Geschmack von Leben

     

Die Luzerner Theologin Jacqueline Keune legt mit ihrem neuen Buch 50 kurze Texte vor. „Scheunen voll Wind“ enthält „Gebete und Gedichte“, so der Untertitel, die animieren wollen, Leben neu ins Gebet zu nehmen. Sie regen zum Nachdenken und Meditieren an und laden zum praktischen Einsatz in der Gottesdienst- und Liturgiegestaltung ein wie das prägnante Gottesgedicht „Du“:

Keine Sehnsucht

deinem Himmel zu weit.

Keine Schuld

deiner Huld zu breit.

Kein Fallen

deinen Händen zu tief.

 

Für ihr spirituell wie politisch sensibles literarisches Schreiben erhielt Jacqueline Keune 2011 den „Preis des religiösen Buches“ der Vereinigung des katholischen Buchhandels der Schweiz. Programmatisch deutet das Gedicht „Hunger“ – dem die Titelmetapher des Bandes entnommen ist – die bedrängenden Nöte und Dunkelzonen der Gegenwart als spirituelle Erfahrungsräume:

Wir haben Kinder.

Wir haben Kindeskinder.

Wir sind viele.

Wir sind zahlreich wie die Sterne.

Wir haben Hunger.

 

Wir haben Krieg –

verbrannt die Erde.

Wir haben überschwemmte Fluren.

Wir haben nichts zu säen.

Wir haben nichts zu ernten.

Auf den Feldern wachsen die Gebete.

 

Wir haben Scheunen voll Wind.

Wir haben Hütten voll Himmel.

Wir haben Brunnen voll Schweigen.

In den Nächten trommeln die Herzen.

In den Augen keimen die Fragen.

 

Wir hungern.

Wir harren.

Wir hoffen.

 

Alles andere als „nur erhabene Hymnen“ und „blutleere Litaneien“, die lediglich bekannte Sprachschablonen repetieren: Jacqueline Keunes Gedichte sind im besten Sinne Gebrauchstexte voll „Geschmack von Leben“. Darum empfehlen sie sich als hell-wache Sprach- und Gebetsschule, um die eigenen sprachlichen Handhaben Gottes auf ihre Wirklichkeitsnähe zu überprüfen. Als Lackmustest, was im privaten wie amtlichen Beten vorkommt und welche Realitäten weil ausgeblendet wortlos bleiben. Offene Weite kennzeichnet Keunes Texte wie die haftbar-behaftbare Konkretion der 1. Person Singular („nicht man, sondern ich“) bzw. Plural. Gegen die unverbindliche Vergemütlichung des Religiösen bringt „Bekenntnis“ betend ins Wort, dass Beten kein Alibi für eigene Untätigkeit ist:

 

Wir bekennen unsere Geduld

Wo die Zeit gedrängt hat.

Wir bekennen unsere Höflichkeit

wo Hinstehen gefragt war.

Wir bekennen unsere Ausflüchte

wo mit uns gerechnet wurde.

Wir bekennen

Dass wir Haltung bewahrt haben

wo wir aus der Haut hätten fahren müssen

und dass wir zu verstehen suchten

wo es nichts zu verstehen gab.

Wir bekennen unsere Diskretion

wo wir Klartext reden

und unsere guten Manieren

wo wir auf den Tisch hauen sollten.

Wir bekennen unser Schweigen

wo auf unser Schreien gewartet wird.

Und dass wir unablässig dich bitten

wo die Veränderung in unseren Händen liegt.

 

Neben mehreren inspirierenden Segenstexten wartet Jacqueline Keune mit einem liturgisch ungewohnten „Sommerpsalm“ auf, der Erfahrungsdimensionen benennt, die selten ins Gebet finden:

 

Geht und

lobt ihn mit aufgeräumten Seelen

lobt ihn mit entspannten Körpern

lobt ihn mit lachenden Mündern

mit träumendem Herz und fliegendem Haar –

noch und noch!

 

Geht und

lobt ihn mit gegrillten Fischen

lobt ihn mit gefüllten Gläsern

lobt ihn mit geteilten Tischen

mit verschlungenen Büchern und gestauten Bächen –

noch und noch!

 

Geht und

lobt ihn mit verregneten Tagen

lobt ihn mit einladenden Briefen

lobt ihn mit beschwingten Wegen

mit Liebesnächten und Lagerfeuern –

noch und noch!

 

 

Jacqueline Keune: Scheunen voll Wind. Gebete und Gedichte. Mit Illustrationen von Silvia Hess Jossen. 80 Seiten. Fr. 32.80. db-Verlag Luzern 2016, das schön gestaltete Buch kann direkt beim Verlag bestellt werden (portofrei): www.db-verlag.ch; bestellungen@db-verlag.ch