Aufbruch und Widerspruch

     

Das vorliegende Buch ist quasi der dritte Band in einer losen Folge von Büchern, die namhafte Theologinnen und Theologen porträtieren. Massgeblicher Mitherausgeber bei allen drei Bänden ist der bekannte Religionspädagoge Stephan Leimgruber.

1990 wurden in „Gegen die Gottvergessenheit“ 41 Theologinnen und Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts mit ihrem Wirken vorgestellt. 1998 folgten weitere 33 Porträts unter dem Titel „Theologische Profile“. Gut 20 Jahre später nun erscheint der dritte und umfangreichste Band.

Die vorgestellten 55 Theologen und Theologinnen stammen alle aus neuerer Zeit. Darunter sind immerhin sieben Frauen, was zeigt, dass die Theologie nach wie vor einen Nachholbedarf hat in Bezug auf Gendergerechtigkeit. Erfreulich ist dennoch, dass unter den Porträtierten teilweise profilierte feministische Theologinnen zu finden sind. Ein erfreuliches Zeichen gelebter Ökumene ist überdies, dass der Band von vornherein ökumenisch angelegt ist und dass Theologinnen und Theologen aus allen drei Konfessionen präsentiert werden.

Die Beiträge haben bewusst alle den gleichen Aufbau. Nach einem tabellarischen Lebenslauf und einem Foto der/des Porträtierten werden wichtige Stationen des theologischen Werdegangs (Studien, berufliche Stationen…) vorgestellt. Es folgen Grundanliegen, Schwerpunkte und Kernthemen in Lehre und Forschung. Abgeschlossen werden die Beiträge mit einer Würdigung.

Ein so umfassendes Werk zu besprechen ist im Rahmen eines Newsletters und eines Lesetipps nicht möglich. Deshalb sei hier ein etwas persönlicherer Zugang in eigener Sache erlaubt:

 

Was uns in der Theologischen Grundbildung am TBI besonders interessiert hat, ist, wer unter den Porträtierten und wer unter den Autorinnen und Autoren in einem besonderen Masse mit unseren Kursen und Lehrgängen verbunden ist. Vorgestellt werden u. a. der Neutestamentler Hermann-Josef Venetz, die feministische Theologin Doris Strahm und der Kenner der Spiritualität Anton Rotzetter. Sie waren im Studiengang Theologie STh als Dozentin bzw. als Dozenten tätig. Porträtiert sind auch Neutestamentler Peter Dschulnigg-Bucher und der Pastoraltheologe Leo Karrer, die beide Kursleiter in den Glaubenskursen waren.

Unter den Autorinnen und Autoren finden sich ebenfalls viele, die bis heute eng mit dem Studiengang Theologie verbunden sind: allen voran natürlich der Mitherausgeber Stephan Leimgruber, der Rektor bei theologiekurse.ch war und das neue Fach „Christentum und Weltreligionen“ im Curriculum des STh betreut und aufgebaut hat. Er hat im vorliegenden Band mehrere Porträts selbst geschrieben (über Peter Eicher, Anton Hänggi, Vreni Merz, Sr. Minke de Vries, Hans Schaller). Beiträge verfasst haben auch Urs Winter (über Othmar Keel), Daniel Kosch (über Hermann-Josef Venetz), Hanspeter Ernst (über Clemens Thoma), Odilo Noti (über Johannes B. Brantschen) und Niklaus Kuster (über Anton Rotzetter). Sie alle waren oder sind in jüngster Zeit als Dozenten im Studiengang Theologie tätig (gewesen).

 

Vom Fachwissen all dieser genannten Personen duften wir und die Teilnehmenden in unseren Lehrgängen viel profitieren. Und dass sie in dieser wichtigen Bestandsaufnahme zur Theologie im 20. und 21. Jahrhundert vorgestellt werden oder als Autoren mitwirken, zeigt, dass wir mit dem Studiengang Theologie und den Glaubenskursen gut aufgestellt waren und immer noch sind.

 

Aus dieser – zugegeben eng begrenzten – Perspektive gibt es indes die eine oder andere Lücke. So hätte insbesondere der Churer Dogmatiker Johannes Feiner, der in den 1950er-Jahren das Bildungsinstitut „Theologische Kurse für katholische Laien“ (abgekürzt „Theologie für Laien“; später „theologiekurse.ch“) mitbegründet hat und dessen erster Leiter und Rektor in einem er war, schon in einem früheren Band einen eigenen Beitrag verdient. Zwar wird er als Mitinitiant der heilsgeschichtlichen Dogmatik „Mysterium Salutis“ im ersten Band implizit mitvorgestellt. Aber er hat sich eben darüber hinaus auch eigenständig als Ökumeniker rund um das Zweite Vatikanum und als Mitverfasser des wichtigen ökumenischen Werks „Neues Glaubensbuch“ (zus. mit Lukas Vischer) und eben als mutiger und weitsichtiger Förderer der theologischen Bildung von Laien und von nebenamtlichen Katechet*innen in der Katholischen Kirche einen Namen gemacht.

Auch der Ethiker Albert Ziegler, der zweite Rektor von theologiekurse.ch, hätte porträtiert werden dürfen oder sein Nachfolger Albert Gasser, der für die Verbreitung theologischer und kirchengeschichtlicher Themen unter interessierten Laien viel getan hat und immer noch tut. Und es fehlt Urs Eigenmann, der die Praktische Theologie mit zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen in einer befreiungstheologischen Perspektive neu ausgerichtet und profiliert hat.

Und unabhängig von unseren Kursen hätten in der Bibelwissenschaft beispielsweise Silvia Schroer oder Walter Kirchschläger, in der Ethik Adrian Holderegger oder in Bezug auf den interreligiösen Dialog Reinhold Bernhardt gewürdigt werden dürfen. Letzterer ist im deutschsprachigen Raum ein wichtiger Förderer der komparativen Religionstheologie.

 

Ich bin mir bewusst: Wünschen kann man immer noch mehr. Aber auch so, wie der Band vorliegt, bieten die Herausgeber zweifellos eine sehr gute Auswahl. Wer sich in die Beiträge hineinkniet, erfährt nicht nur viel über die einzelnen Biografien und Werke der Porträtierten, sondern lernt auch ein bedeutsames Stück neuer und neuester Theologiegeschichte besser kennen und tiefer verstehen. Dabei zeigt sich nicht zuletzt, wie viele Schweizer Theologinnen und Theologen in den letzten Jahrzehnten zur Entwicklung der Theologie und zur Erneuerung der Kirchen Substanzielles und Weiterführendes beigetragen haben. Viel mehr jedenfalls, als von einem so kleinen Land zu erwarten wäre. Das ist hocherfreulich!

Der Herausgeberin und den Herausgebern sei für das reichhaltige Werk ausdrücklich gedankt. Dem Werk selbst wünsche ich viele Leserinnen und Leser; sie werden darin viel Neues entdecken. Versprochen!

 

Felix Senn

 

 

Angela Berlis, Stephan Leimgruber, Martin Sallmann (Hg.), Aufbruch und Widerspruch. Schweizer Theologinnen und Theologen im 20. und 21. Jahrhundert, TVZ, Zürich 2019, 848 Seiten, CHF 68.00