Erzähl mir Gott

     

Der Würzburger Pastoraltheologe Erich Garhammer, von Haus aus auch Germanist und Ausrichter zahlreicher Begegnungen mit GegenwartsautorInnen, hat große Verdienste im Aufspüren und Erschließen religiös, spirituell und existentiell relevanter Spuren in der zeitgenössischen Literatur. Die gut lesbaren sieben Beiträge des Bandes behandeln Thomas Hürlimann, Patrick Roth, Sibylle Lewitscharoff, Hanns-Josef Ortheil, Arno Geiger, Ralf Rothmann, Peter Handke, Reiner Kunze und andere. Zugleich bilanziert „Erzähl mir Gott“ Garhammers langjährige Beschäftigung mit Literatur und ihrer diagnostisch-prophetischen Bedeutung für eine zeit- und kulturell sensible Theologie und Pastoral.

Mit der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ Nr. 62 fordert Garhammer, die Lebens-, Sprach- und Erfahrungsautorität zeitgenössischer Literatur und Kunst für die Inkulturation des Evangeliums fruchtbar zu machen. Die Art und Weise, wie sich Literatur und Kunst um das Verständnis der Menschen und ihrer vielfältigen Lebenssituation bemühen, hat paradigmatische Bedeutung für sein Verständnis von Pastoral. Es steht der „Suche, Offenheit, Lernfähigkeit“ näher als der „Gewissheit, Sicherheit, Zweifelsfreiheit“. Nicht von ungefähr wird Literatur vom Konzil als Partnerin im Suchen nach dem Glücken des Menschen positiv gewürdigt. „Beschäftigung mit Literatur ist ein Therapeutikum gegen kognitives Verschanzen. Sie verwickelt in Lebensgeschichten, löst Schwarz-Weiss-Töne auf, provoziert zu neuem Denken […] Sie mobilisiert einen Überschuss der Transzendenz und widersetzt sich den Pazifizierungsversuchen end-gültiger Antworten […] Literatur ist dabei weder Verkündigungsort noch glaubensferne Wüste: In ihr wird menschliches dekliniert, und insofern ist sie manchmal auch ein überraschender Ort für den Glauben.“ Das inspirierende Bändchen belegt: Das immer wieder neue Ringen von SchriftstellerInnen um nicht abgegriffene Sprache für Gott und Religiöses lohnt die theologische Aufmerksamkeit.

Lebensgeschichten, ja, von Gott erzählen: Zum 75. Geburtstag seines Fribourger Kollegen Leo Karrer skizzierte Garhammer 2012 ein „Pläydoyer für eine poetische Seelsorge“, das er im neuen Buch fort- und weiterschreibt. Anknüpfungspunkt einer lebensfreundlich-aufrichtenden Pastoral, die den Schmerz und die Sehnsucht der Menschen zum Ausdruck verhelfen will, ist das Wort Jesu aus dem Matthäusevangelium: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Im Griechischen wird für das Wort „tun“ nicht prattein, sondern poiein verwendet, was so viel heisst wie kreatives, erfinderisches Tun, also Phantasie und Innovation impliziert.

„Wer nichts erzählen kann, hat auch nichts zu sagen“: Unter diesem Zitatmotto aus Christoph Ransmayrs Rede zur Eröffnung der Basler Buchmesse resümiert Garhammer in seiner Abschiedsvorlesung 2017 biografische Prägungen seiner Pastoraltheologie, die massgeblich von der Verbindung von Bibel und Leben, von Literatur und Existenz geprägt ist. Dabei stützt sich Garhammer auf den Schweizer Soziologen Franz-Xaver Kaufmann: „Die Tradierungschancen des Christentums steigen mit dem Grad der Entkirchlichung des Christentums. Die Verkirchlichung steht hier im Weg. Viel chancenreicher sind die individuelle Präsenz des Christentums in Lebensgeschichten und seine kulturelle Präsenz.“ Im Anschluss an den Schriftsteller Wilhelm Genazino, der Literatur als palliative Heimat für die Sehnsüchte und Bedürfnisse der Menschen bezeichnet hat, streicht Erich Garhammer mit dem Eingangssatz von „Gaudium et spes“ heraus: „Poetische Pastoral ist die palliative Heimat für Freude und Hoffnung, Trauer und Angst. Damit werden die aktuell notwendigen Transformationsprozesse in der Kirche nicht weggedrückt, sondern sie bekommen ein Ziel.“

Die Kirchen scheinen den Kontakt zur ‚Seele‘ der meisten Menschen verloren zu haben, können sie innerlich nicht mehr ansprechen. Daher brauche es „die Meridiane der Gefühle der Menschen“, so Garhammer: „Pastoral ist die palliative Heimat der Sehnsüchte der Menschen“, vor allem aus dem stahlharten Immanenzgehäuse der säkularen Moderne auszubrechen. „Pastoral heisst, dass wir in allem Betrieb und Gemache Raum lassen für unsere Geschichten und für die Geschichten der Menschen und sie in Wahrhaftigkeit und in der Offenheit für andere Geschichten erzählen. Was wir brauchen, ist das Vertrauen in die biografische Validierung der Gottespräsenz in den Lebensgeschichten der Menschen.“

Erich Garhammer: Erzähl mir von Gott. Theologie und Literatur auf Augenhöhe, Würzburg: Echter 2018, 165 S.