Wider den Kirchensprech: Be in your own voice

     

 

Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“: Provokant seziert der 30-jährige Kommunikations- und Politikberater Erik Flügge den Wirklichkeitsverlust kirchlicher Verkündigung, die in wortmächtiger Sprachlosigkeit nur ihre Relevanzlosigkeit überspielt. Christoph Gellner signalisiert in seiner Besprechung Zustimmung mit Vorbehalten.

 

„Verschrobene, gefühlsduselnde Wortbilder reiht ihr aneinander und wundert Euch, warum das niemand hören will. Ich will wieder mehr hören als die Zitate der Vergangenheit“: Eric Flügge (Jahrgang 1986) stellt sich in seinem anregend-provozierenden, 160-seitigen Buch „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ (Kösel 2016) als „Werbefuzzi“ vor, der aus der Kirche komme, ihr heute aber denkbar fern stehe – in seiner Jugend war er Ministrant, engagierte sich in der kirchlichen Jugendarbeit und studierte einige Semester Theologie.

 

Zu Recht kritisiert er die bloss repetierend-redundante Phrasenhaftigkeit und belanglos-verharmlosende Beliebigkeit kirchlicher Verkündigung, Predigt und Liturgie. In der Tat bedingt der Rückzug in einen kirchlichen Binnenkosmos ein selbstreferentielles Sprechen im immer kleiner werdenden Theotop (Georg Langenhorst), in das nur wenig von aussen eindringt, gleichzeitig werden die Barrieren für Aussenstehende immer grösser. Zwei Extreme benennt Flügge: zum einen die banalisierende Vereinfachung und Vergemütlichung der christlichen Botschaft, die einen weichgespülten Einheitsbrei ergibt, der keinem wehtut, zum anderen die überfordernd-verschwurbelte Unverständlichkeit verkopfter Sprachbilder: „Der Kirche zuzuhören ist, als wandle man zwischen dem Vorlesungssaal von Habermas und der Kindertagesstätte Pusteblume hin und her. In beiden Fällen bin ich fehl am Platz. Ich wünsche mir den universitären Tiefgang auch in der allgemeinen religiösen Verkündigung – nur eben so versprachlicht, dass man ihn versteht.“ In seinen praxisnahen Ausführungen zeigt er grösseres Problembewusstsein als die im Waschzettel annoncierten „Strategien für eine zeitgemässe Sprache, damit Kirche bei den Menschen ‚ankommt‘“. Ausdrücklich empfiehlt Flügge: Relevanz, starke Emotionen, Pointiertheit, theologischen Tiefgang, was viel mehr ist als nur eine Frage der Technik. Vor allem glaubt er an die Wirkmacht der Sprache als dem wichtigsten Instrument authentischer Glaubenskommunikation.

 

Flügges Buch gegenüber gibt es zwei Reaktionsmöglichkeiten: man/frau kann seine Provokation als heilsame Kritik am Kirchen-Bla-Bla lebhaft begrüssen („Endlich spricht es einer aus!“) oder sie als zu undifferenziert und zu pauschal abwehren, breitere Erhebungen anmahnen zur Absicherung seiner subjektiven Eindrücke bzw. auf tiefschürfendere Analysen der kirchlichen Sprachkrise verweisen, von denen es nicht wenige gibt. Während des Lesens neigte ich stets beiden Reaktionsweisen zu. Auch wenn mir Flügges Buch aufs Ganze zu kurz zu greifen scheint, empfehle ich Interessierten die Lektüre, die Substantielleres zu bieten hat als den auf den Klappentext gesetzten Vorschlag: „Sprecht doch einfach über Gott, wie ihr bei einem Bier sprecht. Dann ist das vielleicht noch nicht modern, aber immerhin mal wieder menschlich, nah und nicht zuletzt verständlich.“ Wirklich ärgerlich an dem Buch ist das reisserische Verlagsmarketing, was nicht zuletzt den sensationsheischenden Titel betrifft …

 

Keine Frage: Für viele Zeitgenossen ist die überkommene Sprache kirchlicher Verkündigung zu einer Fremdsprache geworden. Durch ihre stereotype Handhabung entfernt sich kirchliche Glaubenssprache immer weiter von den alltäglichen Lebenserfahrungen und bringt sich gerade so um ihre lebenserschließende, -prägende Kraft. Zugleich sind heute viele Frauen und Männer (auch und gerade im Raum der Kirche, Flügge weiss von manchen zu erzählen) auf der Suche nach neuen religiösen Sprach- und Ausdrucksformen, die sie konkret und persönlich angehen, die sie in ihrem Lebenskontext, ihren Fragen, Hoffnungen und Ängsten betreffen. Dabei geht es nicht bloss um eine rhetorisch aufgehübschte Neuverpackung, sondern darum, dass sich christlicher Glaube in der Denk-, Sprach- und Lebensweise der jeweiligen Gegenwart je neu als lebensbedeutsam erweist. Wo es an der rechten Sprache mangelt, steht die theologische Sache selbst auf dem Spiel. Die Klärung ihrer Sprache ist daher identisch mit dem Begreifen ihrer Sache. Es braucht darum engagierte und couragierte Versuche, das Grundanliegen des Christseins immer wieder neu und damit anders auszusprechen, dies wird immer auch neue Inhalte mit einschließen, neue Perspektiven in Spannung zu traditionellen Vorgaben – nicht zufällig markiert die Gegenwartsliteratur ein besonders sensibles Feld solcher Sprachsuche und neuer Sprachermöglichung für Religiös-Spirituelles. So sprach sich der jüngst verstorbene Schweizer Kapuziner Anton Rotzetter für eine kreative Fort- und Weiterentwicklung, ja, für die schöpferische Über-Setzung traditioneller Liturgie-, Gebets- und Predigtsprache ins Heute aus und forderte: Gottesdienst, Gebet und Predigt müssen gleichermaßen den Charakter des Poetischen unserer Zeit haben wie aus der spirituellen Kernerfahrung des Biblisch-Christlichen heraus leben (An der Grenze zum Unsagbaren. Für eine zeitgemäße Gebetssprache in der Liturgie, Ostfildern 2002).