Academics for Future

     

 

Zur anregenden Lektüre für Tage der Musse sei auch der Band «Schöpfung und Ökologie» empfohlen, herausgegeben von Margit Wasmaier-Sailer und Michael Durst, erschienen im Frühjahr 2023[1].  Im 42. Band der Reihe «Theologische Berichte» haben Professor:innen und Lehrbeauftragte der Theologischen Fakultäten in Luzern und Chur angesichts der Klimakrise Texte verfasst, die den Beitrag der Kirche(n) zu einem nachhaltigen Lebensstil begründen und (neu) ausleuchten. Sie tun dies vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Disziplinen in Auseinandersetzung mit Schrift und Tradition.

 

 

Die Selbstbezeichnung und -verpflichtung, als «Academics for future» zu schreiben und zu arbeiten, entstammt dem letzten Beitrag des Buches. Sie bezieht sich dort auf die politische Brisanz des Themas «religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung (rBNE)»: Der geschützte Raum der akademischen Reflexion könne nur den ersten Schritt bezeichnen. «Im zweiten Schritt zielt rBNE konsequenterweise auf Protest und verändernde Taten. Das ist ganz im Sinne der ‘Academics for future’» (S. 230).

 

Der Alttestamentler Matthias Ederer (S. 21-48) deutet Ezechiels Vision vom Tempelstrom (Ez 47, 1-12) als eine von Gott initiierte grosse «Transformation» mit einer ökologischen und einer sozialen Dimension. In der Auslegung paulinischer Briefliteratur stellt der Neutestamentler Robert Vorholt Gottes Letztverantwortung für seine Schöpfung der menschlichen Selbstüberschätzung und damit auch Selbstüberforderung gegenüber (S.49-75). Aus judaistischer Perspektive betont Simon Erlanger den Aspekt von Gabe und Aufgabe der Schöpfung an den Menschen. Seine Verantwortung gegenüber der Schöpfung nehme der Mensch biblisch gesehen u.a. mit dem Halten des Gebots der Sabbatruhe wahr (S.76-85). In seinem Beitrag «Gott ist (bio)divers. Über die theologische Begründung der Biodiversität nach Thomas von Aquin» präsentiert Giovanni Ventimiglia als wichtigen Strang im Denken des Aquinaten die Deutung der Vielfalt der Geschöpfe als Spiegel göttlicher Güte und Vollkommenheit (S. 86-95).

 

«Let there be light. Zur Performativität der Schöpfung» – Der Artikel der Dogmatikerin Franca Spies steht in Spannung zu den vorher genannten Ansätzen, vor dem Hintergrund dezidiert ökofeministischen Denkens dekonstruiert sie – in Anlehnung an Judith Butler –  das göttliche Schöpfungshandeln in Gen 1,1-2,4a als performativen Akt eines mächtigen Subjekts. Stattdessen denkt sie ein Konzept von Schöpfung als sich wiederholender Prozess, «hier und jetzt». Am Schöpfungsprozess sind so auch nicht-göttliche und nicht-menschliche Akteur:innen beteiligt. (S. 96-121).

Einen neuen Ansatz bietet auch der Beitrag des Fundamentaltheologen Bernhard Fresacher «Die Materie der Schöpfung. Theologische Problemanzeigen». In Anlehnung an das Buch Hiob und an Joh 8,1-11 stellt er die «Erdhaftigkeit» des Menschen in den Vordergrund (Der Mensch ist selbst «Baum des Feldes»). Der Autor identifiziert die sogenannte «afarische» Wende in weisheitlicher Tradition (von hebr. afar: «lockere Ackerkrume», in der Aschermittwochsliturgie der Kirche auch mit «Staub» übersetzt) als den dritten Wendepunkt (nach der ökologischen Wende und der materialistischen Wende) auf dem ideengeschichtlichen Weg hin zu einer wirklichen ökologischen Theologie oder theologischen Ökologie auf Augenhöhe. (S. 122-156).

Mit «Klimagerechtigkeit und Menschenrechte» stellt der Sozialethiker Peter G. Kirchschläger die allgemeinen Menschenrechte als ethischen Referenzrahmen für die Verwirklichung der Klimagerechtigkeit vor. Eine Begründung des Klimaschutzes auf der Basis der Menschenrechte schliesse dabei die nicht-menschliche Welt keineswegs aus. Die transnationale, generationenübergreifende und überzeitliche Geltung der Menschenrechte ist unverzichtbar im Kampf gegen jedwede Diskriminierung. Interessant ist auch die Auseinandersetzung mit der Frage, ob es ein Menschrecht auf eine saubere Umwelt gebe (S. 175-199).

 

Zum Abschluss bieten Christian Cebulj, Christian Höger und Hildegard Scherer Impulse an aus einem interfakultären und interdisziplinären Seminar für eine religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung (rBNE) (S.203-230). Den Ausgangspunkt bildete die Auseinandersetzung mit Untersuchungen zur ökologischen Krise, es folgten die Identifikation von Handlungszielen in Anlehnung an die 17 «Sustainable Development Goals» SDGs der Agenda 20230 aus dem Jahr 2015 sowie die Arbeit mit sozialethischen Schriften zum Nachhaltigkeitsbegriff, zur katholischen Soziallehre und zu motivationalen Faktoren. Für Katrin Bederna formuliere die «Visionsorientierung» als eine besondere Kompetenz des christlich-religiösen Beitrages an Bildung für nachhaltige Entwicklung, da sie pädagogisch die «Auseinandersetzung mit bestimmten Visionen (Schöpfung als Vision von Gerechtigkeit; Reich Gottes) und bestimmten Vorbildern (für die z. B. Suffizienz Gestalt der Nachfolge Jesu ist)» fruchtbar mache und dadurch Gestaltungskompetenz fördere[2].

Aus bibeltheologischer Perspektive erfolgte die Auseinandersetzung mit dem Gestaltungsauftrag und dem vermeintlichen Herrschaftsauftrag. Auch hier wird die Sabbatruhe gemäss der Schöpfungserzählungen als Möglichkeit zu umfassender Regeneration betrachtet.

 

Im Schulkontext der Schweiz werde die Leitidee der Bildung für nachhaltige Entwicklung BNE im «Lehrplan 21» in sieben überfachlichen Themen gefördert: 1. Politik, Demokratie und Menschenrechte, 2. Natürliche Umwelt und Ressourcen, 3. Geschlechter und Gleichstellung, 4. Gesundheut, 5. Globale Entwicklung und Frieden, 6. Kulturelle Identität und interkulturelle Verständigung, 7. Wirtschaft und Konsum. Diese Auswahl basiere einerseits auf bestehenden Bildungskonzepten und folge anderseits den Schlüsselthemen der UNO-Dekade «Bildung für Nachhaltige Entwicklung 2005-2014» sowie neueren Konzepten. Mit der überfachlichen Neuausrichtung soll gleichzeitig das vernetzte Denken gefördert der Kinder und Jugendlichen werden. Bei der Umsetzung der überfachlichen Themen kommt dem Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft ERG besondere Bedeutung zu.

Im Hinblick auf die Verankerung von (r)BNE bei Kindern und Jugendlichen kann der (konfessionelle) Religionsunterricht mit seiner «Visionsorientierung» ergänzend und weiterführend dazu beitragen, die Orientierung an einer erwünschten, hoffnungsvollen und lebenswerten Zukunft in didaktische Lernschritte für nachhaltiges Lernen umzusetzen. In der Beschäftigung mit biblischen Geschichten und deren visionären Potential, in der Auseinandersetzung mit Schöpfungstheologie, Umwelt- und Sozialethik sollte «Nachhaltigkeit» als Handlungsprinzip die logische Konsequenz sein. Anschliessend an schon länger existierende Konzepte unter den Leitbegriffen «Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung» identifizieren die Autor:innen «Bildung für nachhaltige Entwicklung» als genuines Bildungsziel christlicher Religion.

Dorothee Foitzik

 

[1] Margit Wasmaier-Sailer / Michael Durst (Hg.) Schöpfung und Ökologie, Freiburg im Breisgau (Herder) 2023

[2] Katrin Bederna: Didaktik religiöser Bildung für nachhaltige Entwicklung, in: Ulrich Kropac / Ulrich Riegel (Hg.): Handbuch Religionsdidaktik (Kohlhammer-Studienbücher Theologie 25), Stuttgart 202, 325, zitiert S. 214)