Begegnung auf Augenhöhe

     

Kirchliche Orte und Räume sind Kontaktzonen in einer post-migrantischen Gesellschaft. Sie sind wichtig für Menschen aus anderen Regionen und Kulturen, die beispielsweise neu in einem deutschsprachigen Kontext Leben und Glauben zu verbinden suchen. Diese Menschen sind buchstäblich „de-platziert“ oder „ent-ortet“ und befinden sich nun an für sie neuen Orten, die ihrerseits durch ein „Da-Zwischen“ geprägt sind. Das erzeugt Spannungen und erfordert Anstrengungen, schreibt Hildegard Wustmans im Beitrag „Hybride Lebenslagen. Pastoral im Stresstest“[1]. Menschen brauchen Orte, an denen sie beispielsweise lernen können, mit der Herausforderung umzugehen, dass sozial erwünschtes Verhalten aus ihrem bisherigen Kontext am neuen Ort als de-platziert und ungehörig wahrgenommen wird. Die kirchlichen Kontaktzonen müssen jedoch wechselseitig gestaltet werden, das gilt für die ortsansässigen Gemeinschaften genauso wie für die Einzelpersonen und Gruppierungen der zugewanderten Menschen. In der Pastoral schliesst die Aufgabe der Gestaltung eine Beschäftigung mit den zunächst fremden Kulturen und religiösen Prägungen von Menschen ein.

 

Hybride Lebenslagen

Nach Wustmans geht es vorab darum, auch oder gerade in kirchlichen Räumen zu akzeptieren, dass man in einer „hybriden Welt“ lebe. Als Existenz in „hybriden Lebenslagen“ bezeichnet sie die Existenz von Christinnen und Christen in vielen Pfarreien und Pastoralräumen. Hybrid Identity, ein Begriff der Kulturwissenschaften, der ursprünglich aus der Biologie stammt, bezeichnet Mischformen oder das, was aus Verschiedenartigem hervorgegangen ist. Wustmans zitiert Elisabeth Bronfen/Benjamin Marius, die schreiben: „Hybrid ist alles, was sich einer Vermischung von Traditionslinien oder von Signifikantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse und Technologien verknüpft, was durch Techniken der Collage, des Samplings, des Bastelns zustande gekommenen ist“ (132). Die Autorin entdeckt solche Prozesse der Vermischung in Ortsgemeinden, denn die lokale Kirche ist vielerorts von kulturellen Differenzen durchzogen. Zwar sorgten Erfahrungen der Vielfalt immer noch für Irritationen, da sie gewohnte Formen und Ordnungen störten, doch zugleich würden kulturelle Bewertungen und Interpretationen zunehmend aufgebrochen. Die Situation erzwingt in weiten Bereichen ein Umstellen von Idealen der Einheit auf ein Management von Diversität (134). Andersheit und Differenz würden nicht verleugnet oder aufgehoben, sondern als Tatsache anerkannt. Erst im Prozess der Anerkennung der Differenz bestehe die Möglichkeit, dass etwas Neues, Drittes entstehen kann.

 

Interkulturelle Kompetenzen für eine migrationssensible Pastoral

Die Kirche verkündet das Evangelium nur dann authentisch und glaubwürdig, wenn sie sich den aktuellen Herausforderungen der Welt stellt. Interkulturelle Begegnungen sind als Lernsituationen zu verstehen, deshalb ist die Bereitschaft unabdingbar, Neues über sich und andere lernen zu wollen. Wenn kirchliche Orte die postulierte Gastfreundschaft, Nächstenliebe und Vielfalt tatsächlich leben wollen, dann bedarf es nicht nur der Auseinandersetzung mit Fremden und Fremdem. Für die konkrete seelsorgliche Beratung und Begleitung ergibt sich daraus die Notwendigkeit, Menschen in kultureller Aufmerksamkeit zu begegnen.

Wustmans plädiert deshalb für eine Erweiterung des Kompetenzspektrums im Bereich der Seelsorge. Mit Jürgen Bolten fordert sie Ambiguitätstoleranz, d.h. kulturelle Unterschiede müssen wahrgenommen und verstanden werden. Es braucht die Fähigkeit, Spannungen zwischen unvereinbaren Gegensätzen und Mehrdeutigkeiten aushalten zu können (137). Empathie für andere und anderes aufzubringen und Interesse aneinander zu entwickeln ist eine weitere erforderliche Kompetenz. Dazu wiederum ist Kommunikationsfähigkeit nötig, die es ermöglicht auf andere zuzugehen und Beziehungen zu knüpfen, besonders in den komplizierten und mühevollen Situationen.

Eine weitere Kompetenz bestehe darin, Akzeptanzgrenzen zu erkennen und Akzeptanzspielräume auszuhandeln. Denn um sich auf Verschiedenheit einlassen zu können, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Positionen wichtig. Es geht darum, sich über die eigenen Wertvorstellungen im Klaren zu sein und die Wertvorstellungen anderer mit Respekt wahrzunehmen(138). Notwendig damit verbunden ist die Auseinandersetzung mit Macht und Ohnmacht, sowie mit der Frage nach kultureller Dominanz. Aus den Mustern von Überlegenheit und Unterlegenheit kommt man heraus, wenn man sich auf ein gemeinsames Drittes verständigen kann. „Im Kontext interkultureller Begegnungen unter Christinnen und Christen kann dieses gemeinsame Dritte Jesus Christus sein“(139). Als biblisches Beispiel nennt Wustmann die Lösung des Konflikts um Beschneidungsvorbehalt und Heidenmission zwischen Petrus und Paulus in Apg 15, 1-9.

Allerdings brauche es gerade im Zusammenhang interkultureller Seelsorge auch ein gewisses Dissensbewusstsein, denn die Versuchung bestehe darin, dass Übereinstimmungen zu schnell getroffen werden. Es gehe hier um weit mehr als eine Toleranz, die stillschweigend die verschiedenen Positionen akzeptiert, diese dadurch jedoch verfestigt und faktisch Prozesse des wechselseitigen Veränderungen blockiere (139).

Interkulturelle Trainings, wie sie für internationale Unternehmen schon lange Usus sind, können auch in der Kirche kirchlichen Mitarbeitende und Freiwillige darin unterstützen, solche Kompetenzen zu erwerben.

 

Kirche in Bewegung

Die Kirche selbst befindet sich in Bewegung, insofern kann man von einer migratorischen Kirche sprechen. Migrationssensible Pastoral will ermöglichen, die Katholizität der Kirche tatsächlich zu leben und zu gestalten. Sie kann einen Beitrag dazu leisten, dass die Vielfalt der Gottesbeziehungen und ihrer Ausdrucksformen wahrgenommen werden. Migrationssensible Pastoral kann Menschen befähigen und begleiten, so dass Zumutungen und Herausforderungen bearbeitet und in Lösungen überführt werden können. Natürlich beeinflussen interkulturelle Fragestellungen auch die Bereiche Theologie und Spiritualität, denn sie provozieren Relativierungen und Horizonterweiterungen.

Der Migrationsforscher und Mitarbeiter am Institut für Weltkirche und Mission in Frankfurt /Main, P. Tobias Kessler CS, plädiert dafür, im kirchlichen Zusammenhang nicht dem Prinzip der Integration zu folgen, da dieses eine zentrifugale Wirkung habe und Ängste bei den Beteiligten wecke, dass Eigenes aufgegeben werden müsse. Vielmehr solle der Gedanke der „Communio“ in den Vordergrund gestellt werden. Im Gegensatz zur Integration lässt Communio als Leitmotiv die Freiheit für Vielfalt, sie ermöglicht die Koexistenz von Verschiedenen und verschiedenem[2]. Communio wird verstanden als nicht abschliessbarer Prozess der Vermittlung von Einheit und Vielfalt.

 

Das TBI bietet für Personen mit Leitungsverantwortung vom 18.bis 20. November 2019 eine Weiterbildung zu migrationssensibler Pastoral an, zusammen mit P. Tobias Kessler CS und Christiane Lubos, Mitglied des Scalabrini-Säkularinstituts in Solothurn und Dozentin für interkulturelle Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz. Das Internationale Begegnungszentrum Scalabrini versteht sich als eine Art „Werkstätte“, um miteinander zu lernen und zu üben, wie Vielfalt in Communio und Begegnung auf Augenhöhe gelebt werden können. Detaillierte Informationen folgen Ende August 2018.

[1] Hildegard Wustmans. Hybride Lebenslagen. Pastoral im Stresstest, in: Erich Garhammer, Hans Hobelsberger, Martina Blasberg-Kuhnke, Johann Pock (Hgg.), Seelsorge: die Kunst der Künste. Zur Theologie und Praxis von Seelsorge, Würzburg 2017, 131 -140.

 

[2] Tobias Keßler. Zur Frage des Miteinanders von zugewanderten und einheimischen Katholiken in Deutschland, in: Klaus Krämer, Klaus Vellguth (Hgg.), Migration und Flucht. Zwischen Heimatlosigkeit und Gastfreundschaft. Theologie in der Einen Welt Band 13, Freiburg 2018, 81-96