Seelsorge und Theologie 60plus

     

 

Oberthema: Der Sinn des Lebens. Fünfzehn Teilnehmende – fast alle deutlich über der Grenze der Pensionierung – tauschen in einer Matinee zum Thema «Mit Sterben, Tod und Trauer umgehen» ihre eigenen Erfahrungen mit Abschiednehmen und Trauer aus. Die Atmosphäre ist dicht. Die meisten haben schon mehrere Angehörige im engeren Lebenskreis verloren. Sie erzählen sichtlich bewegt, aber durchaus offen und frei davon. Sie sagen, was ihnen Mühe machte im Trauerprozess und was ihnen geholfen hat. Es tut ihnen gut, ähnliche Erfahrungen von andern zu hören. Seelsorge geschieht schon allein dadurch, dass der Raum und die Atmosphäre gegeben sind für solchen Austausch. Diese seelsorgerliche Atmosphäre hat in sich einen unschätzbaren Wert und öffnet zugleich von innen heraus für vertiefende theologische Impulse zu Abschied und Trauer – und zur Frage: Worauf dürfen wir hoffen?

 

Was in dieser Momentaufnahme geschieht, zeigt gleich mehrere spannende Aspekte gelingender Bildungsprozesse:

  1. Bildungsprozesse in Sachen des Glaubens gelingen dort, wo die Teilnehmenden auch seelisch weiterkommen, gestärkt und ermutigt werden. Seelsorge ist ja nicht in erster Linie etwas, das Profis im Dienste von ihnen anvertrauten Gläubigen tun. Für die eigene «Seele», das innere Gleichgewicht, die innere Stärke ist zunächst jeder und jede selbst verantwortlich. Wer sich deshalb für eine Reihe von sieben Matineen zum Thema «Der Sinn des Lebens» anmeldet, der oder die möchte nicht einfach stimmige theologische Theorien hören, sondern dem Sinn des Lebens auf die Spur gehen. Das ist nicht zuletzt eine existenzielle, seelsorgerliche Spurensuche. Theologische Bildung, die nicht auch seelsorgerlich wirkt, verfehlt deshalb in solcher Situation ihre ureigene Bestimmung.
  2. Wer im Rahmen von «Theologie 60plus» an einer Themenreihe teilnimmt, die oder der bringt schon einen gut gefüllten Rucksack an Lebens- und Glaubenserfahrung mit. Diese Rucksäcke der Teilnehmenden müssen ausgepackt werden dürfen, will heissen: Den Lebenserfahrungen der Teilnehmenden soll in den Matineen Raum gegeben werden. Sie bilden einen wesentlichen Bestandteil der Matineen. Alle «Kunden» von Theologie 60plus bringen schon eine breite und reiche Lebensbiografie mit. Der Austausch untereinander über ähnliche und über unterschiedliche Erfahrungen ist spannend und meist allseits willkommen. Die Teilnehmenden lernen dabei nicht nur vom Referenten, sondern auch voneinander. Das hat in jüngerer Zeit nicht zuletzt die sogenannte «Biografiearbeit» didaktisch und methodisch genauer reflektiert.[1] Freilich bedingt das im Setting der einzelnen Matineen angemessene und methodisch geschickt eingebaute Zeiten und Gefässe für Erzählen und Zuhören.[2]
  3. Zwar belegt beispielsweise der Erfolg von Seniorenuniversitäten, dass Menschen im fortgeschrittenen Alter sich grundsätzlich in einer traditionellen Bildungsveranstaltung wohlfühlen und gerne einen «zünftigen» Vortrag hören. Dennoch genügt bei existenziellen Themen – wie die obige Momentaufnahme zeigt – das deduktive Setting von «Vortrag mit Diskussion» den Ansprüchen der Teilnehmenden nicht. Vielmehr sollen die Erfahrungen der Teilnehmenden Ausgangs- und Angelpunkt der Matinee bilden. Diesbezüglich hat das jüngste Konzil in seiner Pastoralkonstitution schon in ihrem ersten Satz einen neuen Massstab gesetzt, der bis heute aktuell und brisant geblieben ist. «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger (und Jüngerinnen) Christi…»[3] Pastoral, Seelsorge und Bildung müssen demnach ausgehen von den Freuden und Sorgen, den Ängsten und Hoffnungen der Menschen von heute. Das bedeutet eine Transformation von einem deduktiven zu einem induktiven Vorgehen. Am Anfang und im Zentrum steht das, was die Menschen an Erfahrungen machen und was sie umtreibt: ihre Lebenserfahrungen und ihre Lebensumstände. Während Lebenserfahrungen sich biografisch erschliessen lassen, verlangen die Lebensumstände – die Welt, in der wir leben, bzw. nach dem Konzil «die Zeichen der Zeit» – nach einer gründlichen Analyse und «Erforschung» (GS 4). Erst auf dieser Basis (sehen) kann in einem zweiten Schritt gefragt werden, was die Bibel bzw. das Evangelium dazu theologisch meint (urteilen), und lässt sich alsdann in einem dritten Schritt überlegen, welche Konsequenzen sich daraus für unsere Lebensperspektiven und -optionen ergeben (handeln).

Fazit: Theologische Bildung hat eine innerliche Nähe zur Seelsorge. Je älter das Zielpublikum ist, desto reicher ist der Schatz an Lebenserfahrung und desto enger verzahnt sind Bildung und Seelsorge – auch in den Erwartungen der Teilnehmenden. Das macht biografisches Lernen besonders bei existenziellen Themen unabdingbar und gewinnbringend. Es bewährt sich nicht zuletzt in den Matineenreihen von «Theologie 60plus». Dabei handelt es sich vor diesem Hintergrund um ein Bildungsformat, das Zukunft hat und ausbaufähig ist.

PS: Die Ausgestaltung der Themenreihen von «Theologie 60plus» mit jeweils sieben Matineen à eineinhalb bis zwei Stunden ist bewusst gewählt, weil Menschen im fortgeschrittenen Alter, die tagsüber keine beruflichen Pflichten mehr haben, oft lieber vormittags an einem Bildungsanlass teilnehmen als abends; und vielfach benutzen sie die Gelegenheit, danach noch vor Ort einzukaufen oder jemanden zu treffen. Auch dies gehört zu ganzheitlicher Bildung.
Mehr Informationen zu den einzelnen Themenreihen und zu ausgeschriebenen Kursen für Herbst 2018 siehe unter: https://www.tbi-zh.ch/theologie-60-plus/

 

[1] Vgl. z. B. Hubert Klingenberger / Erika Ramsauer, Biografiearbeit als Schatzsuche. Grundlagen und Methoden, München 2017.

[2] Vgl. ebd. 142ff.

[3] Pastoralkonstitution Gaudium et spes 1 (abgekürzt: GS 1).