Good vibrations

     

 

Von Resonanzen und gelingenden Beziehungen

 

Michael Hartlieb bespricht die Bücher: Cebulj, Christian; Schlag, Thomas (Hg.): Zwischen Kreuzfahrt und Klosterküche. Formen kirchlicher Präsenz im Tourismus. Reihe Forum Pastoral 8. Zürich 2021; Halbfas, Hubertus: Säkulare Frömmigkeit. Gespräch über ein aufgeklärtes Christentum. Mannheim 2021; Kerres, Michael: Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung digitaler Lernangebote. Berlin 52018.  

 

Eines der grossen Leitworte der vergangenen Jahre ist das der «Resonanz». Es begegnet einem in den unterschiedlichsten Kontexten: Musikfestivals werben damit ebenso wie Restaurants oder Veranstalter aus dem Bildungsbereich. Ein Mitauslöser dieser Begriffskarriere war Hartmut Rosa, ein deutscher Soziologe und Politikwissenschaftler, der in seinem 2016 erschienen gleichnamigen Buch mit «Resonanz» eine neue «Soziologie der Weltbeziehung» betitelte. Und wie es nun bei manchen Büchern so kommt, treffen sie perfekt das Suchen und Sehnen einer Zeit nach einem passenden Begriff für das, was fehlt oder anscheinend zu wenig vorhanden ist.

Resonanzen kannte man vorher im privaten Lebensumfeld vor allem vom Mitschwingen der Gläser in der Vitrine, wenn vor dem Haus junge Herren mit aufgedrehten Subwoofern in ihren Autos vorbeifuhren oder wenn über den Teller quietschendes Besteck die Nackenhaare aufstellte. Nun aber: Resonanzen werden von Rosa für ein aktualisiertes Verständnis von Beziehung herangezogen, insofern sie sinnbildlich einen ‘Dreiklang von Leib, Geist und Welt’ verkörpern und die an der Beziehung Beteiligten in einen transformativen Prozess bringen, der sie anders werden lässt.

Das Stichwort ‘Transformation’ steht an dieser Stelle zentral, denn es geht Rosa nicht um eine letztliche belanglose Wellness-Theorie und eine Aufforderung zu neuer Achtsamkeit. Vielmehr will er darauf aufmerksam machen, dass wir Menschen zutiefst auf die identitätskonstituierenden Erfahrungen des Berührt- oder Ergriffenseins von Anderen oder Anderem angewiesen sind, die in unserer beschleunigten Spätmoderne jedoch immer seltener und gerade deshalb immer gesuchter werden.

Theologisch-spirituell sensible Mitmenschen dürften an dieser Stelle hellhörig werden. Transformierende Beziehungen, davon erzählt die Bibel in nicht geringem Ausmass, ja letztlich bauen das Christentum und seine Geschwisterreligionen Judentum und Islam auf den Glauben an einen Gott, der uns eine resonante Beziehung zu ihm anbietet. Und jetzt, in der Zeit des Advent, warten Christ:innen auf der ganzen Welt darauf, dass sich dieses Beziehungsangebot wieder erneuert, dass Gott seine Heilszusage neu schenkt – und sie sich davon erneuern lassen können.

Resonierende Beziehungen oder zumindest die Hoffnung, dass sie entstehen können – das ist auch eines der grossen Themen des Sammelbandes «Zwischen Kreuzfahrt und Klosterküche. Formen kirchlicher Präsenz im Tourismus». Als Nachlese einer Tagung aus dem Jahr 2016 in Chur und herausgegeben von Christian Cebulj und Thomas Schlag untersucht dieses Buch, welche transformativ-synergetischen Prozess sich für Kirche im Zusammenspiel mit der Welt des Tourismus ergeben können. Der Zusammenhang mag auf den ersten Blick weit hergeholt wirken und in der Tat beklagen die Herausgeber, dass es erstaunlicherweise in der Schweiz, dem Touristikland par excellence, seit Jahrzehnten kaum nennenswerten Forschung oder kirchliches Engagement zu einer stärkeren Sichtbarkeit der Kirchen im Tourismus gegeben hat. Das erstaunt die Autoren auch deshalb, weil – im Einklang mit der Resonanz-Theorie von Rosa – in den vergangenen Jahrzehnten ein regelrechter Touristik-Boom um zentral gelegene Kirchen, Klöster oder spirituelle Kraftorte entstanden ist, wie im Buch gut erläuterte Studien eindrucksvoll belegen: Menschen suchen – auch heute noch oder wieder! – aus ganz unterschiedlichen Motivationslagen Orte und Räume auf, an denen sie eine für sich wichtige Erfahrung oder lebensverändernde Perspektive erwarten. Auch der anhaltende Pilger-Boom erklärt sich in dieser Perspektive: er dient der persönlichen Sinn-Findung (S. 37).

Nun wäre es zu kurz gegriffen und würde diesem wirklich sehr gelungenen und assoziationsanregenden Buch auch nicht gerecht werden, wenn man daraus schlösse, dass sich Kirche einfach als Dienstleisterin verstehen solle, die im Anschluss jene gewünschten Resonanzräume eröffnet, pflegt und durch Eintrittsgebühren monetarisiert. Nein, die eigentlich Stärke gewinnt dieses Buch daraus, dass es die Herausforderung der Kirche durch den Tourismus als glückliche Chance für eine substanzielle und fruchtbringende Kirchenentwicklung begreift.

Verschiedene Themenschwerpunkte können dies nachvollziehbar machen: allen voran die Fokussierung auf die bereits in der Bibel bestens bezeugte Gastfreundschaft, die ein für die Gäste einladendes Umfeld schafft, mehr noch aber den Gastgeber selbst überaus positiv verändert (S. 130). Für Gemeinden, die an dieser Aufgabe wachsen wollen, hält das Buch eine Fülle von «Beziehungsratschlägen» bereit, die auch durchaus prägnant formuliert sind, wie zum Beispiel in diesem Beispiel: «Drei Qualitäten zeichnen Kirchen als gastfreundliche Räume aus: Präsenz, Resonanz, Transzendenz.» (S. 75). Deutlich macht das Buch in seinen Ausführungen: Kirche vergibt eine grosse Chance, wenn sie aus einem fehlleitenden Selbstverständnis als «societas perfecta» nur «die Anderen» als diejenigen auffasste, die Resonanzräume suchen und erleben wollen. Nein, nach der weitgehend übereinstimmenden Meinung der Autoren ist es die Kirche selbst, die aktiv auf die Suche nach transformierenden Beziehungen für sich, nach Resonanz in der Welt von heute gehen muss.  Das fördert Vernetzung mit anderen Akteuren und Aufmerksamkeit für die Menschen (S.55) und ist überhaupt erst die Voraussetzung, «die kulturelle, religiöse oder konfessionelle Geschichte eines Kirchenraums [oder anderen religiösen Ortes, M.H.] mit der religiösen Suchbewegung jeder einzelnen Besucherin, jedes Besuchers ins Gespräch»(S.72) zu bringen.

So ist insgesamt ein sehr lohnens- und lesenswertes Buch entstanden, das viele mit grossem Interesse studieren können: Mit Fragen der Pastoral Beschäftige ebenso wie Engagierte aus Gemeinden, die ihrer Kirche oder dem kirchlichen Umfeld ihrer Region zu mehr Gastfreundschaft oder allgemeiner zu einer einladenden Atmosphäre verhelfen wollen.

 

Eine weitere Neuveröffentlichung beschäftigt sich ebenfalls mit Fragen des Beziehungsgeschehens, aber mit einem etwas anderen Fokus. Der bekannte Religionspädagoge Hubertus Halbfas führt in dem kleinen Büchlein «Säkulare Frömmigkeit» mit sich selbst (!) ein «Gespräch über ein aufgeklärtes Christentum». Das Besondere an diesem Dialog ist die formale Struktur, die Halbfas für den Durchgang durch seine Themen wählt. Es ist nämlich nicht so, dass sozusagen ein Dialogpartner kontinuierlich die Rolle des Fragestellers innehat, während der andere Dialogpartner möglichst unangreifbare Lehrbuchweisheiten von sich gibt. Nein, der Dialog ist zwar artifiziell und als solcher durchaus erkennbar, aber er vermittelt doch immer auch den Anschein eines echten Dialogs. Die Partner fragen beim jeweils anderen zu Erörterungen oder Argumentationen interessiert nach oder bohren gelegentlich auch kritisch – vielleicht mit einem kleinen Abstrich: Die beiden Gesprächspartner verstehen sich an mancher Stelle ein wenig zu gut, auch dort, wo man selbst durchaus einen kritischen Kommentar in petto hätte. Das kann natürlich wiederum doch nicht zu sehr erstaunen, denn beide befinden sich ja im Kopf von Halbfas! – aber übliche Nebenerscheinungen der Kommunikation, das Nicht-, Halb- oder Falschverstehen, das für oft unerwartete Gesprächswendungen sorgt, spielt in diesem Streitgespräch leider keine grosse Rolle.

Aber: Worüber reden und streiten die beiden eigentlich?

Halbfas geht es kurz gesagt darum, einen säkularen Verstehenszugang zum Christentum zu eröffnen, der als «fromm» in der klassischen Bedeutung des Wortes, nämlich «rechtschaffen», verstanden werden kann. Dieses schwierige Vorhaben geht Halbfas so an, dass er einzelne Glaubensüberzeugungen oder Fragestellungen zum Christentum an sich (beispielsweise: Wer war Jesus und wie ist seine Botschaft zu verstehen) auf die möglichen existenziellen Bedeutungen herunterbricht und/oder sie von der religionsgeschichtlichen Entwicklung oder kirchlichen Tradition her beleuchtet. Damit gelingt es ihm sehr gut, gleichzeitig aktuelle Problemfelder der Glaubenspraxis zu beleuchten, die kirchliche Tradition ernst zu nehmen und dennoch eine Atmosphäre grosser denkerischer Freiheit und Autonomie zu gewährleisten.

Eine Beziehung zu Gott oder zu einer bestimmten religiösen Tradition haben zu können in all den Abstufungen, die das heutige Leben mit sich bringt – dafür ein so schönes Plädoyer geschrieben zu haben ist eine beachtenswerte Leistung in einem schmalen Band, das uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen werden kann.

 

Ein abschliessender Blick gilt nun noch einem Buch, der hinsichtlich der bislang genannten aus der Reihe fällt: Es handelt sich um das in mittlerweile fünfter Auflage erschienene Buch «Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung digitaler Lernangebote» von Michael Kerres, der an der Universität Duisburg-Essen das «Learning Lab anleitet. Im übertragenen Sinne widmet sich auch dieses Buch Fragestellungen der Resonanz, untersucht es doch die Chancen digitaler Lehr-/Lernsettings für fruchtbar werdende Bildungsprozesse im Dreieck von Lehrenden, Lernenden und den eingesetzten Medien. Das Wort «Untersuchen» ist hier ganz wörtlich zu nehmen, denn das Buch hat einen klar wissenschaftlichen Auftrag und trägt zu allen mediendidaktischen Fragestellungen Studien und Argumentationszusammenhänge für oder gegen den Einsatz bestimmter Methoden (z. B. Gameification, Exploratives Lernen usw.) zusammen und bezieht anschliessend Stellung dazu. In kompakter Form erhält man damit einen sehr guten Überblick über den Stand der mediendidaktischen Forschung und wird dazu befähigt, Lehr- und Lernparadigmen besser in ihren Folgen einzuordnen oder eben auch unterschiedliche Methoden in ihren potenziellen Vor- und Nachteilen besser einzuschätzen.

Das Buch ist damit eher nicht für Lehrende ausgelegt, die konkrete Umsetzungstipps für ihre Lehrpraxis suchen. Es richtet sich eher an Personen, die konzeptionell mit der strukturierten Planung von Bildungsveranstaltungen beschäftigt sind und dabei die neuesten Erkenntnisse der Bildungsforschung zu digitalen Medien einbeziehen wollen.