Schöpfung – eine Vision von Gerechtigkeit

     

Andreas Benk, Schöpfung – eine Vision von Gerechtigkeit. Was niemals war, doch möglich ist, Ostfildern 2016.

 

Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag: „Schöpfung? Ein Missverständnis. Bei Schöpfung geht es nicht um Weltentstehung und längst nicht nur um Umweltschutz. Wer Schöpfung sagt, fordert globale Gerechtigkeit. Wer auf Schöpfung setzt, entscheidet sich zum Widerstand gegen eine verkehrte Welt und besteht darauf, dass es zu ihr eine lebens- und menschenfreundliche Alternative gibt.“ (11)

Damit kündigt der Autor gleich zu Beginn eine fundamentale Korrektur bisheriger Schöpfungstheologie an. Lange genug nämlich hat sich die Schöpfungstheologie seit der Neuzeit und bis in die Gegenwart hinein in der Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften verheddert. Das Ergebnis war wenig überzeugend; dies führte unaufhaltsam zu einem Plausibilitätsverlust der christlichen Rede von Schöpfung. Für Andreas Benk ist das nicht weiter verwunderlich, denn die Naturwissenschaft ist für das, was die biblischen Schöpfungstexte bezwecken, die falsche Gesprächspartnerin. In den biblischen Schöpfungserzählungen und Schöpfungsliedern geht es mitnichten um die Entstehung der Welt oder des Kosmos, sondern viel grundsätzlicher um „visionäre Utopien“ (17) von einem lebensfreundlichen und gerechten Zusammenleben der Menschen im Hier und Jetzt. Es sind U-topien, weil sie in Zeiten grosser Bedrängnis gegen die ungerechte Wirklichkeit, gegen die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Anschlag gebracht werden. Es sind Visionen, Hoffnungsbilder und Protestlieder zugleich. Sie wollen ermutigen, das, was bisher noch niemals war, für möglich zu halten (Untertitel) und gegen alle Widerstände darauf hinzuarbeiten. Das ist die ureigene Rolle und Funktion aller visionären Schöpfungstexte in der Bibel. Angemessene Bezugswissenschaften für die Schöpfungstheologie sind deshalb nach Benk nicht Naturwissenschaft und Biologie, sondern – wenn schon – Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie die christliche Sozialethik.

Während bis heute sehr oft stabilisierende Schöpfungstheologie und Schöpfungsordnung (z. B. in sexualethischen Fragen oder in Bezug auf die Rolle der Frauen in der Kirche) und befreiende Exodustradition unversöhnt in Spannung nebeneinander stehen, ist für Andreas Benk gerade die Exodustheologie der unabdingbare Kontext, in dem die schöpfungstheologischen Texte zu deuten sind. Als weiterer Kontext ist die alttestamentliche Prophetie zu berücksichtigen, die ebenfalls von einer visionären Theologie zeugt und ihrerseits nachhaltigen Einfluss auf die Exodustheologie ausgeübt hat. Von daher versteht Benk Jesu prophetische Reich-Gottes-Botschaft als „eine auf seine Zeit bezogene Dramatisierung visionärer Schöpfungstheologie“ (237f).

Der schöpfungstheologische Entwurf von Andreas Benk ist der Theologie der Befreiung verpflichtet und zeitigt entsprechende Konsequenzen in Sozialethik und Politik, aber auch für globale gerechtigkeitsfördernde Bildung und für die Einübung einer theologisch verankerten Widerstandskultur. Dies provoziert die Leserin und den Leser zu einer eigenen Stellungnahme – wie vor einigen Jahren schon Benks Buch zur Gottesfrage (mit dem aufwühlenden Titel: „Gott ist nicht gut und nicht gerecht“).

Das Buch liest sich sehr spannend. Andreas Benk versteht es, gut lesbar zu schreiben und pointiert zu formulieren, ohne dabei die Komplexität des Themas zu überspielen. Theologisch-inhaltlich liefert er mit seinem Buch eine längst überfällige Korrektur an der herkömmlichen Behandlung des Themas Schöpfung nicht nur in der Theologie – besonders in der Dogmatik –, sondern auch in Katechese und Erwachsenenbildung. Dem Buch sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen, damit die Vision einer gerechten Welt, die niemals war, doch immer mehr möglich wird.

Felix Senn

 

Der Autor:

Dr. Andreas Benk, geb. 1957, ist Professor für Katholische Theologie/Religionspädagogik am Ökumenischen Institut für Theologie und Religionspädagogik der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.