Spiritualität

     

Gleich eingangs seines in der Reihe „Ignatianische Impulse“ erschienenen Texts betont Bernhard Waldmüller, „dass das wichtigste ‚Führungsinstrument‘ immer die eigene Person ist. Führung beginnt mit Selbstführung.“ Waldmüllers Fokus liegt auf „Haltungen“, um Herausforderungen des Führens anzugehen: Achtsamkeit, innere Freiheit („Indifferenz“, wichtig insbesondere in Konflikten und Veränderungsprozessen) sowie Entschiedenheit.

 

Leitung, Management und Spiritualität

„Die ‚zehn Tools, mit denen ich morgen effizient führe‘, und die ‚fünf Schritte zur Gelassenheit‘ gibt es meiner Ansicht nach nicht, auch wenn sie tausendfach versprochen werden“, betont Bernhard Waldmüller. „Das heisst natürlich nicht, dass ich die Methoden und Werkzeuge des Managements nicht zu erlernen oder zu beherrschen habe: Spiritualität kann nicht eine gute Planung, die sorgfältige Moderation einer Sitzung, die Beherrschung der Feedback-Regeln, die Regeln des Change- oder Projektmanagements usw. ersetzen; ein Irrtum, den ich oft in kirchlichen Kreisen anzutreffen meine. Und ebenso wenig das Fachwissen in meinem Arbeitsbereich.“

Zugleich ist Waldmüller überzeugt, „dass die Beherrschung vieler verschiedener Management-Tools nicht genügt“. An diesem Punkt kommt die spirituelle Dimension ins Spiel: „Ich kann kein ‚wertschätzendes‘ Feedback geben, wenn ich nicht auch die Wertschätzung geübt habe; ich kann mit dem emotionalen Widerstand, der zu jedem Change-Projekt gehört, nicht konstruktiv umgehen, wenn ich nicht auch die eigenen Emotionen mit innerer Freiheit betrachten kann; ich kann mich auf die zündende Idee meines Mitarbeiters, der mir etwas vorschlägt, was meinen Erfahrungen zuwiderläuft, nicht einlassen, wenn ich nicht eine innere Freiheit eingeübt habe …“

 

10 Minuten, die einen Unterschied machen

Inspiriert vom Geist der ignatianischen Exerzitien empfiehlt Waldmüller das „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ als „spirituellen Lern- und Übungsweg, in dem ich nach dieser Achtsamkeit suche. Wie zu jedem Üben gehören dazu auch Fehler, aus denen man lernen kann, und auch hier macht erst Übung den Meister.“

Als einfache Übung fasst das „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ den täglichen Blick auf das eigene Leben in eine einfache Struktur. Wichtig ist, sich einen Raum zu schaffen, zeitlich und örtlich und im eigenen Erleben; die Betrachtung beginnt mit der Wahrnehmung des Körpers in einer Haltung, in der ich zehn Minuten ruhig sitzen kann: in (Gottes) liebender Gegenwart da sein, verweilen, um meine Realität zu betrachten.

Emotionen zählen in der Managementlehre zu den „Schmuddelkindern“: ‚richtige‘ Führungspersonen handeln nach vorherrschender Meinung ‚rational‘. Dagegen betont Waldmüller, wie wichtig es ist, sich in seiner Emotionalität wertzuschätzen, „gerade dort, wo ich Seiten an mir begegne, die ich eigentlich nicht akzeptieren kann oder will“.

Schwierige Gefühle und schwierige Situationen, ‚innere Antreiber‘ und Grenzen verdienen liebevolle Achtsamkeit, auch Freude über Gelungenes will mit Wertschätzung bejaht werden – in all dem übe ich, ja zu mir zu sagen im Vertrauen, von einem unbedingten Ja getragen zu sein.

 

Bewusstes Unterbrechen und Verlangsamen

„Eine solche wertschätzender Achtsamkeit mir selbst gegenüber ist die Basis echter Selbstführung und damit auch eines ebenso respektvollen wie effizienten Führungsverhaltens.“ Die bleibende Spannung zwischen Management und Spiritualität könne für das konkrete Führungshandeln durchaus fruchtbar sein, streicht Waldmüller heraus: Sie verweist immer wieder auf die Werte, an denen ich mich ausrichten will. Zugleich lässt sie mich die Nicht-Steuerbarkeit komplexer Systeme erfahren und aushalten – gerade so eröffnet sich ein Freiraum für persönliche Entwicklung.

Dem im Blick auf die Leitung von Sitzungen, auf Personalführung, Konflikte und Change-Prozesse erfrischend konkret geschriebenen Büchlein spürt man an, dass der als Exerzitienbegleiter erfahrene Autor in diversen Führungsfunktionen (Gemeinde-, Dekanats- und Pastoralraum- sowie Pfarreileitung im Bistum Basel) tätig war und ist.

Nachvollziehbar Waldmüllers pointiertes Resümee, „dass das Gute immer einfach ist. Es ist gerade eine Kernkompetenz von Führung, die Komplexität von Situationen auf wenige einfache Prinzipien zu reduzieren, weil nur so Handlungsfähigkeit hergestellt werden kann. Das gilt auch für die Haltung einer liebenden Aufmerksamkeit: Die Übung und die Haltung der Unterbrechung sind in sich höchst einfach, aber wo treu befolgt, lösen sie eine Dynamik der Veränderung, der Wandlung aus.“

 

Der persönlichen Spiritualität auf der Spur

Peter Wild und Andrea Küthe Albrecht haben gemeinsam ein Buch über die Vielfalt geschrieben, die das Wesen der Spiritualität ausmacht, sie wollen die Lesenden ausdrücklich ermutigen, „ihren ganz eigenen persönlichen Weg zu entdecken und zu gehen“. Dazu will der lebendige Austausch der beiden Autoren anregen: neben eigenständig verfassten Kapiteln, in denen sie ihren je eigenen spirituellen Weg ausloten, worüber sie in verschiedenen kurzen Mailwechseln („Liebe Andrea“, „Lieber Peter“) reflektieren, leiten die beiden erfahrenen Kursleitenden zu praktischen Übungen an.

Biografisches spielt eine nicht geringe Rolle: Peter Wild trat 1967 ins Benediktinerkloster Einsiedeln ein (und 1994 wieder aus), nach dem Studium von Theologie, Germanistik und Religionswissenschaft war er Gymnasiallehrer an der Stiftsschule. Die Meditation lernte er als Mönch in der Form der Kontemplation, später absolvierte er in Asien Yoga- und Zen-Schulungen und vertiefte sich in der Advaita-Mystik, darüber hinaus tauchte er in die Welt der Sufis ein. Im Christlichen wurde ihm vor allem Meister Eckhart wichtig, weil dieser Lese- und Lebemeister dem leistungsbezogenen religiösen Eifer eine Gottverbundenheit gegenüberstellt, die unverdient und unverdienbar grundgelegt ist.

Für die promovierte Biologin Andrea Kühte wurden als Mutter Schwangerschaft und Geburt zu prägenden spirituellen Erfahrungen; die Ernährungstherapeutin, Meditationslehrerin und Gründerin der FREYA Heilpflanzenschule schreibt über den befreienden Holunder und andere Baumgeschichten, über ein Leben mit den Naturrhythmen, über Pflanzenschwingungen und Engelenergien.

„Spiritualität – das hat nur selten mit grossen Entwürfen und gewichtigen Veränderungen zu tun“, betont Peter Wild. Es sind vielmehr die kleinen Übersetzungsversuche innerer Erfahrungen und Veränderungen in den konkreten Alltag, unterstützt von verschiedenen Achtsamkeitstrainings.

 

Hundertfach und einzig

„Wenn wir in unserem Buch die Vielfalt der spirituellen Wege betonen, hat das auch Auswirkungen auf das Gottesbild. Gott selbst wird dann vielfältig“, resümiert Peter Wild und verweist auf die 99 schönsten Namen Gottes im Islam, „Bezeichnungen für Gott, die sich im Koran selber und in den mündlichen Traditionen finden, die auf den Propheten Mohammed zurückgehen. Zum anderen kennen sie den hundertsten Namen Gottes, ein geheimer Name, ein Name, den wir nur für uns selbst entdecken können, die geheime Verbindung zwischen Gott und uns ganz persönlich. Meint der hundertste Name dasselbe wie unsere Ermutigung zum ganz persönlichen spirituellen Weg?“

„Wir sind alle einzeln und unendlich besonders. Wir alle haben Gaben, die wir entdecken und miteinander teilen können. Und beim Teilen gehen wir mit dem Fluss, wo auch immer er uns hinführt“, zitiert Peter Wild den US-amerikanischen Lyriker und Eremiten Robert Lax. „Während wir zusammenhängen und Teil eines grösseren Ganzen sind, existieren wir doch gleichzeitig auf unsere je eigene Weise.“ Wir sind Teil einer göttlichen Entfaltung, weshalb Lax davon spricht, dass sich sogar die Vorstellung eines „Selbst“ auflösen werde, der egozentrische Wunsch, als Person die Mitte des Geschehens zu sein. Für Wild korrespondiert das mit einem Jesuswort aus dem Thomasevangelium, „das betont, dass es nicht darum geht, sich an einem Ort oder auf einer Lebensspur festzusetzen und im Hinblick auf ein Ende Verdienste zu sammeln“. Es lautet: „Jesus sprach: Seid Vorübergehende!“

 

Bernhard Waldmüller: Führen – sich und andere. Aufmerksam, frei, entschieden, Echter: Würzburg 2019.

Peter Wild und Andrea Küthe: Vor deinen Füssen. Der Weg, den du geführt wirst, Edition Spuren: Winterthur 2019.