Anders an Gott glauben heisst noch nicht, an einen anderen Gott glauben

     

 

In seinem neuen Buch «Monotheismus und Trinität» macht der Basler Religionstheologe Reinhold Bernhardt im Blick auf Judentum, Islam und Buddhismus Anfragen an das christliche Gottesdenken theologieproduktiv. Dass er sich so religionsdialogisch um neue Plausibilität und intellektuelle Glaub-Würdigkeit des christlichen Gottesglaubens bemüht, findet Christoph Gellner vorbildlich.

 

Christliches Gottdenken kann heute vom Glauben anderer Religionen nicht absehen: Es braucht eine religionsdialogische Theologie «im Resonanzraum ausserchristlicher Gottesvorstellungen». In seiner «Gotteslehre im Kontext der Religionstheologie» geht der reformierte Theologe Reinhold Bernhardt davon aus, «dass durch Bezugnahmen auf andere Religionstraditionen Neuperspektivierungen und -akzentuierungen der christlichen Auffassungen erfolgen können und sollen». Sein Buch beantwortet zwei Leitfragen: Verbindet der Monotheismus die monotheistischen Religionen oder trennt er sie nicht ebenso sehr? Und wie verhält sich der Glaube an den einen Gott als Grundüberzeugung von Judentum, Christentum und Islam zum christlichen Verständnis der Dreieinigkeit?

 

Gott ist grösser, deus semper major, allahu akbar

Dass der Monotheismus die monotheistischen Religionen verbindet, wird vom Zweiten Vatikanischen Konzil, vom ÖRK, von jüdischer und muslimischer Seite bejaht. Judentum, Christentum und Islam sind «unterschiedliche Konkretionen des Monotheismus», auch den mystischen Monotheismus gibt es nur in konkreten Ausprägungen der Kabbala, der christlichen Mystik und des Sufismus. Dagegen ist die nicht selten auf Islam und Christentum gemünzte Unterscheidung zwischen «abstraktem» und «konkretem» Monotheismus hochproblematisch, auch wenn zwischen der Gottheit Gottes und den religiösen Gottesbildern, -vorstellungen und -begriffen unterschieden werden muss: «Absolut ist Gott allein, nicht aber das Gottesdenken und die Gottesverehrung der Religionen», verdeutlicht Bernhard im Verweis auf das Erste Gebot und erinnert mit Karl Rahner an den Vorbehalt der letztlichen ‘Vorletztheit’, d.h. Vorläufigkeit und Unangemessenheit aller menschlichen Gottesrede: «Gott als der immer grössere Gott, der in eine von der Welt her entworfene Formel nie eingeht.»

Es folgen Ausführungen zum islamischen Verständnis der Einheit Gottes und zum ethischen Monotheismus. Eigens greift Reinhold Bernhardt das Konzept einer «Abrahamischen Ökumene» auf und diskutiert die Einwände vor allem von evangelikaler und charismatischer Seite gegen die Annahme, dass sich Christen und Muslime in ihrem Glauben auf denselben Gott beziehen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dies in Nostra Aetate 3 und Lumen Gentium 16 explizit kirchenoffiziell bejaht. So erklärte Papst Johannes Paul II. anlässlich einer Begegnung mit muslimischen Jugendlichen in Casablanca 1985: «Wir glauben an denselben Gott, den einzigen, den lebendigen, den Gott, der die Welten erschafft und seine Schöpfung zur Vollendung führt.» Ebenso eindeutig ist der Koran bezüglich der «Leute der Schrift» (=Christen und Juden): «Unser Gott und euer ist einer.» (Sure 29, 46) Zwischen den Glaubenstraditionen von Juden, Christen und Muslimen gibt es tiefe und zum Teil unüberbrückbare Differenzen, doch betont Bernhardt: «Man kann nicht von diesen Differenzen des Gottesverständnisses auf die Differenz des göttlichen Grundes schliessen, auf die sie sich beziehen. Anders an Gott glauben heisst noch nicht, an einen anderen Gott glauben!»

Zudem thematisiert er die von David Hume bis Jan Assmann vertretene These, der Monotheismus sei per se autoritär und intolerant. Erste Überlegungen zum Zusammenhang von Christologie und Trinität zum biblischen Monotheismus sowie zur Frage, wieweit Gott als «Person» bezeichnet und wie die Kategorie der Personalität auf Gott angewandt werden kann, leiten über zum zweiten Hauptteil: Steht ein trinitarisches Gottesverständnis der interreligiösen Verständigung im Weg?

 

Die dreifache Erfahrung der Selbstvergegenwärtigung Gottes

Nach Einwänden aus dem Judentum und dem Islam gegen die christliche Trinitätslehre und einer kritischen Diskussion gegenwärtiger trinitarischer Gotteslehre entfaltet Reinhold Bernhardt sein eigenes Trinitätsverständnis, wobei er ein doppeltes Ziel verfolgt: (1) die ihr zugrunde liegende christliche Glaubenserfahrung transparent zu machen und (2) so auch für Andersglaubende eine grössere Anschlussfähigkeit oder zumindest eine bessere Nachvollziehbarkeit zu erreichen.

Bewusst setzt Reinhold Bernhard glaubensphänomenologisch bei der im Glauben erfassten und bezeugten dreifachen Erfahrung der Gegenwart des einen Gottes an und fragt von dort aus «hinauf» nach dem Wirken und dem Wesen Gottes. Er versteht die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes als ein Denkmodell, das die ansatzhaft schon im Neuen Testament belegte dreifache Prädikation Gottes als Schöpfer, Erlöser und Vollender als die drei Grundgewissheiten des christlichen Glaubens in einen Zusammenhang stellt. Als Strukturprinzip des auf Jesus Christus zentrierten Glaubens an Gott handelt es sich um eine Verstehensanleitung theologischer Reflexion, die das Geheimnis des Wesens Gottes in der Perspektive des christlichen Glaubens tastend, aber nicht begrifflich zu fassen vermag.

Gott über mir, mit mir und in mir: Drei Grunderfahrungen der Beziehung des einen Gottes zur Welt und zum Menschen sind traditionell Thema der sog. «ökonomischen» Trinitätslehre» (von griechisch oikonomia = Heilsgeschichte): das «schöpferische» Wirken Gottes in allem Geschaffenen um uns, das «versöhnende» Wirken Gottes in Jesus Christus als dem für den christlichen Glauben massgebenden «Wort Gottes in Person», und das «vollendende» Wirken in der Kraft seines Geistes.

In Bernhardts Deutung bringt dies die Universalität des göttlichen Heilswillens und Heilswirkens zum Ausdruck: «Dieser Wille und dieses Wirken ist nicht erst im Christusereignis konstituiert, sondern besteht von Ewigkeit her und erstreckt sich über den ganzen Kosmos, über die ganze Geschichte und damit auch über die Religionsgeschichte», verdeutlicht der Religionstheologe. «Wäre das Heil der Menschen erst in Tod und Auferstehung Jesu Christi grundgelegt, würde es allein im Christusglauben zugeeignet und fände es ausschliesslich in der Kirche seine soziale Realisierungsgestalt, dann wären Menschen, die vom Christusglauben unberührt sind und in keiner Beziehung zur Kirche stehen, in einem soteriologisch defizitären Status oder vom Heil Gottes ganz ausgeschlossen.»

 

Die eine Gottheit und die drei «Personen» Gottes

Hinsichtlich des Rückschlusses von der «ökonomischen» auf die «immanente Trinität» (d.h. auf das innergöttliche Wesen) zieht es Reinhold Bernhardt – auf der Linie von Karl Rahners Rede von drei «Gegebenheitsweisen Gottes» – vor, von drei «Beziehungsbewegungen» zu sprechen, die von drei «Beziehungspolen» in Gott ausgehen. Diese Auffassung stehe den biblischen Zeugnissen von der Weltzuwendung und der Menschenfreundlichkeit Gottes näher als die Lehre von drei Gottpersonen, die stets Gefahr laufe, als Dreigötterlehre die Einheit Gottes in Frage zu stellen.

Dabei ist es «immer der eine und ganze Gott, von dem die eine dreidimensionale Beziehung ausgeht und der seine machtvolle schöpferische, heilende und vollendende Präsenz entfaltet.» Der Begriff «Person» ist im Rahmen der immanenten Trinitätslehre problematisch, so Reinhold Bernhardt, der im Anschluss an die griechischen Kirchenväter der alten Kirche lieber von «Gesichtern» sprechen will, das Gesicht sei ja nicht etwas Äusserliches, vielmehr gewähre es einen Einblick ins innere Wesen Gottes: «Wenn die Trinitätslehre christentumsintern, aber auch interreligiös nicht missverstanden werden will, sollte sie nicht als Lehre von drei ‘Personen’ in Gott (bzw. als drei ‘Personen’ Gottes) dargestellt werden. Das heutige Verständnis von ‘Person’ als individueller Subjektivität führe nahezu unvermeidlich zu einem tritheistischen Verständnis.» Auch wenn Gott «mehr» oder «grösser» ist als seine Vergegenwärtigungen, hält Reinhold Bernhardt daran fest, «dass in diesen Selbstmitteilungen die Fülle des Wesens Gottes in uneingeschränkter Authentizität zum Ausdruck kommt».

 

Eine «Christologie im Kontext der Religionstheologie» hat Bernhardt bereits 2021 in «Jesus Christus – Repräsentant Gottes» entfaltet. «Repräsentation» als Leitbegriff der Christologie besagt: «Jesus Christus ist die Vergegenwärtigung des Wortes Gottes und damit Gott selbst. Er repräsentiert dieses ‘Wort’ (d.h. die schöpferische, heilshafte und vollendende Selbstmitteilung Gottes) so authentisch, dass er als dessen personale Realpräsenz erfahren und bezeugt wurde. In ihm begegnet Gott […] Er ist der Mensch, der den ewigen Logos Gottes und damit die Menschlichkeit Gottes verkörpert.»

Diese repräsentationschristologische Interpretation erlaubt die Unterscheidung zwischen dem Repräsentanten – der Person Jesu Christi, die Gott so verleiblichte und vergegenwärtigte, dass er das «Ebenbild des unsichtbaren Gottes» (Kol 1,15; vgl. 2 Kor 4,4) genannt wurde, darin besteht seine Göttlichkeit, als Mensch, der ganz und gar aus der Beziehung zu Gott lebte, verkörpert er zugleich wahres, d.h. gottoffenes Menschsein – und dem, was er repräsentiert: den Heilswillen Gottes.

 

Religionsübergreifende Universalität des Heilswirkens Gottes

Religionstheologisch von Bedeutung ist, dass sich damit die Möglichkeit öffnet, eine Selbstmitteilung Gottes auch über die Offenbarung in Jesus Christus hinaus, d.h. schon vor und auch ausserhalb seiner Wirkungsgeschichte anzunehmen: «In dieser Hinsicht ist Jesus Christus der Offenbarer und Mittler des universalen und unbedingten Heilswillens Gottes. Die ganze Fülle Gottes ist in ihm. Doch es ist dieses eben eine unerschöpfliche Fülle. Und so kann das ‘Wort’ Gottes auch in anderen Gestalten ergehen und so kann Gottes ‘Geist’ auch aus spirituellen Quellen fliessen, die nicht den Namen Jesu Christi tragen. Im hermeneutischen Zirkel des christlichen Glaubens bleibt Christus jedoch das unhintergehbare Kriterium für die Bestimmung des ‘Wortes’ und für die Unterscheidung der Geister. Ein Geist, der seiner Geisteshaltung widerspricht, kann demnach nicht Geist vom Geist Gottes sein.»

 

Wie bilanziert Reinhold Bernhardt das Verhältnis von Trinität und Monotheismus? So wie die Trinität die dreifache Zuwendung Gottes zur Welt und zum Menschen zum Ausdruck bringe, so stehe der Monotheismus für das Moment der Transzendenz und Entzogenheit Gottes (Meister Eckhart stellte sogar Gott die Gottheit gegenüber, Paul Tillich den Gott über dem Gott des Theismus). Das für das monotheistische Gottesverständnis zentrale Bedeutungsmoment der Einheit sei (auch muslimisch) dynamisch zu verstehen: «Es ist keine in sich ruhende, sondern eine sich entäussernde und wieder zusammenführende Einheit», erläutert der Basler Systematiker. Sie sei «demnach keine numerische, mathematische oder quantitative, keine erratische Einheit, Einfachheit oder Einzigkeit, sondern eine prozesshafte, lebendige, bewegte und bewegende, die auf All-einigkeit zielt, auf das Einswerden der Menschheit unter der Herrschaft des einen und einziges Gottes (vgl. Sach 14,9; 1 Kor 15,28).»

«Wie die Christusoffenbarung so müssen auch die Zentraloffenbarungen der Thora und des Korans ihre Adressaten immer wieder neu erreichen und von ihnen an- und aufgenommen werden. Das geschieht nach christlichem Verständnis im geistgewirkten Glauben, nach islamischer Auffassung in der Rezitation des Korans und der göttlichen Rechtleitung, nach jüdischer Überzeugung in der Lesung und der aktualisierenden Auslegung der Thora, sowie in den individuellen und kollektiven Kult- und Lebensformen der Glaubensgemeinschaft, die sich daran orientiert. Sofern auch auf jüdischer und islamischer Seite in diesen Erhellungs- und Transformationswirkungen Gott selbst ‘am Werk’ gesehen wird, besteht eine Analogie zur christlichen Rede vom Heiligen Geist.»

Das Fazit? Ohne die tiefgreifenden Unterschiede zwischen jüdischem, christlichem und islamischem Gottesverständnis zu nivellieren, lasse eine pneumatologisch basierte Religionstheologie die Religionen als «potenzielle Ereignisräume der wirksamen Geistesgegenwart» sehen. Doch ohne wie die Pluralistische Theologie der Religionen (etwa Perry Schmidt-Leukels «Wahrheit in Vielfalt») mehrere äquivalente Offenbarungen und Mittler zu postulieren und ohne pauschale Anerkennung anderer Religionen als «Heilswege» könne dies nur als eine im Glauben an den die ganze Schöpfung umspannenden und durchdringenden Geist Gottes begründete Möglichkeit christlich bejaht werden. Das von Bernhardt verfasste Impulspapier der Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds «Der christliche Glaube und die Religionen» (2007) trägt denn auch den Titel «Wahrheit in Offenheit».

Christoph Gellner

 

Reinhold Bernhardt: Monotheismus und Trinität. Gotteslehre im Kontext der Religionstheologie, TVZ, Zürich 2023, 327 S.

Reinhold Bernhardt: Jesus Christus – Repräsentant Gottes. Christologie im Kontext der Religionstheologie, TVZ, Zürich 2021, 386 S.