Erwachsenenbildung in der Transformationskrise der Kirche

     

Dass die Kirche sich in einer Transformationskrise befindet, darüber waren sich wohl alle einig, die bei der TBI-Eröffnungstagung am Nachmittag das Atelier mit Rainer Bucher besuchten. Die meisten professionell in der Kirche Tätigen haben es in den letzten Jahren und Jahrzehnten hautnah erleben können. Bisher gut funktionierende Strukturen und pastorale Netze in Pfarreien und kirchlichen Vereinigungen wurden löchrig oder zerbröselten gar unaufhaltsam. Gerade deshalb zog das Atelier mit dem Pastoraltheologen Rainer Bucher zum Thema „Theologische Erwachsenenbildung im Kontext einer zukunftsfähigen Pastoral“ viele an, die in der Kirche in unterschiedlichen Funktionen tätig sind. Denn die Fragen sind bedrängend:

Was ist angesichts dieser Krise, die die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert, zu tun? Was überhaupt ist pastoral noch erfolgversprechend? Kann es sein, dass gerade die Theologische Erwachsenenbildung, die ja in Bezug auf institutionelle Einbindung meist etwas freier ist als die Pfarreipastoral, in besonderer Weise einen Beitrag zu einer zukunftsfähigeren Pastoral zu leisten vermag? Und welche Voraussetzungen muss sie dafür erfüllen bzw. wie muss sie sich dafür selbst verstehen lernen? In welche Richtung muss sich Erwachsenenbildung allenfalls ihrerseits transformieren, um den Erfordernissen der Zeit – will heissen: der Transformationskrise der Kirche – gewachsen zu sein? Wie kann theologische Erwachsenenbildung der Pastoral in dieser Krisenzeit neue Impulse geben? Und was meint der Begriff „Bildungspastoral“, den Rainer Bucher in den Fokus rückte, ganz konkret im alltäglichen pastoralen Handeln in einer Pfarrei oder in einem grösseren Pastoralraum?

Solche und ähnliche Fragen standen im Zentrum der Diskussion im Atelier mit Rainer Bucher. Dabei zeigte sich schnell, dass es in dieser völlig neuen soziologischen Lage der Kirchen und Pfarreien keine Patentrezepte gibt. Vielmehr braucht es Kreativität und den Mut, Experimente zu wagen und unerprobte Wege zu erkunden. Dabei können die sechs Thesen, die Professor Rainer Bucher in das Atelier mitbrachte, eine Suchanzeige und eine Ermutigung sein:

Felix Senn

 

 

Die Erwachsenenbildung in der Transformationskrise der Kirche – Thesen

  1. Das Konzept „Kirche“, das von exklusiver Mitgliedschaft, lebenslanger Gefolgschaft und umfassender religiöser Biografiemacht ausging, wird zunehmend dysfunktional. An die Stelle normativer Integration tritt auch im religiösen Feld situative, temporäre, erlebnis- und intensitätsorientierte Partizipation. Wir sind Zeugen der Verflüssigung der Kirchen als religiöse Herrschaftssysteme. Das betrifft alle in ihr.
  2. Die christliche Religion ist ein Bildungsinhalt par excellence, nicht nur, weil es in ihr um die größten denkbaren Kontraste und Differenzen, jene zwischen Gott und Welt, zwischen Schöpfung und Erlösung, zwischen Gut und Böse geht, sondern auch, weil sie das Ziel jedes Bildungsprozesses, die Menschwerdung, teilt und als Menschwerdung vor Gott und in Gottes Liebe fasst.
  3. Was ist das Stigma der katholischen Erwachsenenbildung? Alles ein wenig zu machen und für nichts ganz zu stehen. Wie kann daraus ein Charisma werden? Wenn katholische Erwachsenenbildung es schafft, aus dem Kontrast und der Vielfalt ihrer Themen etwas Kreatives zu machen, sie also weder banal zu harmonisieren, noch autoritär zu hierarchisieren, noch additiv zu summieren, sondern zur wechselseitigen Erschließung zu nutzen.
  4. Die katholische Erwachsenenbildung sollte sich als „Bildungspastoral“ begreifen. Sie ist Pastoral, denn in ihr geht es wie in jedem kirchlichen Handeln, um die kreative, situative Konfrontation von Evangelium und Existenz in Wort und Tat. Das zu leisten ist ihre Kirchlichkeit.
  5. Katholische Erwachsenenbildung als pastoralen Handlungsort der Kirche zu entwerfen bedeutet, sie dort zu situieren, wo seit einiger Zeit das Leben aller Christen und Christinnen angesiedelt ist: im Kontrast von Innen- und Außenperspektive auf den Glauben. Die katholische Erwachsenenbildung könnte ein herausgehobenes Experimentierfeld darstellen, auf dem die säkulare Bedeutsamkeit des Glaubens und der religiöse Sinn des Säkularen heute entdeckt werden kann.
  6. Als „Pastoral zweiter Reflexionsstufe“ wäre kirchliche Erwachsenenbildung ein zentraler Ort der Arbeit gegen die drohende Exkulturation des Christentums aus spätmodernen Gesellschaften. Das setzt freilich voraus, dass sich katholische Erwachsenenbildung einmischt in das Gespräch um die zukünftige Pastoral der Kirche.

 

Professor Dr. Rainer Bucher, Graz