Verwandlung beobachten und gestalten

     

Einblicke in die neue Online-Zeitschrift «transformatio;»

Vorhang auf für die neue theologische Online-Zeitschrift «transformatio;», die belebende und innovative Impulse für die Theologie setzen will. Transformatio – «Verwandlung» ist ihr Programm: sie begreift die Bibel und die Liturgie als Sinnressourcen und Orientierungshilfen bei kirchlichen Transformationsprozessen. Michael Hartlieb sprach mit Mitherausgeberin Prof. Dr. Birgit Jeggle-Merz.

 

Wissenschaftliche Fachzeitschriften sind in der Öffentlichkeit meist nicht bekannt, erfüllen aber wichtige Aufgaben: In ihnen werden Forschungsergebnisse publiziert, in ihnen spiegelt sich die Bandbreite der aktuellen Themen eines Wissenschaftsbereiches wieder, nicht zuletzt sind sie die Foren laufender Debatten und Grundlage vieler Forschungsnetzwerke. Der Spruch «publish or perish» (=veröffentliche oder gehe unter) macht zudem deutlich, dass Wissenschaftler:innen heute auf Publikationen in Fachzeitschriften angewiesen sind, um von anderen wahr- und ernstgenommen zu werden. Vorbei die Zeiten, wo allein Dissertation und Habilitation genügten, um veritable Posten in der Wissenschaft oder gar eine Professur zu ergattern: wohlgefüllte Publikationslisten, am Besten mit Beitragen, die im sogenannten «Peer-Review» von anonymen Gutachern als sinnvolle Beiträge zum jeweiligen Forschungsfeld bewertet wurden, sind heute der Goldstandard in der Wissenschaftswelt.

Während in der Vergangenheit der Bezug von Fachzeitschriften eine teure Angelegenheit war, gewinnt seit Jahren der «Open-Access» immer mehr Anhänger:innen. Das Wissen einer Zeit transparent zu erschliessen und für alle – also auch die Interessierten ausserhalb der Hochschulen – zugänglich zu machen, das ist ein Traum, den zu träumen nicht zuletzt die Digitalisierungsschübe der vergangenen Jahrzehnte erlaubt haben.

Vorhang auf also für die neue theologische Online-Zeitschrift «transformatio;», die sich am Schnittpunkt aller genannten Entwicklungen befindet und damit belebende und innovative Impulse für die Theologie setzen will. Transformatio – «Verwandlung» ist dabei ihr Programm: sie begreift die Bibel und die Liturgie als Sinnressourcen und Orientierungshilfen bei kirchlichen Transformationsprozessen. Und sie beobachtet gleichermassen mit offenem Blick die «gegenwärtigen spirituellen Suchbewegungen, die Umbrüche religiöser Praxen, den Gestaltwandel kirchlichen Lebens, die Chancen interreligiöser Kontakte» und nicht zuletzt all die Kontexte, in den sich Christliches in der Welt der Gegenwart zeigt oder deuten lässt. Dies alles ist frei zugänglich und in voller Länge abrufbar, bei zwei Themenheften pro Jahr.

Wie ist es zu diesem besonderen Themenzuschnitt von «transformatio;» gekommen, der in der Welt der Theologie eine echte Innovation darstellt? Welche Impulse erhoffen sich die Heftmacher:innen für die theologische Bildung unserer Zeit? Welche neuen Horizonte eröffnen sich dadurch ? Diesen und weiteren Fragen stellt sich Prof. Dr. Birgit Jeggle-Merz, eine der Herausgeberinnen von transformatio;

 

Transformation – Verwandlung – ist aktuell ein richtiges «Buzz-Word». Wir diskutieren in der Öffentlichkeit über die Transformation zu Post-Wachstums-Gesellschaften, wir hoffen auf die Transformation des Gesundheitswesens oder auf die Transformation der autoorientierten Städte hin zu Oasen differenzierter Mobilitätskonzepte … Das Wort wird heute augenscheinlich vor allem in einem stark technischen oder wirtschaftlichen Umfeld verwendet. Was macht es Deiner Ansicht nach zu einem perfekten Titel für eine theologische Zeitschrift?

Vom ersten Moment unseres Projekts an war klar: Wir wollten Bibel, Liturgie und Kultur miteinander ins Gespräch bringen. Zunächst lag diese Intention auch einfach nahe, da die einen von uns ihr wissenschaftliches Herz in den Bibelwissenschaften gefunden haben und die anderen für die Feier des Glaubens entbrannt sind. So hätten unsere Überlegungen für die Installierung einer neuen Zeitschrift auch in einem speziellen bibelwissenschaftlichen oder liturgiewissenschaftlichen Organ münden können, das fragt, wie die Bibel in der Liturgie vorkommt oder wie die Liturgie mit der Bibel umgeht.

Aber unser Bestreben ging in eine ganz andere Richtung. Wir fragten uns, was Bibel und Liturgie eigentlich gemeinsam haben, was die Grunddimension ist, die auf beide zutrifft. Und da liegt der Begriff «Wandlung» tatsächlich ganz nahe. Eine Katholikin, ein Katholik wird bei diesem Begriff vermutlich als erstes an die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi bei der Eucharistiefeier denken. Dabei wird leicht übersehen, dass die ganze Liturgie und sogar jede Form von Liturgie ein Wandlungsgeschehen ist. Immer geht es darum, alle die mitfeiern mit dem Erlösungsgeschehen in Jesus Christus in Berührung zu bringen und sie dadurch immer mehr und immer wieder neu zu dem werden zu lassen, was sie in der Taufe geworden sind. Liturgie ist nicht einfach ein Kult, der einer fernen Gottheit dargebracht wird, um diesen Gott gnädig zu stimmen. Liturgie im christlichen Verständnis ist Begegnung zwischen Gott und Mensch.

Auch die Bibel ist nicht einfach ein Buch mit Geschichten und Texten, die von Gott handeln. Nach ihrem Selbstverständnis ist die Heilige Schrift ein Gesprächsangebot Gottes. Der Gott der Bibel gibt darin von sich Kunde, er zielt auf eine Begegnung mit dem und der Hörenden oder Lesenden. «Die göttlichen Worte wachsen, indem sie gelesen werden …», sagte schon Gregor der Grosse im 6. Jahrhundert. Für ihn ist die Bibel kein abgeschlossenes Wort mit einer wichtigen Botschaft, sondern er sieht ein geistig-geistliches Wachstum des Wortes zusammen mit dem oder der, der und die die Schrift liest (oder aus der Schrift hört). Die Begegnung zwischen Gott und Mensch im Wort der Schrift ist auf Wandlung, auf Transformation ausgerichtet, denn sie intendiert die Wandlung der Hörenden in das proklamierte Geschehen.

So mag der Titel unserer Zeitschrift «transformatio;» auf den ersten Blick einen Begriff aufnehmen, der in der Gegenwart häufig verwendet wird. Aber Wandlung, Transformation ist Kern der christlichen Botschaft und ebenso ein Grundzug des Lebens und der Kultur, sowie auch Schlüsselaufgabe von Politik und Gesellschaft. Was liegt da näher, auch unsere Zeitschrift so zu überschreiben?

 

Transformation – verstanden als grundlegender Wandel – ist sicher etwas, das sich viele Menschen von ihrer Kirche wünschen. Will der Zeitschriftentitel in diesem Sinne eine klare politische «Agenda» besetzen, oder ist der inhaltliche Rahmen durch die Redaktion und das Selbstverständnis weitestmöglich offengehalten?

Wenn von Wandlung die Rede ist, dann ist damit auch Veränderung und Wachstum verbunden. Die Gemeinschaft der Christ:innen versteht sich seit jeher als Kirche auf dem Weg der nie untergehenden Sonne entgegen. Würde sich Kirche nicht mehr weiterentwickeln, würde sie nicht immer mehr versuchen, das zu werden, was das Evangelium ihr aufgibt, würde sie ihre ureigenste Aufgabe verfehlen. Insofern ist Kirche immer auch politisch, im besten Sinn des Evangeliums.

 

Transformatio; hat eine starke Verankerung an der Theologischen Hochschule Chur, sie wird auch gefördert von der «Stiftung Freunde der TH Chur». Wie ist es dazu gekommen?

Jede Zeitschrift braucht auch eine «Heimat», die sie dort findet, wo die Redaktion – oder in unserem Fall ein Teil der Redaktion – ist. Da mit Hildegard Scherer und mir zwei Redaktionsmitglieder an der Theologischen Hochschule Chur lehren, lag die Verbindung zur Hochschule nahe. Die Freunde der TH Chur haben unser Unternehmen grosszügig unterstützt, als wir eine Startsumme brauchten, um ein Graphikbüro mit der Gestaltung der Online-Zeitschrift beauftragen zu können. Für diese Unterstützung sind wir sehr dankbar, denn ohne sie hätten wir nicht einen so ästhetisch schönen Auftritt realisieren können.

 

Transformatio; hat sich zur Aufgabe gesetzt, interdisziplinär zu arbeiten, verschiedene Forschungsbereiche miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Theologie mit ihren unterschiedlichen Fächern spielt eine wichtige Rolle, ebenso die Kulturwissenschaften, die Literatur, auch die Naturwissenschaften. Was erhoffst Du Dir von diesem Zugang an Impulsen für Theologie und Kirche?

Theologie würde verarmen, wenn sie sich nicht im Austausch mit der Gesellschaft, mit anderen Wissenschaften, mit Kunst und Kultur befände. Sie stünde unter der Gefahr, nur um sich selbst zu kreisen und die Gegenwart sowie die Menschen mit ihren Herausforderungen, Wünschen und Nöten zu übersehen.

 

Transformatio; ist eine online-Zeitung und hat gleichzeitig eine klar wissenschaftliche Ausrichtung. Im deutschen Sprachraum ist das kein Alleinstellungsmerkmal, aber viele vergleichbare Angebote gibt es nicht. Wo würdest Du transformatio; gerne in fünf Jahren sehen? Welche Aufgabe hat sie in der theologischen Welt der Zukunft?

In der Theologie haben wissenschaftliche Zeitschriften eine wichtige Funktion. In ihnen spiegeln sich theologische Debatten und Auseinandersetzungen über brennende Fragen der Zeit. Solange diese Debatten sich aber allein in gedruckten Exemplaren niederschlagen, die vor allem über Bibliotheken zugänglich sind, ist der Radius, in dem sie potentielle Leser:innen erreichen, auf ein direkt an diesen Themen interessiertes Publikum beschränkt. Im Internet jedoch kann jeder und jeder darauf stossen, der oder die vielleicht auch ganz zufällig auf einen Beitrag stösst. Wir erhoffen uns eine breite Rezeption, auch bei Menschen, die nie eine theologische Zeitschrift in die Hand nehmen würden. Ich würde mich freuen, wenn in fünf Jahren das nächste Heft von transformatio; von einigen Leser:innen sehnsüchtig erwartet wird, von anderen wegen seiner Prägnanz nicht übergangen werden kann und auch von den gängigen Suchmaschinen ganz vorne platziert wird, so dass es im World Wide Web gefunden werden kann.

 

Würdest Du Dir wünschen, dass theologische Zeitschriften generell im Open-Access verfügbar sein sollten? Welche Chancen siehst Du, welche Nachteile?

Die Zukunft der theologischen Zeitschriften liegt vermutlich tatsächlich im Open-Access. Für andere Wissenschaftszweige ist das schon längst selbstverständlich, Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Debatten online zugänglich zu machen. Die Theologie hinkt hier der Entwicklung nach. Die grosse Chance jeder Online-Veröffentlichung liegt darin, dass sie leicht gefunden und damit auch rezipiert werden kann.

Was gibt es für Nachteile? Alle Wissenschaftler:innen, die mit schriftlichen Quellen umgehen, lieben Bücher. Es gibt nichts Schöneres, als in einem Buch, in einer Zeitschrift zu blättern. Schon der Geruch in Bibliotheken kann glücklich machen. Das kann eine Online-Zeitschrift nicht bieten.

 

Das erste Heft ist im April erschienen, das war für die ganze Redaktion ein erfreulicher Moment. Welche Reaktionen hast Du seitdem erhalten?

Die Reaktionen waren bislang durchweg positiv. Viele waren überrascht, dass wir so ein Unternehmen aufziehen, wo andere Zeitschriften mangels Abonnenten eingestellt werden. Andere wundern sich über unseren Mut, so viel Kraft und Zeit aufzuwenden, wo es doch bei einer kostenfreien Zeitschrift nichts zu verdienen gibt. Besonders gefällt der bisherigen Leser:innenschaft das Design. So würden auch wissenschaftlich komplexe Beiträge leichter lesbar, so wurde uns rückgemeldet.

Liebe Birgit, vielen Dank für Deine ausführlichen Antworten und den Einblick in den «Maschinenraum» heutiger theologischer Forschung und Veröffentlichungspraxis! Und natürlich: Viel Erfolg und Freude bei der Arbeit an allen künftigen Ausgaben von transformatio;

 

Hier geht es zur Website von transformatio; auf der die aktuelle Ausgabe «Liturgie und Körper» bezogen werden kann:

https://transformatio-journal.org/ojs/index.php/trans/index