Kreative Lebensbewältigung in Zeiten des Umbruchs

     

Christiane Blank

Kreative Lebensbewältigung in Zeiten des Umbruchs. Psychologisch-theologische Impulse zur Neuorientierung

Edition NZN bei TVZ, Zürich 2023

Die emeritierte Professorin und Dozentin am Theologisch-pastoralen Bildungsinstitut TBI Christiane Blank hat ein hochaktuelles pastoralpsychologisches Buch vorgelegt, das zur rechten Zeit kommt und dem eine grosse Breitenwirkung zu wünschen ist.

Wie Recht die Autorin hat: Wir stecken in Zeiten des Umbruchs, und diese äussern sich nicht zuletzt in gravierenden weltweiten Krisen. Noch wissen wir nicht, wo das alles für uns enden wird. Wir haben eine Pandemie hinter uns, die in dieser Dimension neu war und uns drei Jahre bedrängte und einschränkte. Und anstatt dass wir nun aufatmen könnten, sind wir in Europa seit anderthalb Jahren mit einem unsäglichen Angriffskrieg konfrontiert, den Russland gegen die Ukraine führt (an andere Kriege – weiter weg – haben wir uns leider längst gewöhnt). Parallel dazu wird die ökologische Krise mit Wassermangel und Dürren, mit Artensterben und Abfallbergen, mit Abholzung von Regenwälder und Folgen des Klimawandels immer bedrohlicher. – All die sozialen und ökologischen Gegenbewegungen scheinen machtlos dagegen. Manchmal ist es zum Verzweifeln.

Da kommt das hier anzuzeigende Buch wahrlich zur rechten Zeit. Wie kann man in diesen Zeiten die Fassung bewahren, wie das eigene Leben kreativ und konstruktiv bewältigen, wie sozial und ökologisch verträglich leben und arbeiten, wie dem naheliegenden „Laisser-faire“ ebenso wie der selbstdestruktiven Depression entgehen? – Sicher reicht es nicht, die Probleme zu erkennen. Ja, nicht einmal eine christliche – oder wie auch immer begründete – Ethik genügt. Der Weg von der Einsicht zur Umkehr des Handelns ist weit, sehr weit.

Zu Recht macht die Autorin klar, dass es ohne Psychologie nicht geht. Wie kommen Menschen von eingefahrenen Verhaltensweisen weg und finden die Motivation, kreativ neue – sozialverträglichere und Umwelt-verträglichere – Wege zu erproben? Das braucht eine gehörige Portion Mut, viel Selbstreflexion und kritische Distanz zu dem, was wir unreflektiert tun und lassen. Und es braucht eine kompetente Begleitung. Als solche kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen. Wer sich darauf einlässt, wird auf seinem/ihrem Weg zur Neuorientierung begleitet von einer erfahrenen und bestens ausgewiesenen Psychologin und Theologin, die 25 Jahre lang als Professorin an der Päpstlichen Theologischen Fakultät in São Paolo lehrte.

In sieben gut gegliederten Kapiteln gibt die Autorin Schritt für Schritt wesentliche Impulse für die persönliche Neuorientierung ebenso wie für die Neuausrichtung gesellschaftlicher Verhältnisse. In schier sträflicher Verkürzung ein thesenartiger Einblick:

  1. Da wir nur dieses eine Leben haben, sollten wir es selbst-, nicht fremdbestimmt gestalten.
  2. Wer Leben als Geschenk sieht, schafft sich Freiräume, um sich optimal entfalten zu können.
  3. Tragfähige Beziehungen geben Kraft und Stärke – auch im Gegenwind.
  4. Bei aller Ambivalenz: an Krisen können wir wachsen.
  5. Allerdings müssen wir Strategien finden, uns aus Ängsten und Zwängen zu befreien.
  6. Wir müssen lernen, konstruktiv umzugehen mit Schuld, und Wege der Vergebung finden – gegenüber uns selbst ebenso wie gegenüber anderen.
  7. Ethisches Handeln ist gut für unsere Psyche und für die Welt als Ganze.

Christiane Blank entfaltet dieses Programm mit bewundernswerter Klarheit. Sie kennt die Fachliteratur und lässt neueste Erkenntnisse aus Psychologie und Pastoralpsychologie einfliessen. Nie aber ist sie belehrend, stets bleibt die Sprache verständlich und gut lesbar. Und immer wieder bringt sie eingängige Beispiele, die die Sachaussagen und psychologischen Zusammenhänge veranschaulichen. Und am Ende eines Gedankengangs folgen in einem grau hinterlegten Kasten oft Fragen zur eigenen Selbstprüfung und zum persönlichen Weiterdenken.

Und wir gewinnen nebenbei verschiedene wichtige Erkenntnisse: zum Beispiel zu unterscheiden zwischen Schuld und Schuldgefühlen, zu sehen, dass im Gewissen sich das (meist eher belastende) Über-Ich zu Wort meldet und nicht Gottes Stimme, zu merken, wie tief wir noch immer (wenn auch oft unbewusst) geprägt sind von einem strafenden Richtergott, zu verstehen, was unsere Widerstandskraft stärkt und unsere Resilienz erhöht etc.

Das Buch zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass die psychologischen Überlegungen in jedem Kapitel vertieft werden durch theologische Impulse aus der Bibel. Diese sind alles andere als doktrinär. Vielmehr dienen die biblischen Texte als zusätzliches freies Angebot, die eigene Situation besser zu verstehen und zu bewältigen. Die Bibel wird so zu dem, was sie eigentlich ist und als was sie verstanden werden will: als ein psychologisch tiefgründiges Erfahrungsbuch, als eine Quelle von Lebensweisheit, die auch in nachkirchlicher Zeit und in profaner Welt noch zu nähren vermag. So bilden hier Bibel und Theologie keine Fremdkörper, sondern stützen kraftvoll das psychologische Programm, um das es der Autorin zu tun ist. Insofern erweist sich das Buch als ein Glücksfall gelungener Interdiziplinarität von Theologie und Psychologie.

Nur selten gibt das Buch auch Anlass zu Rückfragen. So stolperte ich als Leser mehrfach über die pauschalisierende Formulierung: „der Mensch“… Und bisweilen bleiben gewisse Ratschläge  bei aller psychologischen Verankerung doch etwas appellativ (vor allem im Kp. 7 über ethische Leitlinien: S. 244-250). Aber das sind Kleinigkeiten, die den grossen Gewinn der Lektüre dieses Buches keinesfalls schmälern.

Das spannende Buch kommt, wie gesagt, zur rechten Zeit und ist allen wärmstens zu empfehlen, die in einer Welt wie der unsrigen nicht ganz heimisch sind, die noch auf eine bessere Zukunft hoffen, aber ratlos sind, wie diese kommen kann und was sie dazu beitragen können. Ein ermutigendes Plädoyer, die Hoffnung nicht aufzugeben, und ein psychologischer Leitfaden, konkrete Wege aus der Krise zu finden.

Felix Senn