Papst Franziskus – der Knotenlöser

     

Nie hätte er sich vorstellen können, ein Buch über einen Papst zu schreiben, gesteht Erich Garhammer im Vorwort seines neuen Buchs. Es handelt „nicht über irgendeinen, sondern über Papst Franziskus“, er hat ihn „von Anfang an fasziniert“. Der 65-jährige Pastoraltheologe legt ein engagiertes Porträt vor, das zentrale Konflikte der jüngsten Kirchengeschichte analysiert und das Pontifikat des Jesuiten Jorge Bergoglio hilfreich einordnet. Seine unverwechselbare Persönlichkeit vergegenwärtigen eine Art Steckbrief mit pointierten Interviewaussagen, biografische Splitter und Erinnerungen an eindrückliche Auftritte etwa auf der Insel Lampedusa oder im Europaparlament. Überaus erhellend Bergoglios tiefe Prägung durch die ignatianische Spiritualität, die seine „Theologie der Inklusion“ inspiriert: „Gott ist im Leben jedes Menschen.“

Besonderes Augenmerk gilt den „vielen Zeichen und Gesten, mit denen dieser Papst einiges anders machte als seine Vorgänger“. Unvergesslich sein erster Auftritt auf der Segensloggia, der spüren liess, „dass hier einer das Papstamt ganz neu interpretieren würde“. Barmherzigkeit ist das Programmwort seines Pontifikats: kein Paternalismus von oben, sondern eine Barmherzigkeit, auf die alle angewiesen sind, einschliesslich des Papstes. Bereits seine Rede im Vorkonklave stellte die Überwindung kirchlicher Selbstbezüglichkeit und narzisstischer Selbstbespiegelung ins Zentrum: „Kirche ist nicht die Sonne, sondern der Mond, sie bezieht ihr Licht nicht von sich selbst, sondern von der Sonne Christus“.

Mit Verweis auf das Augsburger Gnadenbild „Maria Knotenlöserin“, dessen Verehrung durch Bergoglio in Buenos Aires Kult wurde, porträtiert Garhammer Papst Franziskus als weltkirchlichen Knotenlöser. Er konkretisiert dies an der Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils, am Umgang mit der Liturgie („Von einer Reform der Reform zu sprechen ist ein Irrtum“, so Papst Franziskus, der über Romano Guardini promovieren sollte) und am Umgang der Kirche mit den Medien: nach seiner Wahl erzählte der Papst den Journalisten, wie es zu seiner Namenswahl kam und segnete sie im Respekt vor dem Gewissen jedes Einzelnen. Ein Segen mit Diskretion, ohne Nicht- und Andersglaubende irgendwie zu vereinnahmen.

Franziskus verstehe sich selber in der Spur von Johannes XXIII., der in seiner Konzilseröffnungsrede betonte, es brauche ein ‚Lehramt von vorrangig pastoralem Charakter‘. Gegenüber der Konzilsdeutung von Benedikt XVI. streicht Garhammer heraus: Es bedeute keinen Bruch, aber auch kein Weiter so! Vielmehr wurde die Kirche mit dem Konzil zu einer lernenden Kirche. Der aus der Tradition der lateinamerikanischen (Befreiungs-) Theologie und Pastoral kommende Franziskus interpretiert das Zweite Vatikanische Konzil als neue Lektüre des Evangeliums im Licht der zeitgenössischen Kultur und streicht die Verschränkung von Evangelium und Leben heraus. Zugleich beklagt er die nur teilweise Umsetzung dieses pastoralen Sprungs nach vorn: „Der Heilige Geist drängt zum Wandel, und wir sind bequem.“

Überaus kenntnisreich und äusserst spannend lesen sich vor allem die 30 Seiten über die 50-jährige Debatte um einen angemessenen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Mit Amoris laetita ist für Garhammer „der Knoten gelöst – jetzt geht es um eine neue Praxis jenseits jeder Schummelhermeneutik“. Als einer der drei oberrheinischen Bischöfe, deren Vorstoss zur seelsorgerlichen Begleitung von Menschen aus zerbrochenen Ehen 1994 von der Glaubenskongregation zurückgewiesen wurde, kommentierte Kardinal Lehmann das nachsynodale Lehrschreiben von Papst Franzskus mit Galileo Galilei, worauf auch Garhammer anspielt: „Die vermeintlich erstarrte Lehre bewegt sich doch.“

Erich Garhammer: Und er bewegt sie doch. Wie Papst Franziskus Kirche und Welt verändert, Echter: Würzburg 2017, 160 S.