehr die meine und wohl auch nicht mehr die vieler meiner Zeitgenossen.“ Nicht von ungefähr entstanden seine ersten lyrischen Texte noch in diesen Freiburger Jahren. Knapps Fazit? „Wenn für die kirchliche Verkündigung der sprachliche Zug der Zeit abgefahren ist, verstehen die Leute nur noch Bahnhof.“ 2000 vertauscht Andreas Knapp die vielversprechende Laufbahn in die höhere Kirchenhierarchie gegen ein bescheidenes Leben als „Kleiner Bruder des Evangeliums“, die Gemeinschaft der „Kleinen Brüder“ weiss sich dem spirituellen Erbe Charles de Foucaulds (1858-1916) verpflichtet und lebt bewusst am Rand der Gesellschaft. Andreas Knapp verschenkt sein Auto und engagiert sich in sozialen Projekten, er lebt unter den Ärmsten der Armen in Frankreich und betreibt im Hochland von Bolivien einen Joghurt-Betrieb. Kaum zufällig schreiben zwei der mich am stärksten berührenden geistlichen Texte des Arbeiterpriesters und Schriftstellers diesen alles entscheidenden Perspektivenwechsel fort:

 

Kontemplation                         gratuité
Beim Zählen der Sterne oft
lachend immer wieder musste ich
von vorn beginnen kämpfen
völlig
In der Zeitvergessenheit umsonst
der Brandung
Atem schöpfen immer aber
darf ich
Den Zugvögeln leben
einfach nur zuschauen vollkommen
wenn sie weiterziehen umsonst[3]
Den Duft der Rose
ungepflückt
verschweben lassen
Lauschen auf die Stille
nach dem Wort
Nicht mehr fragen müssen
was bringts
Warten ohne Erwartungen
absichtslos bei dir sein
Daran Genüge finden[4]


Die Gedichtbände von Andreas Knapp (die meisten sind im Würzburger Echter-Verlag erschienen, zum grössten Teil in immer wieder neuen Auflagen) „sind eine poetisch-spirituelle Fundgrube, gleichermassen anregend für persönliche Lektüre, Katechese und Predigt“, streicht Georg Langenhorst auf Theologie & Literatur  heraus. „Karge Sprachbilder trifft man hier, die gerade in ihrer Kargheit (‚Knapp-heit‘) überzeugen und strahlen.“

 

Annäherung an die Wirklichkeit

nicht durchblicken

sondern anblicken

nicht im griff haben

vielmehr ergriffen sein

nicht bloss verstehen

auch zu dir stehen

nicht durchschauen

einfach nur anschauen

so werden wir wirklich

wir[5]

 

[1]Andreas Knapp: Höher als der Himmel. Göttliche Gedichte. Echter Verlag: Würzburg 2010, 19.

[2]Andreas Knapp: Höher als der Himmel. Göttliche Gedichte. Echter Verlag: Würzburg 2010, 7.

[3]Andreas Knapp, Gedichte auf Leben und Tod. Echter Verlag: Würzburg 32013, 81.

[4]Andreas Knapp, Weiter als der Horizont. Gedichte über alles hinaus, Echter Verlag: Würzburg 72012, 62.

[5]Andreas Knapp: Weiter als der Horizont. Gedichte über alles hinaus. Echter Verlag: Würzburg 72012, 58.