Vielgestaltiges Christentum in der Schweiz – vielfältige Lernprozesse

     

Wie christliche Gemeinschaften, intrakonfessionell oder überkonfessionell, mit und ohne Migrationsgeschichte, voneinander lernen und einander bereichern können (Überlegungen von Dorothee Foitzik).

 

Die Liturgie für den ökumenischen Weltgebetstag der Frauen oder für andere Weltgebetstage wird von einer Gruppe aus jeweils einem anderen Land oder einer Region der Erde vorbereitet.

Unter dem Motto „Informiert beten – betend handeln“ umfasst das Format einer Weltgebetstagsfeier neben der Feier der Liturgie meist Informationen über das Herkunftsland sowie das Kennenlernen der Kulturen mit allen Sinnen (Symbole, Früchte, Speisen und Getränke, Literatur, bildende Kunst, Musik und Tanz).

In den letzten Jahren konnten zur Mitgestaltung des Informations- und Begegnungsteils zunehmend Personen eingeladen werden, die in der Schweiz leben und deren Migrationsgeschichte sie zugleich mit dem Herkunftsland der Liturgie verbindet. Sie informieren über ein Land, aus dem sie selbst oder ihre Vorfahren – vor langer Zeit oder erst seit kurzem – in die Schweiz immigriert sind.

Christinnen und Christen mit Migrationsgeschichte können Mitglieder von Migrationsgemeinden sein oder im Rahmen ansässiger katholischer oder reformierter Gemeinden leben und feiern, manche sind Mitglieder von Freikirchen. Es gibt auch Kontakte zu Angehörigen christlich-orthodoxer Gemeinschaften. Über die diakonische Arbeit der Kirchgemeinden entstehen gelegentlich auch Kontakte zu Angehörigen anderer Religionen, die gerne bereit sind mitzutun.

Bereichernd und herausfordernd zugleich sind Gespräche in der Vorbereitung und rund um die Feier selbst: Austausch zu Fragen des Alltags-Lebens und des Glaubens, zur Religiosität, über Politik, Wirtschaft, Gott und die Welt. Häufig kommen Themen eines Lebens „zwischen den Kulturen“ zur Sprache.

 

Koexistenz „vielfältiger Christentümer“

Die Koexistenz „vielfältiger Christentümer“ prägt inzwischen viele Regionen der Schweiz. Eine Studie des Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) gibt einen spannenden Einblick in diese Vielfalt, in Themen und Spezifika, in unterschiedliche Organisationsformen und in verschiedene Stile, das Christsein zu leben[1].

Viele christliche Gemeinden in der Schweiz sind längst interkulturell und multinational geworden. Jede Kultur und jedes Herkunftsland birgt einen reichen Schatz an christlichen Glaubenstraditionen und eigener christlicher Sozialisation. Es verändern sich auch die muttersprachlichen Gemeinden, in der katholischen Schweiz „Missionen“ genannt. Häufig sind dort nicht mehr ausschliesslich Menschen aus einem speziellen (europäischen) Land anzutreffen, es wandern auch Personen von anderen Kontinenten zu und tragen zur kulturellen Vielfalt auch der „fremdsprachigen“ Missionen bei. Die notwendige Kommunikation und wechselseitige Integration fordern heraus, Anregungen geben Impulse aus der interkulturellen Arbeit der (nicht-kirchlichen) Organisationen.[2]

 

Wie können wir voneinander lernen?

Wo Menschen verschiedener Kulturen in einem Land zusammen leben, gilt es, einander mit Neugier und Respekt zu begegnen, sich aufeinander zu beziehen und voneinander zu lernen. Fragen sollten gestellt werden: Was ist dir an deiner Art zu glauben besonders wichtig? Welche Traditionen deines Herkunftslandes hast du selbst mitgebracht oder wurden dir vermittelt und wie lebst du sie in der Schweiz? Wie liest du die Bibel? Welche Gebete sind dir vertraut? Welche Bräuche und Rituale pflegst Du und gibst du an deine Kinder weiter? Religion und Religiosität sind immer auch kulturell vermittelt.

Besondere Aufmerksamkeit gilt den Menschen, die sich – nicht nur kirchlich – bereits zwischen verschiedenen kulturellen Einflüssen bewegen. Sie können Brückenbauende sein, ihre Ressourcen einerseits und ihre Bedürfnisse anderseits sollten in die Organisation seelsorglicher und katechetischer Aktivitäten einfliessen können.

 

Wo können wir voneinander lernen?

Der interkulturelle Austausch in Pastoral und Katechese muss auf verschiedenen Ebenen immer wieder neu organisiert werden. Wie können beispielsweise Menschen mit verschiedenem soziokulturellem Hintergrund innerhalb der gleichen Konfession über gelegentlich stattfindende Anlässe hinaus einander begegnen und voneinander lernen? Wie können sie, auch zusammen mit Angehörigen anderer Konfessionen, als Christinnen und Christen in der Gesellschaft auftreten und sich z.B. in sozialen Fragen Gehör verschaffen?

Anlässlich der Weltgebetstage werden die sozio-kulturellen und politischen Realitäten eines bestimmten Landes bewusst in die vor Ort versammelte, ihrerseits multi-kulturelle, multinationale und multi-konfessionelle christliche Gemeinde hineingetragen. Andernorts bietet der Tag der Völker Anlass zur Feier eines gemeinsamen Gottesdienstes und zur Begegnung unter Katholikinnen und Katholiken. Erschöpft sich die Vorbereitung nicht in der Klärung organisatorischer Fragen und im Kennenlernen des jeweiligen kulinarischen Angebots, können solche Begegnungen Anlass zum Austausch und zum Lernen sein.

Gemeinsame Feiern einerseits und diakonische Angebote anderseits sind Türöffner zum informellen, interkulturellen Lernen. Formale Lernprozesse werden meist über Kinder und Jugendliche geplant und organisiert. Sie begegnen sich in der öffentlichen Schule, für katechetische Prozesse werden sie in den „einheimischen“ Pfarreien und Pastoralräumen zusammengerufen. Die Arbeit mit Erwachsenen beschränkt sich meist auf Eltern, die zu diesen Kindern und Jugendlichen gehören. Der Kontakt findet im Rahmen der Sakramentenkatechese statt, danach kehren die Erwachsenen wieder in ihre sprachenhomogene Gemeinschaft zurück.

Für den Bereich der interkulturellen Katechese gibt es bereits gute Angebote, beispielsweise die Broschüre „Interkulturelle Katechese. Religionspädagogische Basics für katechetisch Tätige Primarstufe“, herausgegeben von der Fachstelle für Religionspädagogik der Katholischen Kirche im Kanton Zürich, sowie die zugehörigen Arbeitsmaterialien für Lektionen in den Klassen 1-3 und 5-6. Die Materialien gibt es in den Sprachen Deutsch, Spanisch und Portugiesisch.[3]

In der Broschüre finden sich auch Hinweise auf Themen und Anlässe einer kultursensiblen Erwachsenenkatechese: „Bei der Realisierung interkultureller Katechese mit Erwachsenen sind besonders das Thema ‚Heimat‘ und die damit verbundenen Schlüsselerfahrungen angemessen zu berücksichtigen (…).Kultursensible Erwachsenenkatechese will die Beteiligten befähigen, ihre konkrete Lebenssituation so mit dem christlichen Glauben in Verbindung zu bringen, dass sie ihr eigenes Leben und die interkulturelle Begegnung als Gestaltwerdung des Reiches Gottes erfahren“.[4]

 

Was wir voneinander lernen können

Kirche war und ist in Bewegung, Katholikinnen und Katholiken sind in Bewegung, Christinnen und Christen sind in Bewegung. Was sie voneinander lernen können, wird im jeweiligen Feld unterschiedlich sein. Lernprozesse können das persönliche Glaubensleben betreffen, die Feierkultur, die Inkulturation theologischer Inhalte, aber auch die Gestaltung der Generationenverhältnisse, das sozial-diakonische Engagement, Organisationsprozesse, verschiedene Herangehensweisen an Fragen und Aufgaben im jeweiligen Sozialraum. Eine gemeinsame Herausforderung betrifft sicher das Aufgreifen der Bedürfnisse (junger) erwachsener Menschen, die nicht über einen familienbezogenen Zusammenhang mit einer Gemeinde oder kirchlichen Gemeinschaft in Kontakt kommen. Hier braucht es die Sensibilität für deren Beitrag, ihre Ressourcen und geeignete Partizipationsmöglichkeiten.

[1] Albisser, Judith / Bünker, Arnd (Hg.): Kirchen in Bewegung. Christliche Migrationsgemeinden in der Schweiz, St. Gallen (Edition SPI) 2016, 250 Seiten. ISBN: 978-3-906018-14-0

[2] Vgl. auch: migratio. Dienststelle der Schweizer Bischofskonferenz für die Pastoral von Migranten und Menschen unterwegs. Dokumentation des Studientags am 16 September 2015: Wie viel und welche Katholizität ist möglich? Kirche im Zeichen der Migration und des gesellschaftlichen Wandels

[3] Interkulturelle Katechese. Religionspädagogische Basics für katechetisch Tätige Primarstufe, Fachstelle für Religionspädagogik, religionspädagogik@zh.kath.ch; www.religionspaedagogikZH.ch

[4] Interkulturelle Katechese, s. 14

Einen umfassenden Einblick in die Grundlagen der interkulturellen Katechese sowie in zahlreiche Anregungen für die praktische Umsetzung gibt auch das Buch von Monika Scheidler, Claudia Hofrichter, Thomas Kiefer (Hg.) Interkulturelle Katechese. Herausforderungen und Anregungen für die Praxis, herausgegeben vom Deutschen Katecheten-Verein, München 2010, 270 Seiten. ISBN: 978-3-88207-393-5