Die Erwachsenenbildung in der Transformationskrise der Kirche – Thesen

     

  1. Das Konzept „Kirche“, das von exklusiver Mitgliedschaft, lebenslanger Gefolgschaft und umfassender religiöser Biografiemacht ausging, wird zunehmend dysfunktional. An die Stelle normativer Integration tritt auch im religiösen Feld situative, temporäre, erlebnis- und intensitätsorientierte Partizipation. Wir sind Zeugen der Verflüssigung der Kirchen als religiöse Herrschaftssysteme. Das betrifft alle in ihr.
  2. Die christliche Religion ist ein Bildungsinhalt par excellence, nicht nur, weil es in ihr um die größten denkbaren Kontraste und Differenzen, jene zwischen Gott und Welt, zwischen Schöpfung und Erlösung, zwischen Gut und Böse geht, sondern auch, weil sie das Ziel jedes Bildungsprozesses, die Menschwerdung, teilt und als Menschwerdung vor Gott und in Gottes Liebe fasst.
  3. Was ist das Stigma der katholischen Erwachsenenbildung? Alles ein wenig zu machen und für nichts ganz zu stehen. Wie kann daraus ein Charisma werden? Wenn katholische Erwachsenenbildung es schafft, aus dem Kontrast und der Vielfalt ihrer Themen etwas Kreatives zu machen, sie also weder banal zu harmonisieren, noch autoritär zu hierarchisieren, noch additiv zu summieren, sondern zur wechselseitigen Erschließung zu nutzen.
  4. Die katholische Erwachsenenbildung sollte sich als „Bildungspastoral“ begreifen. Sie ist Pastoral, denn in ihr geht es wie in jedem kirchlichen Handeln, um die kreative, situative Konfrontation von Evangelium und Existenz in Wort und Tat. Das zu leisten ist ihre Kirchlichkeit.
  5. Katholische Erwachsenenbildung als pastoralen Handlungsort der Kirche zu entwerfen bedeutet, sie dort zu situieren, wo seit einiger Zeit das Leben aller Christen und Christinnen angesiedelt ist: im Kontrast von Innen- und Außenperspektive auf den Glauben. Die katholische Erwachsenenbildung könnte ein herausgehobenes Experimentierfeld darstellen, auf dem die säkulare Bedeutsamkeit des Glaubens und der religiöse Sinn des Säkularen heute entdeckt werden kann.
  6. Als „Pastoral zweiter Reflexionsstufe“ wäre kirchliche Erwachsenenbildung ein zentraler Ort der Arbeit gegen die drohende Exkulturation des Christentums aus spätmodernen Gesellschaften. Das setzt freilich voraus, dass sich katholische Erwachsenenbildung einmischt in das Gespräch um die zukünftige Pastoral der Kirche.

Professor Dr. Rainer Bucher, Graz