Unterwegs zu einer zeitgenössischen Liturgiesprache

     

 

Statt einen Fremdsprachenkurs in «Kirchisch» macht Stephan Schmid-Keiser Poesie und Lyrik als Königsweg zu einer zeitsensiblen, menschennahen Liturgie stark. Christoph Gellner stellt sein neues Buch vor, das gerade Kolleginnen und Kollegen in der Seelsorge ansprechen will.

 

Eine rein binnenkirchliche Sprache ist auch innerhalb der Kirche nur einem immer kleiner werdenden Kreis verständlich, betont Birgit Jeggle-Merz in ihrem Vorwort zum neuen Buch von Stephan Schmid-Keiser. Liturgische Sprache auf die Menschen von heute hin zu formulieren, damit sie einen Zugang finden zu den Feierformen des Glaubens, sei kein einfaches Unternehmen. Neben dem Respekt vor dem hier gefeierten Geheimnis bedarf es grosser theologischer Kompetenz, sprachliches Vermögen und eine konsequenten Zeitgenossenschaft mit Männern und Frauen der Gegenwart.

 

Zeit- und gottesdienstgemässe Sprache, die das Mitfeiern heutiger Menschen ermöglicht

Neben dem vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderten Heutig-Werden des christlichen Glaubens muss das Sprachkleid der Feiern dieses Glaubens zeit- und gottesdienstgemäss angepasst werden, umschreibt der Luzerner Theologe Stephan Schmid-Keiser (*1949) seine doppelte Zielsetzung.

Der langjährige Seelsorger und Gemeindeleiter zitiert den grossen Brückenbauer zwischen Kunst und Theologie, Alex Stock, der eine innovative «Poetische Dogmatik vorlegte und pointiert das Dilemma der «halbierten» Liturgiereform beschrieb: «Die neue muttersprachliche Liturgie wurde nicht originär aus dem literarischen Potential der jeweiligen zeitgenössischen Sprachkultur geschaffen, sondern als Übersetzung einer vorab in lateinischer Sprache und römischem Geist verfassten Liturgie.»

 

Der Poesie im liturgischen Sprachspiel Raum geben

Um sich auf die Suche nach einer angemessenen Liturgie-Sprache für unsere Zeit zu machen, empfiehlt Schmid-Keiser die Beschäftigung mit Dichtung, Lyrik und Poesie als Königsweg zu einer sprach- und zeitsensiblen Liturgiesprache. «Programmatisch lässt sich sagen, dass die Sprache in Gottesdiensten sowohl geisterfüllt wie authentisch, sowohl kontemplativ Schweigen einbeziehend und zulassend wie auch bildhaft gestaltet werden will.»

Stephan Schmid-Keiser bietet denn auch eine Fülle von lyrisch-spirituellen Texten als Inspiration für christliche Gottesdienstgestaltung. Neben Verweisen auf einschlägige Reflexionen von Paul Ricoeur oder Mirja Kutzer über die Logik literarischer und religiöser Sprache erschliesst ein Grossteil seiner anregenden Ausführungen die lyrisch-meditative Ausdruckswelt von Rose Ausländer, Hilde Domin und insbesondere von Silja Walter. Die Theopoesie Dorothee Sölles und Christa Peikert-Flaspöhlers zieht er ebenso als Sprachschule für Seelsorgerinnen und Seelsorger heran wie neuere liturgische Sprechversuche und Texte. Auch die Musik im Gottesdient bezieht er in seine Überlegungen mit ein.

Wichtige Inspirationen zum Aufbrechen verkrusteter Liturgiesprache heute findet Schmid-Keiser bei literarischen Grenzgängern wie Philippe Jaccottet und Peter Handke, beim US-amerikanischen Lyriker Robert Lax, der periodisch Gast im Luzerner Priesterseminar und in seinen Gedichten der Stille und dem Schweigen auf der Spur war, oder beim Exiliraner SAID, der mit seinen renitenten Gebeten Bibelpoesie und moderne Psalmdichtung aus muslimischem Geist fortschreibt. Besonders eingehend beschäftigt sich Schmid-Keiser mit dem evangelischen Pfarrerdichter Christian Lehnert, der das Liturgiewissenschaftliche Institut der VELKD an der Universität Leipzig leitet.

Mit Martin Walser ermuntert das Schlusskapitel «Kein Abgesang» zu fragen, was fehlt, wenn Gott fehlt, ja, das abgründige Geheimnis von Welt und Mensch keinen Ausdruck und keine Sprache findet.

 

Stephan Schmid-Keiser: Und wenn sie doch mehr von Gott erzählten … Auf der Suche nach einer angemessenen Liturgiesprache. Pustet: Regensburg 2021, 253 S.