Im Heute glauben und beten

     

Mit «Astronomischen Psalmen» gibt der Astrophysiker Arnold Benz seinem Staunen über ein «unfassbar verschwenderisches» Universum und dem Wunder der lebensfreundlichen Erde Ausdruck. Christoph Gellner findet seine Verbindung von modernster Wissenschaft mit dem Glauben an einen Gott, der grösser ist als alle unsere überkommenen religiösen Vorstellungen, inspirierend.

 

«In der wissenschaftlichen Arbeit hat das Staunen keinen Platz. Aber es wäre falsch anzunehmen, dass heutige Wissenschafter nicht staunen», setzt der durch seine allgemeinverständlichen Vorträge auch im Schweizer Fernsehen und Radio einer breiten Öffentlichkeit bekannte Astrophysiker Arnold Benz im Vorwort zu seinen zeitgemässen Psalmen an, eine «ganzheitliche Sicht des Universums» zu entfalten. Dafür engagiert sich der emeritierte ETH-Professor seit Jahren im interdisziplinären Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie.

Das überwältigende Wissen der heutigen astronomischen Wissenschaft macht bewusst, dass die Welt nicht selbstverständlich ist. Das ist der Ausgangspunkt der von Arnold Benz vorgelegten Texte: in Form von Gedichten, die die alten biblischen Psalmen fortschreiben, bringt er eine persönliche Sicht ein, die existentielle Betroffenheit als teilnehmender Beobachter, ja, das Staunen, Fragen, Loben und Danken einer glaubenden Christenmenschen. Das mit faszinierenden Teleskop-Farbfotografien versehene Büchlein ist seiner Frau, Ruth Wiesenberg Benz, gewidmet, einer reformierten Pfarrerin, die ihn «immer wieder zum Psalmenschreiben ermuntert hat». Zusammen schrieben die beiden «Das Universum – Wissen und Staunen. Astrophysikalische Erkenntnis und religiöse Erfahrung». Um dieses Zusammenspiel geht es auch in den «Astronomischen Psalmen»:

Am Rand des sichtbaren Universums

liegt GN-z11, eine kleine Galaxie,

das entfernteste Himmelsobjekt,

das wir gegenwärtig kennen.

Unsere Bilder zeigen sie

vor 13,4 Milliarden Jahren.

13,4 Milliarden Jahre brauchte das Licht von GN-z11 zu uns.

In der Zwischenzeit hat sich der Weltraum ausgedehnt

und GN-z11 mitgerissen.

Die Galaxie, jetzt 32 Milliarden Lichtjahre entfernt,

ist eine Trillion Mal weiter entfernt als der Mond.

Eine Trillion ist eine Million Billionen.

Eine Billion ist eine Million Millionen.

 

Ich kann diese Zahlen rechnen, ich kann sie schreiben,

mir aber nicht vorstellen.

Unvorstellbar gross ist das Universum –

Gott unvorstellbar grösser.

 

«Das Christentum setzt voraus, dass alle Menschen Dichter sind, nämlich beten können»: Diese pointierte Aussage stammt von der Theologin, Germanistin und Poetin Dorothee Sölle, ihres 20. Todestags wurde auch in der Schweiz gedacht. Dabei ging es ihr nicht in erster Linie um einen literarischen Anspruch, vielmehr um eine Sprache für das, was uns im Tiefsten betrifft und angeht.

 

Solche Verdichtung wagt Arnold Benz, seine Texte ermutigen und inspirieren, neu ins Nachdenken zu kommen über ‘Gott und die Welt’, die Perspektive zu weiten «von der kleinen Alltagswelt auf ein galaktisches Ganzes» und eigene Erfahrungen angesichts des unergründlichen Geheimnisses der Schöpfungsveranstaltung, dem Rätsel der Zeit, ja, der Widersprüche von Zufall und Freiheit, Kreativität und Destruktivität im abgründigen Lauf der Evolution ins Wort zu bringen:

 

Das Universum quillt über von Kreativität.

Sie übersteigt alle meine Vorstellungen,

neue Sterne, neue Planeten, neue Möglichkeiten.

Ich bin überwältigt.

 

Wozu, Gott, diese vielen Himmelskörper,

dieses riesige Universum?

Warum so unbegreiflich,

so unfassbar verschwenderisch?

 

Glauben auf der Höhe zeitgenössischer wissenschaftlicher Erkenntnis und zugleich einer reflektierten «zweiten Naivität» – Dorothee Sölle klagte über eine «poesielose Theologie», die «das mythisch-religiös-poetische Wesen, das wir auch sind, erstickt. Als sei es überflüssig, ‘das Eis der Seele zu spalten’», wie sie mit Franz Kafka betonte – , eine zeitgemässe Spiritualität im Angesicht des unaufhörlichen Wechsels von Zerfall und Schöpfung, persönlich und poetisch durchbuchstabiert – darum kreisen diese «Astronomischen Psalmen» und laden zur Meditation wie zum eigenständigen Fort- und Weiters(p)innen ein: «Die Erde ist nicht zwangsläufig, wie sie ist. / Zufall? / Die Erde ist erstaunlich, / eine paradiesische Oase / im riesigen, kalten, wilden Universum. // Als unverdientes Geschenk / erscheint mir unser schöner Planet […] Danke, wunderbarer Gott, für die Erde!»

 

Ein Knall am Anfang des Universums?

Gewiss,

die Galaxienhaufen fliegen noch heute auseinander

wie die Splitter einer Granate,

die entferntesten am schnellsten.

 

Aber nicht wie eine Tischbombe,

nicht ein Knall und alles war da.

Alles im heutigen Universum

Hat sich erst nachher gebildet,

selbst die Materie.

Allein in der Milchstrasse sind heute

Millionen von neuen Sternen am Entstehen.

Das Universum quillt über von

Kreativität und Fruchtbarkeit

nach Gesetzen von Zufall und Notwendigkeit.

 

Wirkte Gott im Urknall

oder als die Sonne entstand?

Er taucht nicht auf

in unseren Gleichungen der ersten Sekunde.

Auch nicht in Lücken der Sternentstehung,

die wir noch nicht verstehen.

 

Warum sollte ich ihn dort suchen,

wo alle im Dunkeln tappen?

Selbst in meinem Leben

bleibt Gott verborgen.

«Wenn du es verstehst,

ist es nicht Gott»,

sagte Augustinus.

 

War da ein Wille,

der das Universum veranlasste,

seine Entwicklung wollte?

 

Ähnliches frage, erahne ich

für mein persönliches Leben.

 

Arnold Benz: Unfassbar verschwenderisch. Astronomische Psalmen. Theologischer Verlag Zürich 2023, 95 Seiten, mit 13 eindrucksvollen Teleskop-Fotografien.