Vom Wert des Theologietreibens

     

Während ich diesen Beitrag schreibe, tagt in Davos das jährliche Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum WEF). Es führt alljährlich Wortführer, Mächtige und steinreiche Unternehmer zusammen, um über wirtschaftliche Entwicklungen ungezwungen zu diskutieren und neue Allianzen zu schmieden. Natürlich kommen da auch immer wieder Fragen nach Gerechtigkeit, nach Frieden und Armutsbekämpfung offiziell aufs Tapet. Aber selbstredend sehen die Einschätzungen und Ergebnisse aus dem Blickwinkel der Mächtigen und Reichen anders aus als aus demjenigen der von Armut, Krieg und Ausbeutung Betroffenen, die weder eingeladen sind noch sich – wären sie es – eine Teilnahme leisten können. Zudem ist auf dem WEF weit wichtiger, was am Rande und inoffiziell geschieht. Und da stehen die Vernetzung und das Vertreten der eigenen Interessen im Dienste einer möglichst gewinnbringenden Teilhabe an den globalisierten Märkten allemal im Vordergrund.

Warum gibt es eigentlich kein Welttheologieforum und keinen Klaus Schwab der Theologie? Die Frage ist spannend, aber ich fürchte, sie ist leider auch relativ leicht zu beantworten. Diejenigen nämlich, die hier angesprochen wären und unbedingt eingeladen werden müssten, hätten weitgehend nicht einmal die Mittel, um den halben Globus zu reisen und ihren Aufenthalt in einem fernen Land zu berappen.

Aber die Idee eines – sagen wir der Einfachheit halber: christlichen – Welttheologieforums (WTF) bleibt interessant. Spinnen wir sie doch einen Moment lang weiter, und beginnen wir mit der Frage: Wer müsste denn unbedingt dazu eingeladen werden? Ein Blick in die Bibel ist dafür unerlässlich. Er zeigt, nicht nur – und nicht einmal in erster Linie – die professionellen Theologen wären einzuladen. In der Bibel wimmelt es nur so von Geknechteten, Ausgeschlossenen, Ausgebeuteten, von kleinen Leuten, die keine Stimme haben auf den Foren der Mächtigen. Sie scheinen die besonderen Lieblinge der biblischen Verfasser, der Propheten, des Paulus, der Evangelisten zu sein, ja die besonderen Lieblinge Jesu und des biblischen Gottes überhaupt. Wenn wir die Bibel ernst nehmen, dann gälte es, zu unserem WTF unbedingt und in erster Linie all die kleinen Leute einzuladen aus den verschiedenen Regionen der Welt. Sie müssten im Welttheologieforum eine kräftige Stimme erhalten. Und mir will scheinen, mit einer solchen Zusammensetzung wären die Themen des WTF bereits gesetzt. Die Stichworte wären vielleicht gar nicht so verschieden von denen, die sporadisch auch am WEF zur Sprache kommen. Aber ich gehe jede Wette ein, sie würden komplett anders behandelt und beantwortet. Wir bekämen erschütternde Zeugnisse zu hören zu Fragen der Ausbeutung, der Kinderarbeit, der ungerechten Verteilung der Ressourcen und Güter, des verbreiteten Hungertodes, der Kriegsverheerungen und der Waffengeschäfte, der Folgen der Luftbelastung und Wasserknappheit etc. Und wir müssten neu lernen, was es heisst, in einer solchen Welt christliche Werte ernsthaft zu vertreten. Wir müssten lernen von der Spiritualität des Durchhaltens und des Kämpfens in oft aussichtsloser Lage, einer Spiritualität, die sich nährt vom Vertrauen in einen Gott, der Partei ergreift für die Schwachen, Armen und Ausgestossenen. Solidarität, Gerechtigkeit, Frieden, Ökologie und Nachhaltigkeit, Menschenrechte, Freiheit und Befreiung, Geschlechtergerechtigkeit und Kinderrechte wären am WTF nicht mehr nur Schlagworte, die gezielt und öffentlichkeitswirksam als Feigenblatt die eigenen Interessen kaschieren helfen sollen, sondern erhielten in den Reden der Betroffenen eine Echtheit und eine Dringlichkeit, die eine göttliche Dimension und eine göttliches Mitwirken erahnen liessen.

Die Theologie, die am WTF betrieben würde, würde also wahrscheinlich ähnliche Themen aufgreifen wie das WEF, aber diese völlig anders behandeln und aus komplett anderer Perspektive beleuchten. Der Unterschied kann vielleicht daran festgemacht werden, dass menschlich-allzumenschliche Massstäbe und Strebungen das WEF bestimmen, während das WTF die göttlichen Massstäbe der Bibel stark machen würde. Das führte zu ganz anderen Optionen und Lösungsvorschlägen.

Umgekehrt müsste sich das Welttheologieforum aller Voraussicht nach mit deutlich weniger Publikumswirksamkeit begnügen als das Weltwirtschaftsforum. Weniger klingend wären die Namen der Redner und Rednerinnen, und noch weniger gern gehört wäre deren Botschaft. Aber viel wichtiger, weil buchstäblich not-wendend, wäre der Anlass allemal.

Das ist holzschnittartig, ich weiss. Aber in Zeiten wie diesen, in denen populistische Sprüche Erfolge bringen und einfache Welterklärungsmodelle Karriere machen bis hinein in die höchsten politischen Ämter, in diesen Zeiten muss auch einmal Klartext geredet werden dürfen. Und in diesen Zeiten tut die Besinnung auf andere Werte not. Die Theologie hat solche zu bieten. Deshalb lohnt sich jede Stunde, die man ihr widmet.