«Digital ist besser»

 

Die transformativen Prozesse durch die Digitalisierung finden nicht nur punktuell statt, sie umfassen alle Bereiche des Bildungssektors. Michael Hartlieb schreibt zur radikalen Transformation der Bildungsarbeit durch die Digitalisierung.

 

Teil 1 „Digital ist besser“

Wohl selten hat ein Album der jüngeren Popgeschichte einen solch prophetischen Titel gehabt wie das Erstlingswerk der Hamburger Band «Tocotronic». Erschienen ist «Digital ist besser» bereits im Jahr 1994 und damit zu einer Zeit, als die Alltagstechniken unserer volldigitalisierten Welt zwischen Smartphone und Zoom, zwischen Snapchat und Bitcoin noch dem Genre Science-Fiction zugeordnet wurden. Digitalität war, lange vor dem Platzen der Dot-Com-Blase im Jahre 2000 oder dem Aufstieg von Apple, Meta, Microsoft und Google zu den Herrschern über das Wissen, Wollen und Sehnen der Menschheit, noch ein echtes Heilsversprechen.

Wer Tocotronic kennt, weiss natürlich, dass der Titel bereits damals vollkommen ironisch gemeint war. Er konnte aber auch als Aufruf gelesen werden: Lasst Euch nicht von einer schönen Verpackung täuschen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass der Fortschritt allein um des Fortschritts willen eine gute Sache ist. Glaubt keiner Technik, die ihren echten Nutzen noch nicht bewiesen hat.

 

Und heute, 28 Jahre später[1], zeigt sich, dass der Titel nichts von seiner prophetischen Interventionskraft verloren hat. Immer noch werden mit der Digitalisierung Heilsversprechen verbunden, immer noch viel zu selten wird die Frage nach der Art und Weise des Fortschritts gestellt, der in ihrem Schlepptau unser aller Leben fortwährend verändert. Dies liess sich in den vergangenen drei Jahren, während der Corona-Epidemie, besonders gut an den Debatten rund um den Bildungssektor verfolgen. Als nach dem ersten Lock-Down offensichtlich wurde, dass die Schulen vielerorts mit der Umstellung auf digitalen Unterricht heillos überfordert gewesen waren, überschlugen sich die Medien mit hämischen Kommentaren und weitreichenden Forderungen in Richtung der Bildungsdepartements. Die unausgesprochene Überzeugung und Logik vieler Artikel war: Digitalisierung ist gut, fortschrittlich und notwendig für die Arbeitswelt von morgen. Wenn unsere Bildungsanstalten bereits heute – während einer Pandemie, die doch alle Kräfte bündeln sollte – so kläglich in der Nutzung digitaler Werkzeuge versagen, dann ist dies doch ein deutliches Zeichen für den mangelnden Willen, die Segnungen der Digitalisierung zu erkennen und zu fördern. Natürlich gab es in dieser konfliktreichen Zeit auch relativierende Gegenstimmen; aber festzuhalten bleibt: Das Digitale wird (auch) im Bildungsbereich von einem gewissen Überlegenheitsnimbus umstrahlt, eine differenzierte Gesamtbeschau  dadurch sehr erschwert.

 

Sehr lohnenswert ist es deshalb, das Buch «4K und digitale Kompetenzen» zur Hand zu nehmen. Auf der Höhe aktueller Forschung rund um das Thema «Digitales Lehren und Lernen» richtet es sich an Leute aus der Praxis, die ihr Bildungshandeln reflektieren und Impulse für den digitalen Unterricht mitnehmen wollen.

Zu Beginn räumt dieses Buch ein grosses Missverständnis aus dem Weg, das sich im Blick auf Digitalisierung gebildet hat: Dass es schon ausreicht, eine irgendwie digitale Lernumgebung zu schaffen, um neue Formen des Lehrens und Lernens zu ermöglichen oder gar zu gewährleisten. Ganz im Gegenteil betont das Buch immer wieder, dass digitales Lehren und Lernen weit mehr erfordert als nur den Einsatz bestimmter Werkzeuge, Plattformen oder Kommunikationsmittel. Um es pointiert auszudrücken: Nur weil eine Person die Werkzeuge «Zoom», ein «Padlet» oder eine Lernplattform mit grosser Sicherheit bedienen kann, ist damit noch lange kein ausreichendes Fundament für ein fruchtbares digitales Lehr-/Lernsetting gegeben. Digitales Arbeiten eröffnet zunächst «nur» den Zugang zu neuen Werkzeugen – wie sich diese dann pädagogisch-didaktisch sinnvoll einsetzen lassen, das steht auf einem anderen Blatt.

 

Und hier kommt die eigentliche Perspektive des Buches ins Spiel. Digitale Bildung wird in diesem nämlich eng verknüpft mit dem 4K-Modell, das seinerseits eine konstruktive Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in Beruf und Alltag sein will. 4K, das ist die Abkürzung für die vier Kernkompetenzen gegenwärtiger und künftiger Bildungs- und Arbeitswelten, nämlich Kritisches Denken, Kommunikation, Kooperation und Kreativität.[2] Wie man digitalen Unterricht plant und strukturiert, um zu diesen vier Kernkompetenzen zu befähigen, das ist das Anliegen dieses Buches.

 

Frappierend ist dabei, jetzt unabhängig von den Ausführungen des Buches zur Digitalität, wie gut das 4K-Modell zu den Bildungsherausforderungen passt, mit denen gerade auch die theologische Erwachsenenbildung konfrontiert ist. Ein Beispiel hierzu. Häufig ist in jener die Vorstellung zu vernehmen, dass die Teilnehmenden die Kompetenz zum «kritisch-reflexiven Denken» erwerben sollen; es bleibt aber oft unklar, auf welchem Weg dies gelingen soll. Die Teilnehmenden werden dann mit zweifellos hochinteressanten exegetischen Erkenntnissen aus den Bibelwissenschaften konfrontiert, in der Hoffnung, dass dies das kritische Denken anregen möge – aber dabei bleibt dann die individuelle Beschäftigung, ja doch die eigentliche Voraussetzung für den Beginn eines kritisch-reflexiven Denkprozesses, auf der Strecke. Im vorliegenden Buch eröffnet sich zu dieser Fragestellung auf nur zwei Seiten (30f.) ein assoziationsanregendes Panorama, das zum Weiterdenken anregt. Gleiches gilt für die Kompetenz «Kreativität», für die Formen möglicher Entwicklungsprozesse in kürzester Form und dennoch differenziert geschildert werden.

 

Wie das eigene pädagogische Handeln mit digitaler Unterstützung verantwortungsvoll weiterentwickelt werden kann und dabei die 4K berücksichtigt werden, das schildert praxisorientiert vor allem das Kapitel 5. Reflexionsanregend in Bezug auf den eigenen Unterricht und seine Weiterentwickeln ist insbesondere das SAMR-Modell, das ab S. 48 erläutert wird. Der Medieneinsatz im Unterricht wird mit seiner Hilfe als ein mehrstufiger Prozess analysierbar, der von der Substitution (Ersatz eines analogen Mediums durch ein digitales, ohne funktionale Verbesserung des Unterrichts) über Augmentation und Modification bis hin zur Redefinition (grundlegende Veränderung des Unterrichts durch digitale Tools) reicht.

 

Der zweite Teil dieses fünften Kapitels löst die von der Reihe in Anspruch genommene Praxisnähe ein: Eine Vielzahl von Beispielen zeigt Möglichkeiten auf, wie die 4K im Unterricht gestärkt und entwickelt werden können. Es geht um die sinnvolle Einrichtung digitaler Lernräume ebenso wie um die Erstellung von E-Portfolios oder von Lernvideos. Vieles hat man schon einmal irgendwo gelesen oder selbst ausprobiert, aber in dieser Fokussierung auf die Verknüpfung von Digitalität und der Förderung der genannten Kernkompetenzen ist das Buch sehr gelungen. Eine gewisse Quintessenz dieses Kapitels und damit des Buches insgesamt findet sich in Abschnitt 5.5:  Wir befinden uns heute in einer Situation, in der eine Rückkehr in frühere Formen der Bildungsgestaltung letztlich gar nicht mehr möglich ist. Zu eng ist unser aller Leben bereits mit digitalen Techniken verbunden, eine «sortenreine» Trennung von analoger und digitaler Welt praktisch ausgeschlossen. Von daher ist eine Verweigerungshaltung gegenüber dem Digitalen auch nicht angezeigt. Vielmehr müssen sich alle Bildungspersonen dazu aufgerufen sehen, die digitalen Werkzeuge didaktisch möglichst sinnvoll und auch extensiv einzusetzen, um nicht an der Realität vorbei zu unterrichten (S. 57).

 

Bei aller Freude an der Praxisorientierung dieses Büchleins dürfen die Schattenseiten nicht unerwähnt bleiben. Sprachlich ist es an mancher Stelle redundant, oft beginnen auch die Sinnabschnitte so unvermittelt, dass man sich den überleitenden Gedanken erst selbst zurechtlegen muss. An einigen Stellen entsteht zudem der Eindruck, dass mit Copy & Paste gearbeitet wurde – ein sorgfältigeres Lektorat hätte den Lese- und Lerngenuss noch einmal deutlich gesteigert.

 

Manfred Pfiffner, Saskia Sterel, Dominic Hassler: 4K und digitale Kompetenzen. Chancen und Herausforderungen, Reihe 4K kompakt, Bd. 1, Bern: hep 2021.

 

 

Teil 2 „Digitales besser“

Digitale Transformation als Chance – Digitale Transformation als Herausforderung: Diesem ambivalenten Doppel sehen sich heute viele (Weiter-)Bildungsanbieter ausgesetzt. Denn die digitale Transformation hat ja nicht nur Auswirkungen auf den konkreten Unterricht, sondern strahlt auf alle Bereiche des Bildungswesens aus. Die Strukturen auf Seiten der Anbieter, die Rahmenbedingungen des Bildungssystems inklusive der zertifizierten Qualitätsstandards, die Qualifikationsanforderungen des Bildungspersonals – sie alle sind vom Digitalisierungsschub der letzten Jahre betroffen. Die transformativen Prozess finden nicht punktuell statt, sondern umfassen alle Bereiche des Bildungssektors. Dies gerät im Alltag allerdings schnell in Vergessenheit, und so liegt für die Bildungsanbieter die Versuchung nahe, die digitale Transformation nur in einzelnen Bereichen voranzutreiben, während an anderer Stelle noch in alten Prozessen und Strukturen gedacht und gearbeitet wird – bis irgendwann die Reibungsverluste zwischen beiden Welten so gross werden, dass auch handfeste finanzielle Nachteile entstehen können.

 

Der Schweizerische Verband für Erwachsenenbildung (SVEB) hat aus diesem Grund ein äussert hilfreiches Analyse-Tool entwickelt, das auf seiner Website zur freien Verfügung steht.[3] Es richtet sich an Bildungsorganisationen, die sich mitten in der digitalen Transformation befinden und einerseits analysieren wollen, wie weit sie dabei in ihren unterschiedlichen Arbeitsbereichen bereits gekommen sind, und die andererseits überprüfen wollen, ob sie Digitalisierung wirklich als holistischen Prozess verstehen. Das Tool basiert auf dem europäischen DigiCompOrg-Modell und zeigt wie dieses keine direkten Handlungsoptionen auf. Es hält aber dazu an, die unterschiedlichen Kompetenzbereiche oder Prozesse des Arbeitsfeldes in den Blick zu nehmen und benennt in jenem die Orte, wo digitale Entwicklungsoptionen erwartet werden dürfen. So wird etwa durch das Tool viel Wert gelegt auf kooperative Beteiligung an den digitalen Transformationsprozessen, was sich exemplarisch an der Kompetenz 2.2 («Interne Akteurinnen und Akteure besitzen eine Teilautonomie bei der Einführung von digitalen Technologien») oder auch an der Kompetenz 3.1 («Es besteht ein gemeinsames Verständnis und Commitment für die digitale Transformation und deren Umsetzung») zeigt. Damit macht das Tool deutlich, dass Digitalisierung nicht nur als Prozess zu verstehen ist, der irgendwie mit technischer Ausstattung, sondern der auch viel mit aktuellen (Bildungs-)Management-Themen zu tun hat. Transparent wird damit aber auch vermittelt, dass digitale Transformation nicht top-down von der Leitungsebene nach unten verordnet werden kann, sondern tatsächlich die Bildungseinrichtung inklusive aller Mitarbeitenden und aller weiteren Stakeholder umfassen muss – wie exemplarisch Kompetenz 2.5 («Benachteiligung und Ungleichheit werden angegangen») zeigt. Auf den Weg der Digitalisierung müssen alle Menschen mitgenommen werden können, das ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit und Fairness.

 

Aus dieser Kurzbeschreibung sollte klar geworden sein, dass sich das Analyse-Tool keineswegs nur an die «Entscheider:innen» in Bildungseinrichtungen richtet, sondern vielmehr an letztlich alle Stakeholder, die in einer Bildungseinrichtung arbeiten, von ihr profitieren oder sie in irgendeiner Weise steuern. Denn: Die digitale Transformation ist ein so umfassender Prozess, dass es auf jede und jeden ankommt, der dabei mitdenken und mitgestalten kann und will.

 

[1] Tocotronic gibt es übrigens immer noch, gerade sind sie wieder vollanalog auf Tour unterwegs …

[2] Zu diesem Modell gibt es übrigens vom hep-Verlag eine eigenständige und wesentlich umfangreichere Veröffentlichung, für einen ersten Einblick reichen die Ausführungen des vorliegenden Buches aber vollkommen.

[3] Siehe unter: https://alice.ch/app/uploads/2022/11/DE_Analysetool_Digitale_Transformation.pdf [Letzter Aufruf am 5.12.2022].

Keine Menschen- und Weltlosigkeit Gottes mehr

 

Die inkarnatorische Dynamik des christlichen Glaubens gibt immer wieder neu zu denken: Christoph Gellner über aktuelle theologische Debatten um Pan-en-theismus und die Sakramentalität der Kirche.

 

 

inkarnation

gott

bleibt nicht

blutleere idee

 

vielmehr

verkörperung

von liebe

 

und der mensch

ruft im blick

auf den nazarener

 

endlich ist gott

bein von meinem bein

und fleisch von meinem fleisch[1]

 

Adams Freude und Entzücken, dass Gott ihm mit Eva eine menschliche Gefährtin an die Seite gibt (Gen 2,23), verlängert Andreas Knapp zu einem Jubel über die Fleischwerdung des Wortes Gottes (Joh 1,14) in Jesus von Nazaret. Der Text hätte auch in Knapps neuem Gedichtband «ist wie Liebe» (2022) zum Abdruck kommen können. Die inkarnatorische Dynamik des christlichen Glaubens gibt «im blick auf den nazarener» immer wieder neu zu denken: Es war der späte Karl Barth, der im letzten vollendeten Band der «Kirchlichen Dogmatik», seine dialektisch-theologischen Anfänge korrigierend, betonte, es gebe «laut des Wortes der Versöhnung keine Menschenlosigkeit Gottes» (KD IV/3, 133). Barth folgerte daraus, dass der Mensch nicht absolut gottlos werden könne. Eberhard Jüngel verdeutlicht diesen Gedanken: «Gibt es kein göttliches ‘Oben, in dem der Mensch nicht vorkommt’, dann gibt es auch kein menschliches Unten, in dem Gott selbst nicht vorkommt.»[2]

 

Monotheismus komplexer denken: Pan-en-theismus?

Fasziniert vom göttlichen Anderssein wurde in der Christentumsgeschichte die Transzendenz Gottes oft einseitig betont, so dass der welt- und lebensbejahende Grundzug biblischer Gottesrede, die Gottesdurchwirktheit alles Geschaffenen vergessen ging. Aus Angst vor Pantheismus – dass alles Gott sei – wurde Gott derart von der Welt abgehoben, dass Gott die Welt los und die Welt gottlos wurde, wie Gotthard Fuchs kritisch-pointiert herausstreicht. «Dass Gott und Mensch in Jesus Christus ein für alle mal ‘einig’ geworden sind – das ist die Mitte zum Beispiel der Einigungs-, der Inkarnationsmystik von Meister Eckhart –, meint gerade keine Verschmelzungseinheit, sondern innigstes Ineinander und bleibendes Gegenüber: ‘unvermischt und ungetrennt’, wie es der Glaube bekennt, vereinfacht gesagt: Die christliche Weltformel für alles, was ist, lautet: Einheit in Unterschiedenheit.»[3]

In seinem «Plädoyer für einen kritischen Panentheismus» macht der Theologe Klaus Müller einen «Paradigmenwechsel im Gottdenken»[4] stark, der wirklich ernst macht mit der Überzeugung des mittelalterlich-scholastischen Franziskanerphilosophen Duns Scotus, dass Gott deswegen überhaupt etwas geschaffen habe, weil er Mitliebende will. In philosophisch geschulter Fachsprache gesagt: «Panentheismus steht für die These ‘Alles ist in Gott’ und unterscheidet sich damit vom Pantheismus im Sinne von ‘Alles ist Gott’ als einer Gott-Welt-Identität einerseits, vom Theismus im Sinne einer radikalen Gott-Welt-Differenz andererseits. Die verbreitete theologische Rede von Gott als dem ‘ganz Anderen’ verrät, dass dieser Zug von Akosmismus [=Weltlosigkeit] durchaus zum durchschnittlichen Verständnis des Theismus gehört. Theismus impliziert demgegenüber so etwas wie eine Nicht-Folgenlosigkeit der Welt und der Endlichkeit für Gott an sich selbst. Die welttranszendierende Selbstidentität Gottes schliesst nicht ein Bestimmtwerden Gottes durch das Universum aus.»[5]

Wird Gott als Ursprung und Grund alles Wirklichen in seiner Ganzheit gedacht, ja, werden Gott und Welt, so sehr sie zu unterscheiden sind, in und aus einer wesenhaften Einheit begriffen, besteht die Herausforderung darin, Gott so zu denken, dass er «zugleich persönlich und alles ist»[6].

 

Müllers perspektivenreiches Buch, das dafür wirbt, intellektuell wie spirituell Monotheismus und All-Einheit zusammenzuhalten, kann ich hier unmöglich resümieren – es ist die Summe jahrelanger Reflexionsarbeit, die der Münsteraner Professor für philosophische Grundfragen der Theologie vor seinem schweren Unfall noch zu einem fertigen Manuskript abschliessen konnte. Allein schon die Ahnenreihe der darin geschilderten faszinierenden Denkgeschichte, die von Origines über Nikolaus von Kues, Meister Eckhart, Spinoza, Jakob Böhme, Ignatius und Teresa von Avila, Mechthild von Magdeburg und Juliane von Norwich bis zu Pierre Teilhard de Chardin, Paul Tillich, Alfred Delp und Karl Rahner reicht, ist beeindruckend. Darüber hinaus führt Müller auch Literaten und Belletristen an wie Angelus Silesius, Lessing, Alfred Döblin, Thomas Mann, Harry Mulisch oder Les Murray.

«Der Gott des Jenseits von Welt gerät in Verdacht, ein nicht verifizierbares, aufzulösendes Gespenst zu sein, weil er nicht da sei, wo wir uns selbst erfahren, tun und erleiden und nur uns als die einzig wirkliche Bodenlosigkeit erdulden», mündet Müllers Buch in eine Meditation über die mystagogische Theologie Karl Rahners, die davon ausgeht, dass Gott sich in den Grund des Lebens eines jeden Menschen eingeschrieben hat. Rahners Denken, insbesondere seinen geistlichen Texten, attestiert Klaus Müller einen «theismuskritisch-panentheistischen Tiefenstrom»[7], den er an der Spitzenthese von Rahners Sakramententheologie konkretisiert, «dass Sakramente keine punktförmigen Einbrüche Gottes in eine profane Welt seien, ‘sondern als Ausbrüche […] der innersten, immer gegebenen Begnadetheit der Welt mit Gott selbst in die Geschichte hinein zu verstehen sind’»[8].

 

Die der Welt eingestiftete Gnade Gottes entdecken und bezeugen

Inspirierend ist für mich der von Christiane Bundschuh-Schramm u.a. stark gemachte Blickwechsel von einer integrierenden zu einer impulsgebenden Pastoral, die den inkarnatorisch-mystagogischen Blick ins Zentrum stellt: Gott ist schon vor Ort, im Seelengrund eines jeden Menschen, aber das ‘Ereignis Gott’ aufzuspüren, von ihm zu sprechen und den entdeckten Gott zu beschreiben, ja, die Entdeckung des Evangeliums in bisher unbekannten (Lebens-) Welten, das ist die pastorale Aufgabe der Gegenwart schlechthin. Das ist Aufgabe der Kirche in der Welt von heute, deshalb spricht das Konzil von der Kirche als «allumfassendem Heilssakrament».

 

An diese die inkarnatorische Dynamik aufnehmende «werkzeugliche Dienstfunktion» der Kirche hat die Churer Dogmatikerin Eva-Maria Faber jüngst in ihrem feinschwarz-Beitrag «Kirchliche Ämter und die Sakramentalität der Kirche» erinnert: «Die Kirche steht unter dem Anspruch, Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten und je individuellen Situationen gerecht zu werden.»

Für die aktuelle Diskussion um die kirchlichen Ämter, insb. Zulassung, Beauftragung und Ordination sei, so Faber, dieses Sakramentsverständnis des Konzils «ein mahnendes Vorzeichen». Stelle es doch einen Stachel dar, eine für die universale Sendung der Kirche adäquate Gestalt der Ämter zu finden: «Es muss die Kirche(nleitung) beunruhigen, wenn kirchliche Formen der Verkündigung, Heilung und Leitung aus Mangel an dafür bevollmächtigten Personen (quantitativ) nicht mehr für alle und (qualitativ) nicht für jeden und jede zugänglich sind.»

Deutlich weist Eva-Maria Faber darauf hin: «An keiner Stelle verbinde das 2. Vatikanum die Rede von der Kirche als Sakrament mit ämtertheologischen Fragen.» Ihr ermutigend zukunftsoffenes Fazit? Die sakramentale Grundgestalt der Kirche, die seit geraumer Zeit dafür in Anspruch genommen werde, Diskussionen um das kirchliche Amt zu steuern, ja, zu blockieren, lasse sich von dem grundlegenden ekklesiologischen Sakramentsbegriff des Konzils her «nicht für die blosse Verteidigung bisheriger Ämterstrukturen funktionalisieren. Es ist eine ‘Hierarchie der Kriterien’ zu beachten. Prioritär ist die Frage aufzuwerfen, in welcher Gestalt der Ämter die Kirche ihrem Auftrag heute nachkommen kann.»

 

Gut biblisch parallelisiert der Priesterpoet Andreas Knapp die Salbung Jesu in Betanien (Mk 14,3-9) mit seinem Abschiedsmahl, das vierte Evangelium erzählt von der Fusswaschung (Joh 13,1-20) als programmatischer Zeichenhandlung anstelle des Abendmahlsberichts (1 Kor 11,23-24). Brotbrechen ist kaum zufällig die älteste Bezeichnung für die Eucharistie, daher überschreibt Knapp sein Gedicht

 

Eucharistiefeier einer Frau

an einem Abend

bevor Jesus ausgeliefert wurde

nahm Maria

das Gefäss mit Öl

zerbrach es

salbte seinen Leib

und sprach

das ist meine Liebe

vergossen für dich

 

und diese Geste

bleibt allen

die das Evangelium hören

für immer

im Gedächtnis[9]

 

 

[1]Andreas Knapp: ganz knapp. Gedichte an der Schwelle zu Gott, Würzburg 2020, 86.

[2]Eberhard Jüngel: Barth-Studien. Zürich/Köln 1982, 346.

[3]Gotthard Fuchs: Vom Mehrwert des Christlichen. In: Christ in der Gegenwart 52 (2000) 245.

[4]Klaus Müller: Gott jenseits von Gott. Plädoyer für einen kritischen Panentheismus, hrsg. von Fana Schiefen, Münster 2021.

[5]Klaus Müller: Angemessener über Gott sprechen. In: Herder Korrespondenz 12/2015, 35f.

[6]Müller: Gott jenseits von Gott, 166 u.ö.

[7]Müller: Gott jenseits von Gott, 477.

[8]Müller: Gott jenseits von Gott, 482.

[9]Andreas Knapp: Mit Pauke und Salböl. Gedichte zu Frauen der Bibel, Würzburg 2021, 57.

 

 

 

 

 

 

 

 

Anders. Bildung. Kirche.

 

Bildung ist heute eine Frage der Kirche von morgen. So schreiben die Herausgeber des Sammelbands «Anders Bildung Kirche» (Edition SPI 2022). Die AG Praktische Theologie Schweiz hat in diesem Buch wertvolle Impulse zur Reflexion von Bildung in der Kirche zusammengetragen. Dorothee Foitzik empfiehlt das Buch als Grundlage für kollegialen Austausch und Planungen im Bereich der kirchlichen Bildung und Berufsbildung.

Bildungserfahrungen verändern und lassen Theologie und Kirche “anders” werden, davon sind die Autorinnen und Autoren überzeugt. Bildung, Pastoral-, Personal- und Kirchenentwicklung könnten, wenn sie zusammen gedacht werden, ein visionäres Potenzial entfalten. Die Herausgeber wünschen sich, dass die Querverbindungen in den Beiträgen entdeckt und die Reflexionen über Bildung als Chance für die Kirche im Prozess synodaler Erneuerung genutzt werden.

Im Sammelband «Anders Bildung Kirche» werden verschiedene Ebenen von Bildung der Kirche angesprochen sowie Bereiche, «Erfahrungsräume» genannt, in denen der gesellschaftliche und kirchliche Wandel bereits reflektierend und/oder gestaltend aufgenommen wird. Ein starkes Augenmerk wird auf die Professionsbildung gerichtet, vor allem in der deutschsprachigen Schweiz. Akteur:innen von Hochschulen und Instituten im deutschsprachigen Raum reflektieren auf innovative Beiträge zum Thema Bildung oder postulieren notwendige Transformationen. Die Lesenden erhalten auch Einblick in die Arbeit von Bildungshäusern, beispielsweise zum Bibliodrama und zu Angeboten spiritueller Bildung, sowie in die Kulturarbeit einer «Offenen Kirche» (Bern). An diesen Orten wird bereits ein Beitrag zur zeit- und pluralitätsgemässen Glaubensbildung geleistet. Eine Stimme ist aus dem Bereich der Romandie, genauer von der zweisprachigen Universität Freiburg/Fribourg, vertreten, weitere Repräsentant:innen der vielfältigen kulturellen und mehrsprachigen Realität der Kirche in der Schweiz konnten, zum Bedauern der Herausgeber, nicht gefunden werden. Die vorgelegten Überlegungen und Impulse sollten berücksichtigt werden, wenn in der Kirche Schweiz Strategien für die nächsten Jahre entwickelt werden.

Digitalität, Empowerment und Mündigkeit

Bildungsprozesse in kirchlicher Verantwortung können nicht losgelöst von Systemanforderungen, von Trends und Fragen der jeweiligen Zeit entwickelt werden. So sollte Pluralitätsfähigkeit angesichts der Vielfalt der Zugänge zu religiösen und spirituellen Themen und Erfahrungen ein Kompetenzziel kirchlicher Bildung sein («Doing Plurality»). Leitende Intentionen sind das Empowerment und das Ermöglichen mündiger Entscheide, so Wolfgang Beck. Dazu muss Kirche auch die verdeckten Mechanismen der Digitalität sichtbar machen. In Berücksichtigung der «Option für die Armen» sei die soziale Frage der Digitalität immer wieder aufzuwerfen und in Ansätze «digitaler Compassion» zu überführen. (Wie Digitalität Theologie verändert. Theologische Bildung als ekklesiologisches Empowerment).

Michael Hartlieb betont, dass das Angebot des theologischen Wissens neu strukturiert werden muss, um die eigentätige Auseinandersetzung der Lernenden zu ermöglichen. Zukunftsorientierte theologische Erwachsenenbildung braucht zudem Lehr- und Lernformen, die das «theologische Empowerment» fördern. Die zunehmende digitale Strukturierung des Lernumfeldes stärkt exploratives und problemorientiertes Lernen und fördert so die Eigentätigkeit und Selbstorganisation der Lernenden. Dabei ist jedoch zu beachten, «dass sich die individuellen Fähigkeiten im Erfassen und sachlogischen Verarbeiten von digital präsentierten Informationen stark unterscheiden». Die Medienkompetenz der Teilnehmenden muss bei der Konzeptarbeit für theologische Bildungsveranstaltungen sorgfältig in den Blick genommen werden (Die Theologie der theologischen Erwachsenenbildung im digitalen Zeitalter. Von trojanischen Pferden und anderen Überraschungen).

Um die theologische Mündigkeit der Menschen zu stärken, bietet die Digitalisierung im Bildungsbereich viele Möglichkeiten an, betont auch Thomas Schlag. Das Empowerment zur individuellen Mündigkeit lebt im Zusammenhang digitaler Kommunikationswelten aber auch von der Begegnung mit Personen, die selbst eine solche mündige Übersetzungspraxis zu leben versuchen: Hier komme Pfarrer:innen und Seelsorgenden, aber auch Religionslehrerinnen und Religionslehrern eine entscheidende, «würdevoll-pädagogische Aufgabe als ‘public theologians’» zu. Angesichts der zunehmenden Virtualität medialer Orientierungsangebote betont Schlag deshalb die nicht zu überschätzende Bedeutung des «personal verkörperten» Angebots professioneller Bildungspraxis und ermutigt Akteur:innen kirchlicher Bildungsangebote, sich dem notwendigen Kompetenzerwerb in diesem Bereich zu stellen und zu widmen (Theologische Mündigkeit stärken. Bildung und Digitalisierung).

Erfahrungsräume

Unter dem Stichwort «Erfahrungsräume» reflektieren Fachpersonen unterschiedlicher praktisch-theologischer Bereiche auf zeitgemässe und zukunftweisende Ansätze und Impulse der Bildung. Gregor Scherzinger plädiert für eine «Pastoral des Lernens» im Bereich der Diakonie, die er als bevorzugten Bildungsort versteht (Praktisch-theologische Gedanken zum Bildungsort Diakonie). Claudia Mennen verweist auf die Chancen des Bibliodramas. Dort werden religiöse Erfahrungsräume eröffnet und gestaltet, ein neues «Wir» kann entstehen (Glaubenskommunikation mit dem Instrument des Bibliodramas). Andrea Meier erläutert an Beispielen aus dem Umfeld einer «offenen Kirche» im urbanen Zentrum , wie über die Begegnung von Kunstschaffenden und «Kirchenmenschen» auf Augenhöhe gegenseitige, bereichernde Bildungsprozesse ermöglicht werden können (Wenn Kunst und Kirche von- und miteinander lernen. Reflexionen aus der «offenen kirche bern»).

Bernd Hillebrand betont, dass bei der Glaubensbildung durch ästhetische Rituale diese zu den aktuellen Stilen der Menschen passen müssen. Weil sie einem voraussetzungslos wertschätzenden Menschenbild (der «Schönheit») verpflichtet sind, stärken sie Menschen in deren Selbstbewusstsein (Bedingungslos schön! Ästhetische Passung als Ansatz ritueller Glaubensbildung).

Spirituelle Bildung soll, passend zur individuellen Spurensuche und vielfältiger Zugänge, Räume eröffnen, in denen Religion Ausdrucks- und Hilfsmittel zur Verfügung stellen kann, damit Menschen mit dem Transzendenten in Kontakt treten können, befürwortet Wilfried Dettling SJ (Spirituelle Bildung auf dem Prüfstand).

Christian Höger sieht aufgrund empirischer Forschungsergebnisse die bleibende und zugleich dem Wandel unterworfene Bedeutung der Familie als Ort der religiösen Erziehung und Bildung. Aufgabe religiöser Elternbildung ist es, den Eigensinn und die eigenen Rituale, die in Familien existieren, wertzuschätzen, die Eltern in ihren Kompetenzen zu stärken, und den Kindern so einen Zugang zu religiöser Bildung und Erziehung zu ermöglichen (Familie – ein zentraler Ort religiöser Erziehung und Bildung. Empirische Wahrnehmungen und religionspädagogische Aufgaben).

Stichwort «Menschenbildung»

Kirchliche Bildung erhebt zu Recht den Anspruch, einen unverzichtbaren Beitrag zu einer ganzheitlich verstandenen Menschenbildung zu leisten. Im gleichnamigen Kapitel beleuchten Vertreterinnen vor allem aus dem Bereich der Religionspädagogik, welchen Beitrag kirchliche Bildung unter den aktuellen Rahmenbedingungen und angesichts der zunehmenden Digitalisierung zur Entwicklung des kirchlichen Bildungswesens leisten kann. Judith Könemann plädiert für die stärkere Beachtung des Körpers in der Bildungsarbeit, denn »ohne Leib, ohne Körper sind Bildungsprozesse nicht zu denken, denn Bildung ist immer auch auf an Körperlichkeit gebundene Ausdrucksformen wie z.B. die Fähigkeit des Körpers zur Sprache, und an Sprache als Ausdrucksform selbst angewiesen». Jedoch wird die Körperlichkeit selten zum Gegenstand von Bildungsprozessen und noch seltener zum Gegenstand der Reflexion über sie gemacht. Dabei ist gerade für Heranwachsende der Körper ausgesprochen präsent, ist er doch Austragungsort gesellschaftlicher Normierungs- und Diskriminierungspraktiken. Die Auseinandersetzung mit dem Körper ist umso wichtiger, als in Bildungsprozessen emanzipatorisches Empowerment angezielt wird. Eine eminent (kirchen-)politische Notwendigkeit fordert die Auseinandersetzung mit dem ambivalenten Umgang mit «Körper» beispielsweise in kirchlichen Bildungseinrichtungen im Zuge des Missbrauchsskandals (Religiöse Bildung und «Körper»).

Viera Pirker verweist darauf, dass die kompetenzorientierte religiöse Bildung im 21. Jahrhundert zugleich der Persönlichkeits- und Charakterbildung verpflichtet bleibt. Zwar werde «modernes Wissen» nicht nur um seiner selbst willen erworben, sondern muss immer anwendbar sein und integriert werden. Der Schwerpunkt liegt auf dem Bildungsgehalt und dem damit verbundenen Kompetenzerwerb. Religiöse Bildung in der Schule werde daher den Querschnittsaufgaben zugeordnet und arbeite bereits interdisziplinär. Vier Dimensionen sind wesentlich für eine auf Zukunft gerichtete Bildung: Skills/Fähigkeiten, Character/Charakter, Knowledge/Wissen, Meta-Learning/Meta-Kognition. Religiöse Bildung bleibt der Dimension des Wissens verbunden, aber es gilt, die religiösen Wissensbestände und die Theologie in Bildungsprozessen so zu modellieren, dass sie ihr Eigenpotential entfalten können und nicht verzweckt werden. Einige Grundprinzipien religiöser Bildung bleiben auch angesichts eines eher funktional orientierten Bildungsverständnisses und in digital strukturierten Lernumgebungen gültig, darunter die Pluralitätsfähigkeit, die Kultursensibilität, die Diskursivität (Bildung, verstanden als offener Prozess) und nicht zuletzt die Spiritualität.

Pirker nennt zentrale Merkmale einer subjektfördernden Bildungsarbeit, die mit dem Kürzel «f.r.a.m.e.n.» bezeichnet werden: Führung, Resilienz, Achtsamkeit, Mut, Ethik und Neugier. Diese Merkmale sollen das aktuelle Bildungsverständnis neu «einrahmen». (Mehr ist als funktional orientierter Kompetenzerwerb. Religiöse Bildung im 21. Jahrhundert). Kirchliche Bildung kann lernen aus den Diskussionen rund um die Einbindung des schulischen Religionsunterrichtes in eine kompetenzorientiertes Bildungsverständnis und die gesellschaftliche Relevanz.

Dort, wo religiöse Bildung der Verfestigung fundamentalistischer Positionen entgegenwirkt, ist sie gemäss Christian Cebulj zugleich politische Bildung. Sie muss unbedingt gefördert werden (Fundamental statt fundamentalistisch. Religiöse Bildung als politische Bildung).

François-Xavier Amherdt schliesslich verweist darauf, dass Kirche auf der Basis weltkirchlicher Bildungskonzepte gerade in Krisenzeiten eine ganzheitliche Bildung im Sinne der Menschenbildung anbieten kann (Ganzheitliche Bildung in Krisenzeiten).

 

Professionsentwicklung (in) der Kirche

Der zweite Teil des Buches ist der kirchlichen Professionsentwicklung gewidmet, sie wird als wichtiger Beitrag zur Kirchenentwicklung gedeutet. Im Fokus der Professionsentwicklung steht die Befähigung zur Gestaltung des Wandels.

Der zunehmende Verlust des gesellschaftlichen Ansehens der kirchlichen Berufe verunsichert, das kirchliche Professionsverständnisses wird auch nach innen zunehmend als diffus wahrgenommen. Arnd Bünker regt an, die entstehenden Herausforderungen zugleich als Chancen zur Erneuerung zu nutzen, und ermuntert zur kreativen Gestaltung. Spirituell-religiöse Pluralitäts- und Ambiguitätsfähigkeit sind laut Bünker ebenso wichtig wie persönliche Glaubwürdigkeit und Beziehungsfähigkeit. Ein besonderes Augenmerk ist auf die berufsbiografische Entwicklung eines zeitgemässen Berufsethos und eines Habitus zu richten, die den spirituellen Anforderungsbedingungen der gegenwärtigen Gesellschaft entsprechen und das Bestehen angesichts der Konkurrenzangebote ermöglichen. Der Aufbau des Professionswissens, der Umgang mit Theologie und der theologischen Bildung müssen angesichts der notwenigen Veränderungen neu strukturiert werden. Die genannten notwendigen Entwicklungen brauchen zugleich einen bewussten und sensiblen Umgang mit Macht. (Herausforderungen kirchlicher Professionsbildung).

Mit dem Einblick in ihre Studie zu den Biografien, Interessen und Zielen der aktuell an der Universität Luzern Theologie Studierenden leistet Stephanie Klein einen lesenswerten Beitrag zum Thema: «Wer sind die Theologiestudierenden? Zu ihrem Potential für Kirche und Gesellschaft».

Im Zuge der kirchlichen Personalentwicklung gilt es, Fähigkeiten des Change Managements zu erwerben. Kirchliche Mitarbeitende in der Pastoral sollen befähigt werden, den Erwartungen der hochprofessionalisierten Dienstleistungsgesellschaft gerecht zu werden, fordert Barbara Kückelmann. Gezielte Weiterbildungsmassnahmen und Laufbahnplanung sind daher ebenso wichtig wie eine mögliche Spezialisierung im Rahmen grösserer Teams (Mehr Bildung des pastoralen Personals?).

Kirchliche Mitarbeitende, so Christoph Gellner, sollen sich dahingehend aus- und weiterbilden, dass sie sich eher als Ermöglichende denn als Macher:innen verstehen, beispielsweise um auf Augenhöhe und ressourcenorientiert mit den sogenannten «neuen» Freiwilligen zusammenzuarbeiten. Die Befähigung zu dieser Ermöglichungspastoral folgt dem Ansatz der Ermöglichungsdidaktik (Rolf Arnold et al.). Gellner erläutert den Weg hin zur Ermöglichungspastoral anschaulich an einem Beispiel aus dem Weiterbildungsprogramm des TBI für Seelsorgende mit Leitungsverantwortung (Ermöglichungspastoral als Bildungsherausforderung. Anstösse zur Personal-, Organisations- und Kirchenentwicklung).

Bildungsexperte Andreas Schubiger, Präsident der Qualitätssicherungskommission, und Jörg Schwaratzki, Geschäftsführer von ForModula, betonen in einem Gespräch die Vorreiterrolle der kirchlichen Berufsbildung. Denn hier geht es neben dem Erwerb von Professionswissen und der Entwicklung der Professionskompetenz auch um Menschenbildung. Verschiedene Zugänge werden ermöglicht, Lebenserfahrung erfährt Wertschätzung, Bildungsprozesse zielen auf Mündigkeit. Das Professionswissen soll aktiv ins Handeln integriert werden, das Tun wird wiederum reflektiert, der Zugang zu neuem, weiterführendem Wissen wird eigenständig gesucht. Aufbau von Professionswissen erfolgt in der sprichwörtlichen Reflexionsschlaufe. Zugleich herrscht in der kirchlichen Berufsbildung ein vertieftes Bewusstsein von der Bedeutung der Lehrpersonen und anderen Akteur:innen in Bildungsprozessen (Chance Kirchliche Berufsbildung. Ein Gespräch über Innovation und Vorreiterpotential).

Kirchliche Weiterbildung soll in ihrem Kern zur Veränderung ermutigen und befähigen, beispielsweise zum Erproben neuer Seelsorgeformate, zum Ausloten eines neuen Habitus, zum Aufbruch hin zu einer Ermöglichungspastoral. Diese Schritte erfordern jedoch Mut und Innovationswillen, auch auf Seiten der Kirchenleitung (Manfred Belok, Option Bildung. Ziele, Herausforderungen und Aufgaben der pastoralen Fort- und Weiterbildung).

Dem Buch sind Leserinnen und Leser zu wünschen, die an verschiedenen Stellen an der Konzeption und Organisation von Bildungsangeboten und Bildungsgelegenheiten beteiligt sind und/oder die zeitgemässe Aus- und Weiterbildung kirchlicher Mitarbeitender für die verschiedenen Bereiche kirchlichen Handelns im Besonderen verantworten – und so an einer zukunftsorientierten Entwicklung der Kirche mitwirken.

Dorothee Foitzik Eschmann

Arnd Bünker, Christoph Gellner, Jörg Schwaratzki (Hg.) Anders Bildung Kirche. Eine Publikation der Arbeitsgemeinschaf Praktische Theologie Schweiz

 

Moderner Kirchenbau in der Schweiz

 

Es sind zuerst die Zahlen, die echte Überraschung hervorrufen und aus gegenwärtiger Sicht schlicht nicht mehr vorstellbar sind: In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 1970er Jahre wurden in der Schweiz über 1000 Kirchen und Kapellen neu gebaut, davon über 2/3 von katholischen Gemeinden! Michael Hartlieb stellt den Sammelband «Moderner Kirchenbau in der Schweiz» vor.

 

Die immense und heute Unglauben erregende Zahl an Neubauten war nur eine verständliche Reaktion auf die Nöte und Bedürfnisse der Zeit: Wegen des raschen Bevölkerungswachstums entstanden rund um die grossen Städte neue Quartiere und mit ihnen neue Gemeinden, zudem förderte die Arbeitsmigration aus katholischen Ländern und zunehmende konfessionelle Durchmischung, dass vielerorts zur reformierten Kirche nun noch eine katholische hinzukam – und umgekehrt. All dies erforderte rasche und entschlossene Bautätigkeit, oft auch – das wird heute gerne übersehen – mit einfachsten Mitteln und grossem persönlichen Engagement.

 

«So schnell dreht sich der Wind!», denkt man nicht nur einmal beim Lesen des Buches, im Hinterkopf dabei die Diskussionen um die fortschreitende Säkularisierung, um die Zusammenlegung von Gemeinden zu Pastoralräumen oder um die Möglichkeit der Nachnutzung von Sakralräumen. Von der einstigen Aufbruchstimmung im Gefolge der sogenannten «Liturgischen Reform», die – aus katholischer Sicht – im 2. Vatikanischen Konzil ihren Höhepunkt gefunden hat, scheint heute nur noch wenig übriggeblieben zu sein.

 

Es ist das grosse Verdienst des Buches, dass es die theologische Reflexion eng verknüpft mit der architektonisch-künstlerischen Einordnung exemplarischer Kirchen der Zeit. Unterstützt mit zahlreichen und hervorragend den Text illustrierenden Bildern werden die Jahrzehnte nach 1950 und ihre besondere Prägekraft für die jüngere Kirchenbaugeschichte beleuchtet.

Es ist dabei vor allem interessant nachzuvollziehen, welche Wechselwirkung zwischen den Etappen der Liturgischen Reform, den entstehenden Entwürfen von Kirchengebäuden und den unterschiedlichen Gemeindekonstellationen entstanden. Die wichtigsten Entwicklungslinien dabei sind wohlbekannt: Die Kirchengebäude neuen Typs sollen ermöglichen, dass die Gemeinde «tätig mitfeiern» kann – das hat unmittelbar Auswirkungen auf die Platzierung des «Altars des Mahles» und des «Altars des Wortes», auf die Sakralraumgestaltung insgesamt sowie seine Einbettung in ein umfassenderes Ensemble aus kirchgemeindlichen Gebäuden mitten in der alltäglichen Lebenswelt der Menschen.

Die neue Verortung des Sakralraums in der Welt und nicht als Gegenpol zu ihr lässt der Beitrag vom Herausgeber Johannes Stückelberger auch in Zitaten der Protagonisten der damaligen Kirchenbauentwicklung lebendig werden, so zum Beispiel beim Architekten Walter Maria Förderer. Dieser schreibt in seinem Aufsatz «Zentren politischer Urbanität. Gottesdienst und Kirchenbau in der demokratischen Ära» von 1968: « […] wenn überhaupt noch Kirchen gebaut werden sollen, müssten sie Orte der Auseinandersetzung sein, also mehr als nur Orte gelenkter Meditation und rezeptiver Andacht. […], sondern Orte der Realität inmitten anderer Realitäten; Orte einer Feierlichkeit, die Faktor bleibt im prozessualen Geschehen, nicht ein darüber Erhabenes, ‹Enthobenes›.» (S. 17f)

 

Die Kirche als «Ort der Realität» – die Verwirklichung dieses Ideals weisen die Autor:innen an vielen Gegenständen der Kirche nach. Mit der «Neuen Sachlichkeit», der zeitgenössischen Hauptströmung in der Architektur geht einher, dass das Gebäude an sich einen Grossteil der sakralen Ausstrahlung trägt. Expressivität, Lichtführung, sakraler Eindruck und edle Atmosphäre, erhabene Materialität und haptisches Erleben: Das leistet nun der Kirchenraum selbst und nicht sein Inventar, für die Schweizer Architekten als Vorbild dient hier unter anderem Le Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamps. Doch ein Beitrag im Buch beleuchtet auch die Auswirkungen der «Neuen Sachlichkeit» auf den Orgelbau: Gebaut werden nun Orgeln, bei denen die einzelnen Stimmen klar durchhörbar sind – im klaren Gegensatz zu den auf symphonischen Effekt hin gebauten, «romantischen» Orgeln früherer Zeit. Nüchternheit, Klarheit, eine gewisse Demut und Zurückhaltung gegenüber dem Prunk früherer Jahrhunderte – das sind die wichtigsten Leitbegriffe und Handlungslinien. Theologisch gesprochen verwandelt sich die «Neue Sachlichkeit» im Raum der Kirche zur anthropologischen Wende – die Gemeinschaft mit ihrer Freude und Hoffnung, mit ihrer Trauer und Angst steht neu im Mittelpunkt und nicht die Verherrlichung des Numinosen vorrangig durch den Klerus.

 

Deutlich wird in allen Beiträgen, dass die modernen Kirchen Kinder ihrer Zeit sind, und gerade dies ist heute ihre grösste Hypothek. Die Architektur der Nachkriegszeit hat in der öffentlichen Wahrnehmung ganz allgemein einen schweren Stand, ist weitgehend ungeliebt und wird kaum beachtet. Aus der Sicht der Denkmalpflege ist es deshalb oft schwierig, der Bevölkerung den Wert eines Kirchengebäudes zu vermitteln oder die Überarbeitung der Innenräume mit Sinn für die ursprüngliche Gestaltungsidee zu betreiben (siehe dazu die erhellenden Beiträge von Johannes Stückelberger oder Bernd Furrer). Doch neben architektonischen Fragen stellen sich natürlich vor allem auch theologische: Wie ist damit umzugehen, dass viele moderne Kirchen praktisch nicht mehr genutzt werden, weil ihre Gemeinden bis an die Nachweisbarkeitsgrenze geschrumpft sind? Wie könnten Nachnutzungskonzepte aussehen, die einen gesellschaftlich-sozialen Mehrwert haben? Wie könnten die vorhandenen Sakralräume weiterentwickelt werden, damit sie den pastoralen Herausforderungen der Gegenwart begegnen? Wie sieht ein künftiger Ort der Kirche in der Welt aus?

Das assoziationsanregende Buch wird somit allen empfohlen, die sich mit solchen pastoralen Fragestellungen beschäftigen und aus der Rückschau auf eine Zeit, die auch nur aus dieser Blickrichtung – zurück – «einfach» erscheint, neue Ideen und Handlungsorientierungen für die Zukunft gewinnen wollen. Dabei hilfreich ist, dass das Buch im Open-Access erhältlich ist, also kostenlos von der Internetpräsenz des TVZ-Verlags heruntergeladen werden kann.

Link: https://www.tvz-verlag.ch/buch/1484-9783290184117/?page_id=1

 

Stückelberger, Johannes (Hg.): Moderner Kirchenbau in der Schweiz. Zürich: TVZ 2022.

 

Bodies of Memory and Grace. Der Körper in den Erinnerungskulturen des Christentums

 

Bereits das Cover des Buches verweist auf einen faszinierenden und ungewöhnlichen transdisziplinären Zugang zum Thema «Körper, Religion und Gedächtnis». Beleuchtet wird die Rolle des Körpers, besonders in der Performanz des religiösen Gedächtnisses, aber auch grundsätzlich in der Betrachtung der Verkörperung der Heilsereignisse im Christentum. Durch dieses Buch werden Räume für «anders bilden» eröffnet, findet Dorothee Foitzik.

 

Am Ursprung des Christentums stehen nicht Texte, sondern der nackte Leib. Die zentralen Heilsereignisse des Christentums sind, so die These der Autorin, elementare Körperereignisse und künden vom Vollzug des Heils im Fleisch und vom Heilwerden des Fleisches. Die Spurensuche bringt faszinierendes, zum Teil auch verstörendes ans Licht. Denn die Autorin schafft Bezüge zwischen den Körper- und Bildwelten christlicher Frömmigkeit und heutigen körperbezogenen Inszenierungen in Kunst und Gesellschaft. Mit der Inszenierung von Erinnerung (body of memory) wird zugleich das Heil (body of grace) vergegenwärtigt, welches den Menschen durch das Leiden Jesu Christi zuteilwurde und -wird.

 

Ein Teil des Buches ist der Frage gewidmet, wie das Leiden und Sterben Jesu inszeniert und erinnert wurde und wird. Wie haben gläubige Menschen die Passion Jesu an und in ihren Körpern erinnert? Das Buch bietet eine Fülle an ikonografischem Material und Erzählungen. Der Rückgriff auf hoch- und spätmittelalterliche Praktiken und ihre Fortführung oder Wiederaufnahme im 19. Jahrhundert sowie die Transposition in die Gegenwart zeigen faszinierende, aber auch verstörende Wege der Erinnerung und die Verkörperung der Passion an den Körpern von Gläubigen (Stigmata, Selbstgeisselungen). Es gibt beispielsweise Einblick in die Geschichte der Bruderschaften der Geisseler und beleuchtet neben der Motivation zur Selbstgeisselung die Bedeutung der Geisselung im öffentlichen Raum für die kollektive Reinigung und Busse.

 

Die interessierte Leserin erhält eine bildreiche und mehrsinnige Einführung in die Praxis der Prozessionen vom Mittelalter bis zur Neuzeit. In der Prozessionskultur zur Performanz des Passionsgeschehens, wie sie in den spanischsprachigen Ländern vielerorts bis zum heutigen Tag in der Karwoche, der Semana Santa, oder im Falle Mexikos auch zur Erntezeit gepflegt wird, werden diejenigen, die die Heiligenfiguren tragen, zu einem Körper, der das Passionsgeschehen erinnert und zugleich aktualisiert. Die zuschauenden Gläubigen verschmelzen durch den Mitvollzug in Gebeten und Gesängen, welche die Prozessionen begleiten, mit den Darstellenden zu einem (Klang-)Körper.

Die Autorin setzt Verkörperungen des Heils aus der Geschichte des Christentums in Beziehung zu modernen Kunstwerken und kann so zeigen, wie in Gemälden von Frida Kahlo, in Performances von Marina Abramovic oder in Skulpturen von Alfred Hrdlicka christliche Motive fortgeschrieben, adaptiert und transponiert werden. Ein besonderes Augenmerk legt die Autorin auf die jeweiligen Bedeutungszuschreibungen von Geschlecht im Sinne von Gender.

 

Gaby – ein erinnerungskulturelles Lehrstück

Das Kunstwerk «Gaby» (siehe Buchcover) ist gemäss der Autorin ein erinnerungskulturelles «Lehrstück» für die Selbstermächtigung der LGTB- und Transgender-Community im Innenraum des Christentums. Die Fotografen Andrew Mroczek und Juan José Barboza-Gubo haben Gaby und andere Transgender-Personen im heutigen Peru fotografiert. Die Bilder sind in Anlehnung an mittelalterliche Abbildungen mit den so genannten «arma christi», den Marterwerkzeugen, inszeniert. Über der Aktivistin Gaby schwebt eine überdimensionale Dornenkrone, ihr weisser Büstenhalter nimmt die Symbolik der «Reinheit» auf. Die dargestellten Frauen verkörpern einerseits das Leiden, das sie angesichts ihrer Diskriminierung durch die Mehrheit der peruanischen Gesellschaft durchleben, zugleich verweisen sie auf ihre Selbstverortung in der christlichen, hier der katholischen, Gemeinschaft der Gläubigen.

Der Serie gaben die Fotografen den Namen «Viergenes de la puerta», sie beziehen sich damit auf die Aneignung und aktualisierende Verkörperung der Passions-Gedächtniskultur. Denn es wird auf die Identifikation mit einer die Frauen stärkenden Erzählung verwiesen. Bei der «Virgen de la Puerta» handelt es sich um eine Marien-Figur, die der Legende nach im 17. Jahrhundert in der peruanischen Stadt Otuzco im Stadttor aufgestellt worden war – zur Abwehr gegen Piraten, die die Stadt zu verwüsten drohten. Die Schutzheilige «Virgen de la Puerta» wird am 15. Dezember durch die Stadt getragen, analog zu den Prozessionen mit den Heiligenfiguren der Passionsgeschichte in der Semana Santa, begleitet von Musikgruppen und zahlreichen Gläubigen. Einer anderen Erzählung zufolge wurde die Verantwortung für die Figur «Virgen de la Puerta» später ausdrücklich den diskriminierten Transgender-Frauen in Lima anvertraut. Dies geschah durch einen Priester, der eine Heiligenfigur und den zugehörigen Kult in die Hauptstadt gebracht haben soll.

 

Praktiken der Erinnerungskultur, die der Volksfrömmigkeit zugerechnet werden können, bergen hier grosse Kraft für von der Mehrheitsgesellschaft diskriminierte Menschen. In der aktualisierten Tradition der andinen Stadt verbinden die Nachkommen der «Virgenes de la Puerta» ihr Leiden unter der Homophobie in der peruanischen Gesellschaft mit ihrer Kraft und ihrem wachsenden Selbstbewusstsein. Im Polen des 21. Jahrhunderts versammelten sich Aktivist:innen der LGTB- und Transgender-Community hinter der Ikone der Muttergottes von Tschenstochau, deren Heiligenschein nun aber in den Regenbogenfarben leuchtet. Menschen erobern sich durch solche Handlungen den Platz in der (kirchlichen) Gemeinschaft zurück.

 

Das faszinierende Buch mit seinem transdisziplinären Zugang erörtert zugleich den kritischen, häufig auch politischen, Dialog zeitgenössischer Verkörperungen und Praktiken der Erinnerungskultur mit zeitgenössischen Kunstwerken. Dadurch werden Räume für «anders bilden» eröffnet, wie dies im Sammelband «Anders Bilden Kirche» in den Beiträgen von Judith Könemann (Religiöse Bildung und «Körper») postuliert und von Andrea Meier (Wenn Kunst und Kirche von- und miteinander lernen. Reflexionen aus der «offenen kirche bern») konturiert wird.

Dorothee Foitzik Eschmann

 

Elke Pahud de Mortanges. Bodies of Memory and Grace. Der Körper in den Erinnerungskulturen des Christentums, Zürich TVZ, 2022

Andreas Brun ist neuer TBI Präsident

 

Am 5. April 2022 hat die Delegiertenversammlung mich als Nachfolger von Dr. Markus Thürig zum Präsidenten des Trägervereins des TBI gewählt. Zuvor hat mich die DOK zum neuen Vertreter des Bistums Basel im Bildungsrat der katholischen Kirche in der Deutschschweiz ernannt. In dieser «PRISMA»-Ausgabe darf ich mich Ihnen kurz vorstellen. Ich werde dies mit den beiden Stichworten «Erinnerungen» und «Erwartungen» verbinden.

Erinnerungen sind ein fester Bestandteil meines bald 59-jährigen Lebens. Mein beruflicher Werdegang hat die Vorgängerinstitutionen des TBI mehrmals gekreuzt. Im TKL, dem «Theologiekurs für Laien», wie er damals noch hiess, bekam ich meinen ersten Einblick in die Welt der Theologie.

In meiner Erinnerung tauchen viele Namen von Dozentinnen und Dozenten und Mitstudierenden auf. Mit einzelnen Personen habe ich bis heute Kontakt. Geschichten und Episoden verbinde ich mit dieser Zeit. Einer der ehemaligen Dozenten, Kardinal Kurt Koch, hat uns in einer der ersten Vorlesungen empfohlen, einen Fremdwörterduden anzuschaffen – wer nicht Griechisch oder Latein in seinem Bildungsrucksack habe, komme nicht darum herum. Der Duden hat mich lange begleitet: an langen Abenden in der kirchlichen Jugendarbeit als Hilfsmittel bei Wortbedeutungsspielen.

Zweimal pro Woche hat mich der TKL in den grossen Saal des ehemaligen Priesterseminars St. Beat in Luzern geführt. Zuerst aus dem Entlebuch, später aus Obwalden. Vor den Lehrveranstaltungen und in den Pausen und ab und zu auch danach bildete sich eine Art Community. Für mich ein Vorteil der Offline-Welt. Heute würde ich eine Online-Version vorziehen. Mit dem Institut für kirchliche Weiterbildung IFOK verbinde ich die Erinnerung an Karl Kirchhofer, an erste Kurse in Chur. Erinnerungen, die ich mit Dankbarkeit verbinde. Dankbarkeit, dass ich in unserer Kirche durch diese Bildungswege und Kurse die Möglichkeit hatte, in einen kirchlichen Beruf einzusteigen.

Mein zweites Stichwort lautet «Erwartungen». Bei Google findet sich als Umschreibung des Worts «Zustand des Wartens, Spannung». Ich bin gespannt, wie sich die kirchliche Bildungslandschaft in der Deutschschweiz weiter verändert. In der Publikation «Anders. Bildung. Kirche.» werden Impulse gegeben und neue Möglichkeiten umschrieben, die bei einem dazu gehörenden Studientag schon diskutiert wurden. In dieser Topografie der Bildungslandschaft zeigen sich klare Vorstellungen und viel Spielraum für Entwicklungen. Für das TBI-Team und den TBI-Vorstand ist der «Zustand des Wartens» nicht angezeigt. Sowohl in der theologischen Grundbildung, der kirchlichen Weiterbildung als auch in den Personalkursen stehen grosse Aufgaben an. Eine spannende Zeit!

Mit Blick auf meine Familie mit drei erwachsenen Kindern und ihren Partner:innen ist Digitalisierung entscheidend in vielen (allen?) Lebensbereichen. Selbstverständlich geht Technik nicht ohne Inhalt. Menschen lesen heute Artikel aus dem «Guardian», der «New York Times» oder der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (die drei Namen sind rein zufällig ausgewählt). Vorlesungen aus aller Welt lassen sich heute via YouTube verfolgen. Im Zug beobachte ich Reisende, welche auf Tablets oder Smartphones Videovorlesungen mitverfolgen, bei Autofahrten oder beim Sport werden Podcasts abgerufen.

Wer gehört werden will, muss in der Topografie heutiger Bildungskommunikation gefunden werden, auch Monate später noch. Digitale Angebote bewegen sich in einer Topografie, welche nicht an den Landesgrenzen Halt macht – für die eher kleinräumig denkende und organisierte (kirchliche) Schweiz keine einfache Aufgabe. Als missionarische Kirche haben wir den Auftrag, nicht nur den engsten Kreis von (Bildungs-) Interessierten und bereits bekannten kirchlich Engagierten in den Blick zu nehmen, sondern die teilweise unbekannte grosse Mehrheit von Menschen guten Willens. Um unsere Inhalte mit den Möglichkeiten der Digitalisierung zu verbreiten, braucht es Innovation und finanzielle Ressourcen. Ich freue mich darauf, dies im Rahmen der Vorstandsarbeit begleiten zu dürfen.

 

Andreas Brun-Federer

Diakon, Personalverantwortlicher des Bistums Basel

Dem Kopfautomaten den Stecker ziehen

Die Gedichte von Marianne Vogel Kopp laden ein zu achtsamer Selbstbegegnung und kontemplativem Beten. Ihre lyrischen Meditationen ermutigen zu eigenständiger religiöser Erfahrung und bieten inspirierende Wegmarken einer zeitgemässen Spiritualität, findet Christoph Gellner.

 

kein wunder

fliehen viele

die in die stille gehen

zurück ins getriebe

 

sie erschrecken

über den tumult

der losbricht

im bewussten schweigen

 

nicht zum aushalten

die argen erinnerungen

die ungeklärten emotionen

das heulende selbstmitleid

 

völlig aussichtslos

hier leise warten

nichts als beobachten

kommen und gehen lassen

 

zweifel überfluten

wogen von gegenwehr

erfinderisch die ausflüchte

 

das wird nie was

nichts wie weg

 

Die in Spiez lebende, freiberuflich vorwiegend als Seminarleiterin für Enneagramm tätige reformierte Theologin Marianne Vogel Kopp (*1959) hat ihre neue Sammlung von spirituellen Gedichten als Übungsweg in sechs Schritten angelegt: «Neue Denkräume ertasten», «Meinen Innenraum gewahren», «Schattenräume erkunden», «Den Herzraum überlassen», «Im Zwischenraum wirken», «Ganz da sein». Ihre Schreibarbeit ist unverkennbar weniger poetisch als vielmehr spirituell motiviert, erkennbar werden Innensichten eines persönlichen Erfahrungswegs, der die schmerzhafte Konfrontation mit eigenen Dunkelzonen nicht ausblendet, ja, in deutlich heutiger Sprache zu einer «gründlichen und furchtlosen Inventur in unserem Inneren» ermutigt.

In der Tradition christlicher Mystik aktualisiert der folgende lyrische Text gleich zwei Grundgedanken Meister Eckharts: gegen alle religiösen Bemühungen, Gott handhabbar zu machen, betonte der mittelalterliche Lebemeister, dass wahre Frömmigkeit auch noch ‘Gottes ledig’ werden müsse. Dass wir alle unzulänglichen Vorstellungen und Bilder von Gott – den besessenen Götzen, den man unter die Bank schieben kann – um Gottes willen lassen, Gott Gott sein und wirken lassen – damit wir Menschen immer mehr sein Ebenbild (Gen 1, 26f.) werden. Insofern ist Eckhart Urheber des Begriffs «Bildung» in dem ursprünglich hohen Sinn, dass Gott in uns und wir in ihn hineingebildet werden:

 

ich weiss nur

dass ich dich

nicht fasse

gott

 

du bist nicht ewige

du bist nicht schöpfergeist

nicht gnädiger

du bist nicht brunnquell

nicht allweise

du bist nicht himmlischer

nicht machtvolle

noch friedefürst

 

erst wenn ich

dich lasse

herauslasse

aus meiner sprache

aus meinen bildern

bildest du dich mir ein

wirst du in mir bild

erwach ich

sprachlos

als dein ebenbild

 

In grosser spiritueller Offenheit sind den sechs «Gedankenräumen» erfahrungsnahe, praxisbezogene Zitate zeitgenössischer spiritueller Lehrer:innen wie Thomas Merton, Jorge Bucay, Thomas Keating, Richard Rohr, Katharina Ceming und Annette Kaiser vorangestellt. Meister Eckhart und Angelus Silesius folgend umkreisen Marianne Vogel Kopps spirituelle Gedichte als Zielvision die «leichtigkeit / ‘sunder warumbe’ [=ohne Warum, grundlos] zu leben / unbekümmert / gelassen und frei / sorglos und leicht / ruhig und freudig / abgelegt / alles eigeninteresse», ja, «ohne grund / einfach so»:

 

weniger

wird

mehr

 

reduktion

schafft

glück

 

stille

klingt

wie musik

 

weggeben

weggehen

weglassen

 

reduzieren

minimieren

fokussieren

 

die perle

bleibt

 

einfach

leben

 

Marianne Vogel Kopp: dem heiligen lauschen. Gedichte aus der Stille. TVZ: Zürich 2022, 118. S.

Es ist nicht gleichgültig, an welchen Gott man glaubt

Schon dieser programmatische Titel umschreibt die Stossrichtung der «Theologisch-biographischen Notizen», in denen der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher herauszufinden versucht, ob die alten Begriffe der christlichen Tradition einen Unterscheid machen, der einen wirklichen Unterschied macht. Christoph Gellner stellt das lesenswerte Buch vor.

 

«Das Buch bietet kurze, knappe, biographisch grundierte Theologie», sagt Rainer Bucher (*1956) über die Auswahl von 25 ursprünglich für die österreichische Wochenzeitung DIE FURCHE verfassten, jeweils 4–8 Seiten umfassenden Lesetexten, die Themen seines Lebens und seiner Arbeit bündeln: «Man möge nehmen, was man gerade brauchen kann. Die Welt und schon gar Gott sind sowieso viel zu komplex, um sie zu verstehen. Aber an beiden kommt man halt nicht wirklich vorbei.»

 

Biografie und Theologie

«Bayreuth» ist der erste Text überschrieben. In der Stadt Richard Wagners ist Bucher aufgewachsen, die Villa Wahnfried und die Bayreuther Synagoge lagen auf seinem Schulweg – die «Kehrseite» seiner Heimatstadt ist ihm bewusst: dank der Begeisterung für den Nationalsozialismus war sie eine der Lieblingsstädte Hitlers. 1973 führte ihn sein Konzilskaplan nach Polen und nach Auschwitz, da begann er sich zu fragen, was «seine glückliche Jugend im Schutz der katholischen Kirche» mit «Bayreuths dunkler Vergangenheit» zu tun hatte: «Was haben sie miteinander zu tun: Gott und das Leiden?»

Es war für ihn ein Schock, als er bemerkte, dass der Glaube bei vielen, auch vielen Verantwortlichen, politisch und religiös blind, ja, naiv war, als Hitler sich daranmachte, Deutschland in den Griff zu bekommen; die Resistenz des katholischen Milieus war zumeist auch Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern. Die Märtyrer des christlichen Widerstands, die Geschwister Scholl oder Alfred Delp, Dietrich Bonhoeffer und Franz Jägerstätter, «Heilige allesamt, die zu verehren unsere Pflicht ist: Sie waren wenige, und wer könnte sich anmassen, sich ihnen gleichzustellen, ja, auch nur zu hoffen, hellsichtig und fromm, standhaft und tapfer zu sein wie sie?» Den «dritten Teil der Antwort» fand Bucher noch vor Beginn des Theologiestudiums und auch vor der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Hitler – 2008 erschien seine Studie über «Hitlers Theologie» – in einer, wie er nur andeutet, «Schlüsselszene des Glaubens und auch der Liturgie: in der Verehrung des gekreuzigten Jesus. Es ist nicht gleichgültig, welche Theologie man treibt, es ist nicht gleichgültig, an welchen Gott man glaubt.»

 

Postmoderne: nichts ist selbstverständlich

«Die Kombination aus traditioneller Unverlassbarkeit, moderner Verantwortung und postmoderner Verflüssigung macht […] das Spezifische von Elternschaft heute aus», resümiert der Vater von zwei erwachsenen Töchtern sein «Vater sein». «Elternschaft ist eine einzige Schule der Demut und sie lehrt wie sonst nur noch die eigene Not beten». Ja, sie «ist eine einzige Schule der Selbsterkenntnis und sie lehrt Ehrlichkeit und Tapferkeit. Es ist anstrengend, aber nur gut und gerecht, dass sich auch Väter dieser Konfrontation immer weniger entziehen können. Denn sie ist pures, dichtes, volles Leben […] Elternschaft ist eine Schule der Aufmerksamkeit und sie lehrt Dankbarkeit.»

Angesichts der Revolution der Geschlechterverhältnisse, deren Konsequenzen Bucher für Kirche und Pastoral reflektierte, ist für ihn gesellschaftlich wie auch persönlich klar: «Mit dem Patriarchat ist es vorbei. Das Patriarchat herrscht dort, wo der Mann für sich zwei Positionen beansprucht, die des überlegenen Geschlechts und die des geschlechtsneutralen Menschen […] Das hat lange funktioniert, funktioniert aber heute nicht mehr wirklich […] Ich konnte nicht mehr Vater sein wie der eigene, 1912 geborene Vater, so liebevoll er auch als unübertroffener Erzähler faszinierender Gute-Nacht-geschichten war […] Dass alte Rollenmuster nicht mehr tragen ist nichts wirklich Besonderes, sondern schlicht Teil unserer postmodernen Konstellation: Wir leben in Zeiten, in denen die Vergangenheit nur noch sehr bedingt brauchbar ist, die Gegenwart offenkundig unüberschaubar und die Zukunft ziemlich unplanbar geworden ist […] Quasi selbstverständliche Existenz gibt es für nichts und niemanden mehr. Alle vormals quasi-natürlichen Rollenmuster werden unselbstverständlich, müssen also, wollen sie weiterbestehen, neu entworfen, neu ausgehandelt und neu bedacht werden.»

 

Der Gott Jesu

«Es macht den Gott der Bibel aus, dass vielfältig und in immer neuen, unabgeschlossenen Anläufen von ihm reden muss, wer von ihm reden will», das gilt auch für das Nachdenken Rainer Buchers über Gott. «Er kommt den Menschen nahe und schenkt ihnen dennoch oder gerade darin Freiheit, selbst vor ihm selbst. Er entzieht sich seiner Bemächtigung, selbst durch Jesus. Er ist ein Gott der Nähe und des Sich-Verbergens, der Entdeckbarkeit und des Geheimnisses, der Erfahrung und der Entfernung, des Wissens und des Glaubens. Alle Götter, die dieser Dialektik nicht unterliegen, sind offenbar nicht der Gott Jesu. Das sind etwa alle Götter, die im Munde ihrer Gläubigen Verfügungsmasse eigener Interessen sind, die nicht vom Einzelnen je neu in seinem Leben, in seiner Wirklichkeit ihre Entdeckung einfordern, sondern deren Präsenz behauptet und daher von den anderen Menschen einfachhin eingefordert wird. Umgangen wird damit die grundsätzliche Unverfügbarkeit Gottes für uns Menschen. Das zentrale inhaltliche Kriterium aber, um Gott in den vielen Phänomen und Zeichen der Welt zu entdecken, ist offenkundig die Fähigkeit zu solidarischem Mitleiden.»

Der bei Ottmar Fuchs habilitierte Pastoraltheologe, der zu den Mitbegründern des Theologischen Feuilletons feinschwarz.net gehört, ist «fest überzeugt»: Der Gott, zu dem Bernhard von Clairvaux in der Ketzerbekämpfung zur Zeit der Kreuzzüge und zu dem die islamistischen Attentäter laut ihrer «Geistlichen Anleitung» am 11. September 2001 im Cockpit riefen, «er ist der gleiche Gott», genauer: «ein Macht-Götze des Menschen». «Wo Gott zur Waffe in den Händen seiner Gläubigen wird, wo er Menschenopfer fordert, ist es nicht der Gott des Jesus von Nazareth».

Denn «der Gott Jesu ist ein Gott, der nicht im Grossen und Mächtigen zu finden ist, sondern im Kleinen und bei den Leidenden – und zwar von allen und überall, wo die Aufmerksamkeit der Liebe herrscht.» Es komme nicht auf das Wort ‘Gott’ an, vielmehr auf seinen Begriff: «Jede Religion ohne diese Aufmerksamkeit der Liebe verfehlt Gott dramatisch. Das heisst aber auch: Wo ein anderer Gott handlungsleitend wird, in den Religionen und auch in der Kirche, da stirbt der Gott Jesu.»

Zustimmend zitiert Rainer Bucher Papst Franziskus: «’Wir müssen uns an die Botschaft der Bibel halten: Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes, ob er nun gläubig ist oder nicht.‘ Das ist ein basales Charakteristikum des Gottes Jesu: Nicht sein Glaube an Gott macht einen Menschen zu einem geliebten Kind Gottes, sondern Gott macht es […] Der theologische Fachausdruck dafür lautet: Gnade. Das heisst: Niemand muss an Gott glauben. Der Glaube ist nicht die Bedingung von Gottes Liebe, sondern das Bekenntnis zu ihr. Das ist die grundlegende Eigenschaft des Gottes Jesu: Er ist Gnade. Das hat aber auch eine harte Seite. Denn die Gemeinsamkeit der Menschen vor Gott ist keine ihrer Leistungen, sondern ihrer Sündigkeit […] Gott ist nicht lieb, sondern die Liebe, und wir alle benötigen sie dringend. Die Konfrontation mit ihr macht vor allem eines klar: wie weit weg das menschliche Leben von ihr ist. Jesus macht aber auch klar, dass noch die grössten Sünder diese Erlösung, also Gottes Gnade, bekommen werden, wenn sie sich ihr nicht verschliessen. Mehr ist nicht nötig: Das ist das Befreiende an Jesu Botschaft […] Im gewissen Sinn ist der Glaube an Gott ein wunderbarer Luxus. Der Glaube an Gott gehört eher zu einer Anti-Ökonomie der Verschwendung als zur Ökonomie der Verzweckung.»

Eindringlich reflektiert Bucher über die Bedingungen des heute kulturell dominant gewordenen Kapitalismus, da brauche es Religion als ein Gegengift gegen die schleichende Gnadenlosigkeit einer gewinnorientierten Verwaltung der Welt: «Vielleicht braucht man ja den Gottesbegriff vor allem, damit genau das möglich ist: ganz da zu sein und doch nicht aufzugehen in dem, was einen umgibt.»

 

Was die kirchlichen Gletscher zum Schmelzen bringt

«Verrat» und «Versprechen» sind Texte zur Kirchenkrise überschrieben. Der Missbrauchsskandal wurde offengelegt, weil «der Gletscher zurückwich, der ihn verdeckte, und mutige Menschen nicht den Blick wandten von dem, was sich da zeigte, ja mehr noch: nachbohrten und nachforschten, was da an die Oberfläche kam». Man könne diesen «Gletscher», so Bucher, unterschiedlich benennen, «Konstantinische Formation», «Pastoralmacht», «Säkularisierung» oder «Ende des katholischen Milieus», doch in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften geraten Religionen und die Kirchen generell «unter den individuellen, situativen und jederzeit revidierbaren Zustimmungsvorbehalt ihrer eigenen Mitglieder. Dieser veritable innerkirchliche Herrschaftswechsel zwischen religiösem Individuum und kirchlicher Institution bringt die kirchlichen Gletscher zum Schmelzen: Nicht mehr die Religion beherrscht die Biographien, sondern biographische Bedürfnisse bestimmen die Nutzung von Religion […] Nach Kosmos und Gesellschaft ist nun auch der Körper der Katholiken und Katholikinnen ausserhalb der Reichweite klerikaler Definitionen […] Es scheint, dass damit überhaupt das Modell ‘Kirche’, wie es seit 1600 Jahren bestand und seit Trient immer steiler, weil immer defensiver realisiert wurde, an einem Kipppunkt seiner Geschichte angekommen ist. Die pastoraltheologische Frage in dieser Situation lautet: Wie kann die Kirche die Ernsthaftigkeit des Glaubens, seinen Ruf zur Umkehr darstellen, jenseits der Konstantinischen Formation, jenseits der Pastoralmacht, jenseits des katholischen Milieus und seiner familiaristischen Nachfolgekonzepte [wie die Gemeindekirche] und in grundlegend säkularisierten Zeiten, die den anderen die Hoheit über kirchliche Praktiken geben?»

Welches Versprechen müsste die Kirche heute, am Ende ihrer Herrschaft, im Angesicht ihrer Opfer, vor Gott aus ihrem Glauben heraus geben, fragt Rainer Bucher und erinnert, dass die katholische Kirche im Konzil mit der Pastoralkonstitution Gaudium et spes versprochen hat, ein «allumfassendes Sakrament des Heiles» zu sein, «welches das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht» (Nr. 45). Ausbuchstabiert bedeute dieses Versprechen, «dass die anderen der Ort sind, an dem sich erweist, wer wir sind. Die anderen sind in allem, was sie sind, in ihrer Normalität und Nicht-Normalität, der Ort, an dem sich entscheidet, was Kirche ist. Sie erfahren Kirche oder erfahren sie gerade nicht als Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes.»

«Das Grosse bleibt gross nicht und klein nicht das Kleine», heisst es, gut jesuanisch, bei Brecht. 65-jährig verbindet der in Fundamentaltheologie promovierte Rainer Bucher damit die Hoffnung, dass das Erschrecken über den Missbrauchsskandal zum «erschreckten Erwachen» führe, «nicht länger verdrängen zu können, dass die anderen und nicht unsere religiösen Interessen und Befindlichkeiten die eigentliche Prüfstrecke des Christseins und der Kirche sind».

 

Rainer Bucher: Es ist nicht gleichgültig, an welchen Gott man glaubt. Theologisch-biographische Notizen. Echter: Würzburg 2022, 176 Seiten.

Verwandlung beobachten und gestalten

Einblicke in die neue Online-Zeitschrift «transformatio;»

Vorhang auf für die neue theologische Online-Zeitschrift «transformatio;», die belebende und innovative Impulse für die Theologie setzen will. Transformatio – «Verwandlung» ist ihr Programm: sie begreift die Bibel und die Liturgie als Sinnressourcen und Orientierungshilfen bei kirchlichen Transformationsprozessen. Michael Hartlieb sprach mit Mitherausgeberin Prof. Dr. Birgit Jeggle-Merz.

 

Wissenschaftliche Fachzeitschriften sind in der Öffentlichkeit meist nicht bekannt, erfüllen aber wichtige Aufgaben: In ihnen werden Forschungsergebnisse publiziert, in ihnen spiegelt sich die Bandbreite der aktuellen Themen eines Wissenschaftsbereiches wieder, nicht zuletzt sind sie die Foren laufender Debatten und Grundlage vieler Forschungsnetzwerke. Der Spruch «publish or perish» (=veröffentliche oder gehe unter) macht zudem deutlich, dass Wissenschaftler:innen heute auf Publikationen in Fachzeitschriften angewiesen sind, um von anderen wahr- und ernstgenommen zu werden. Vorbei die Zeiten, wo allein Dissertation und Habilitation genügten, um veritable Posten in der Wissenschaft oder gar eine Professur zu ergattern: wohlgefüllte Publikationslisten, am Besten mit Beitragen, die im sogenannten «Peer-Review» von anonymen Gutachern als sinnvolle Beiträge zum jeweiligen Forschungsfeld bewertet wurden, sind heute der Goldstandard in der Wissenschaftswelt.

Während in der Vergangenheit der Bezug von Fachzeitschriften eine teure Angelegenheit war, gewinnt seit Jahren der «Open-Access» immer mehr Anhänger:innen. Das Wissen einer Zeit transparent zu erschliessen und für alle – also auch die Interessierten ausserhalb der Hochschulen – zugänglich zu machen, das ist ein Traum, den zu träumen nicht zuletzt die Digitalisierungsschübe der vergangenen Jahrzehnte erlaubt haben.

Vorhang auf also für die neue theologische Online-Zeitschrift «transformatio;», die sich am Schnittpunkt aller genannten Entwicklungen befindet und damit belebende und innovative Impulse für die Theologie setzen will. Transformatio – «Verwandlung» ist dabei ihr Programm: sie begreift die Bibel und die Liturgie als Sinnressourcen und Orientierungshilfen bei kirchlichen Transformationsprozessen. Und sie beobachtet gleichermassen mit offenem Blick die «gegenwärtigen spirituellen Suchbewegungen, die Umbrüche religiöser Praxen, den Gestaltwandel kirchlichen Lebens, die Chancen interreligiöser Kontakte» und nicht zuletzt all die Kontexte, in den sich Christliches in der Welt der Gegenwart zeigt oder deuten lässt. Dies alles ist frei zugänglich und in voller Länge abrufbar, bei zwei Themenheften pro Jahr.

Wie ist es zu diesem besonderen Themenzuschnitt von «transformatio;» gekommen, der in der Welt der Theologie eine echte Innovation darstellt? Welche Impulse erhoffen sich die Heftmacher:innen für die theologische Bildung unserer Zeit? Welche neuen Horizonte eröffnen sich dadurch ? Diesen und weiteren Fragen stellt sich Prof. Dr. Birgit Jeggle-Merz, eine der Herausgeberinnen von transformatio;

 

Transformation – Verwandlung – ist aktuell ein richtiges «Buzz-Word». Wir diskutieren in der Öffentlichkeit über die Transformation zu Post-Wachstums-Gesellschaften, wir hoffen auf die Transformation des Gesundheitswesens oder auf die Transformation der autoorientierten Städte hin zu Oasen differenzierter Mobilitätskonzepte … Das Wort wird heute augenscheinlich vor allem in einem stark technischen oder wirtschaftlichen Umfeld verwendet. Was macht es Deiner Ansicht nach zu einem perfekten Titel für eine theologische Zeitschrift?

Vom ersten Moment unseres Projekts an war klar: Wir wollten Bibel, Liturgie und Kultur miteinander ins Gespräch bringen. Zunächst lag diese Intention auch einfach nahe, da die einen von uns ihr wissenschaftliches Herz in den Bibelwissenschaften gefunden haben und die anderen für die Feier des Glaubens entbrannt sind. So hätten unsere Überlegungen für die Installierung einer neuen Zeitschrift auch in einem speziellen bibelwissenschaftlichen oder liturgiewissenschaftlichen Organ münden können, das fragt, wie die Bibel in der Liturgie vorkommt oder wie die Liturgie mit der Bibel umgeht.

Aber unser Bestreben ging in eine ganz andere Richtung. Wir fragten uns, was Bibel und Liturgie eigentlich gemeinsam haben, was die Grunddimension ist, die auf beide zutrifft. Und da liegt der Begriff «Wandlung» tatsächlich ganz nahe. Eine Katholikin, ein Katholik wird bei diesem Begriff vermutlich als erstes an die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi bei der Eucharistiefeier denken. Dabei wird leicht übersehen, dass die ganze Liturgie und sogar jede Form von Liturgie ein Wandlungsgeschehen ist. Immer geht es darum, alle die mitfeiern mit dem Erlösungsgeschehen in Jesus Christus in Berührung zu bringen und sie dadurch immer mehr und immer wieder neu zu dem werden zu lassen, was sie in der Taufe geworden sind. Liturgie ist nicht einfach ein Kult, der einer fernen Gottheit dargebracht wird, um diesen Gott gnädig zu stimmen. Liturgie im christlichen Verständnis ist Begegnung zwischen Gott und Mensch.

Auch die Bibel ist nicht einfach ein Buch mit Geschichten und Texten, die von Gott handeln. Nach ihrem Selbstverständnis ist die Heilige Schrift ein Gesprächsangebot Gottes. Der Gott der Bibel gibt darin von sich Kunde, er zielt auf eine Begegnung mit dem und der Hörenden oder Lesenden. «Die göttlichen Worte wachsen, indem sie gelesen werden …», sagte schon Gregor der Grosse im 6. Jahrhundert. Für ihn ist die Bibel kein abgeschlossenes Wort mit einer wichtigen Botschaft, sondern er sieht ein geistig-geistliches Wachstum des Wortes zusammen mit dem oder der, der und die die Schrift liest (oder aus der Schrift hört). Die Begegnung zwischen Gott und Mensch im Wort der Schrift ist auf Wandlung, auf Transformation ausgerichtet, denn sie intendiert die Wandlung der Hörenden in das proklamierte Geschehen.

So mag der Titel unserer Zeitschrift «transformatio;» auf den ersten Blick einen Begriff aufnehmen, der in der Gegenwart häufig verwendet wird. Aber Wandlung, Transformation ist Kern der christlichen Botschaft und ebenso ein Grundzug des Lebens und der Kultur, sowie auch Schlüsselaufgabe von Politik und Gesellschaft. Was liegt da näher, auch unsere Zeitschrift so zu überschreiben?

 

Transformation – verstanden als grundlegender Wandel – ist sicher etwas, das sich viele Menschen von ihrer Kirche wünschen. Will der Zeitschriftentitel in diesem Sinne eine klare politische «Agenda» besetzen, oder ist der inhaltliche Rahmen durch die Redaktion und das Selbstverständnis weitestmöglich offengehalten?

Wenn von Wandlung die Rede ist, dann ist damit auch Veränderung und Wachstum verbunden. Die Gemeinschaft der Christ:innen versteht sich seit jeher als Kirche auf dem Weg der nie untergehenden Sonne entgegen. Würde sich Kirche nicht mehr weiterentwickeln, würde sie nicht immer mehr versuchen, das zu werden, was das Evangelium ihr aufgibt, würde sie ihre ureigenste Aufgabe verfehlen. Insofern ist Kirche immer auch politisch, im besten Sinn des Evangeliums.

 

Transformatio; hat eine starke Verankerung an der Theologischen Hochschule Chur, sie wird auch gefördert von der «Stiftung Freunde der TH Chur». Wie ist es dazu gekommen?

Jede Zeitschrift braucht auch eine «Heimat», die sie dort findet, wo die Redaktion – oder in unserem Fall ein Teil der Redaktion – ist. Da mit Hildegard Scherer und mir zwei Redaktionsmitglieder an der Theologischen Hochschule Chur lehren, lag die Verbindung zur Hochschule nahe. Die Freunde der TH Chur haben unser Unternehmen grosszügig unterstützt, als wir eine Startsumme brauchten, um ein Graphikbüro mit der Gestaltung der Online-Zeitschrift beauftragen zu können. Für diese Unterstützung sind wir sehr dankbar, denn ohne sie hätten wir nicht einen so ästhetisch schönen Auftritt realisieren können.

 

Transformatio; hat sich zur Aufgabe gesetzt, interdisziplinär zu arbeiten, verschiedene Forschungsbereiche miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Theologie mit ihren unterschiedlichen Fächern spielt eine wichtige Rolle, ebenso die Kulturwissenschaften, die Literatur, auch die Naturwissenschaften. Was erhoffst Du Dir von diesem Zugang an Impulsen für Theologie und Kirche?

Theologie würde verarmen, wenn sie sich nicht im Austausch mit der Gesellschaft, mit anderen Wissenschaften, mit Kunst und Kultur befände. Sie stünde unter der Gefahr, nur um sich selbst zu kreisen und die Gegenwart sowie die Menschen mit ihren Herausforderungen, Wünschen und Nöten zu übersehen.

 

Transformatio; ist eine online-Zeitung und hat gleichzeitig eine klar wissenschaftliche Ausrichtung. Im deutschen Sprachraum ist das kein Alleinstellungsmerkmal, aber viele vergleichbare Angebote gibt es nicht. Wo würdest Du transformatio; gerne in fünf Jahren sehen? Welche Aufgabe hat sie in der theologischen Welt der Zukunft?

In der Theologie haben wissenschaftliche Zeitschriften eine wichtige Funktion. In ihnen spiegeln sich theologische Debatten und Auseinandersetzungen über brennende Fragen der Zeit. Solange diese Debatten sich aber allein in gedruckten Exemplaren niederschlagen, die vor allem über Bibliotheken zugänglich sind, ist der Radius, in dem sie potentielle Leser:innen erreichen, auf ein direkt an diesen Themen interessiertes Publikum beschränkt. Im Internet jedoch kann jeder und jeder darauf stossen, der oder die vielleicht auch ganz zufällig auf einen Beitrag stösst. Wir erhoffen uns eine breite Rezeption, auch bei Menschen, die nie eine theologische Zeitschrift in die Hand nehmen würden. Ich würde mich freuen, wenn in fünf Jahren das nächste Heft von transformatio; von einigen Leser:innen sehnsüchtig erwartet wird, von anderen wegen seiner Prägnanz nicht übergangen werden kann und auch von den gängigen Suchmaschinen ganz vorne platziert wird, so dass es im World Wide Web gefunden werden kann.

 

Würdest Du Dir wünschen, dass theologische Zeitschriften generell im Open-Access verfügbar sein sollten? Welche Chancen siehst Du, welche Nachteile?

Die Zukunft der theologischen Zeitschriften liegt vermutlich tatsächlich im Open-Access. Für andere Wissenschaftszweige ist das schon längst selbstverständlich, Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Debatten online zugänglich zu machen. Die Theologie hinkt hier der Entwicklung nach. Die grosse Chance jeder Online-Veröffentlichung liegt darin, dass sie leicht gefunden und damit auch rezipiert werden kann.

Was gibt es für Nachteile? Alle Wissenschaftler:innen, die mit schriftlichen Quellen umgehen, lieben Bücher. Es gibt nichts Schöneres, als in einem Buch, in einer Zeitschrift zu blättern. Schon der Geruch in Bibliotheken kann glücklich machen. Das kann eine Online-Zeitschrift nicht bieten.

 

Das erste Heft ist im April erschienen, das war für die ganze Redaktion ein erfreulicher Moment. Welche Reaktionen hast Du seitdem erhalten?

Die Reaktionen waren bislang durchweg positiv. Viele waren überrascht, dass wir so ein Unternehmen aufziehen, wo andere Zeitschriften mangels Abonnenten eingestellt werden. Andere wundern sich über unseren Mut, so viel Kraft und Zeit aufzuwenden, wo es doch bei einer kostenfreien Zeitschrift nichts zu verdienen gibt. Besonders gefällt der bisherigen Leser:innenschaft das Design. So würden auch wissenschaftlich komplexe Beiträge leichter lesbar, so wurde uns rückgemeldet.

Liebe Birgit, vielen Dank für Deine ausführlichen Antworten und den Einblick in den «Maschinenraum» heutiger theologischer Forschung und Veröffentlichungspraxis! Und natürlich: Viel Erfolg und Freude bei der Arbeit an allen künftigen Ausgaben von transformatio;

 

Hier geht es zur Website von transformatio; auf der die aktuelle Ausgabe «Liturgie und Körper» bezogen werden kann:

https://transformatio-journal.org/ojs/index.php/trans/index

Engagiert für die Bildung in der Kirche der Deutschschweiz

Als 12-jähriger wünschte er sich, ein Leben lang zur Schule gehen zu dürfen, heute ist er Präsident des Bildungsrats der römisch-katholischen Kirche in der deutschsprachigen Schweiz. Dr. Markus Thürig, Generalvikar des Bistums Basel, war massgeblich an der Gründung des TBI beteiligt, nach sieben Jahren der Präsidentschaft übergab er die Aufgabe an Diakon Andreas Brun, Personalverantwortlicher des Bistums Basel. Dorothee Foitzik und Michael Hartlieb haben den Gründungspräsidenten des Trägervereins zum Abschied interviewt.

 

… Markus, Du hast die Gründungsphase des TBI begleitet und warst auch in der Aufbauphase intensiv eingebunden, bevor Du das Präsidium in diesem Jahr abgegeben hast. Wie ist es zu diesem Engagement gekommen und welche Zielvorstellungen waren dabei für Dich leitend? Hast Du die Aufgabe gerne übernommen?

 

Seit 2011 bin ich Mitglied der Deutschschweizerischen Ordinarienkonferenz und Mitglied in Gremien der Mitfinanzierung SBK/RKZ. In den Jahren bis zur Gründung des TBI (16. September 2014) regte die Mitfinanzierung eine Bündelung der Bildungsleistungen in der Deutschschweiz an. Die DOK unterstützte diese Strategie, weil sie der Bildung des kirchlichen Personals für die Pastoral- und Kirchenentwicklung hohe Priorität gibt. Verhandlungen mit verschiedenen Bildungsanbietern führten zur Gründung des Theologisch-pastoralen Bildungsinstituts aus drei Organisationen: IFOK (Institut für kirchliche Weiterbildung), theologiekurse.ch und die Personalkurse der Diözesen Basel, Chur und St. Gallen, Sion (Oberwallis) und Lausanne-Genf-Freiburg (Deutschfreiburg).

Gute Bildung für die Kirche benötigt ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen und eine gute Abstimmung mit den Bistümern und ihren Leitlinien für Pastoral und Personal. Mich dafür einzusetzen, macht mir bis heute Freude.

 

… Gab es auf dem Weg grössere «Stolpersteine» zu überwinden – oder war den handelnden Personen von Beginn an klar, wie das «Endprodukt» TBI aussehen soll?

Die Mitfinanzierungsgremien hatten ihre Vorstellung und suchten das Gespräch mit den Organisationen, die sich sinnvoll in einem Bildungsinstitut ergänzen könnten. Stolpersteine gab es drei: erstens, «was mir lieb ist, will ich bewahrt wissen»; zweitens, die Forderungen nach finanzieller Besitzstandswahrung; drittens, Mitspracherechte der bisherigen Institutionen im neuen Bildungsinstitut.

 

… in den einschlägigen kirchlichen Veröffentlichungen quer durch alle christlichen Konfessionen wird Bildung in der Breite des Begriffs als überaus relevant für die Zukunft der Kirchen erachtet. Was kann Deiner Meinung nach Bildung leisten – und was nicht?

Bildung schafft Horizonterweiterungen, eine neue Sicht auf Bekanntes, ein Wahrnehmen von noch Unbekanntem. Bildung motiviert und inspiriert: Das möchte ich anpacken! Das möchte ich versuchen! Bildung ermöglicht Reifung der Persönlichkeit mittels Selbstreflexion und Evaluation der Arbeit.

Bildung kann aber die konkrete Umsetzung vor Ort nicht leisten. Die kleinen Schritte, das tägliche Anpacken, die Ausdauer gegen Widerstände – das lehrt das Leben und das Gebetsleben.

 

… wie bist Du eigentlich selbst zum Thema «Bildung» gekommen? Hattest Du ein besonderes Bildungserlebnis, das Dir bis heute wichtig ist?

Zum Engagement für das TBI bin ich über meine oben erwähnten Gremienmitgliedschaften gekommen – und mein Pflichtbewusstsein. Als biographische Anekdote zum Bereich Bildung dies: Auf die Frage meiner Mutter, was willst du einmal werden, habe ich als Sechstklässler geantwortet: Immer zur Schule gehen.

 

… Wenn Du freie Zeit hättest: Welches Weiterbildungsangebot würdest Du selbst auswählen?

In diesen Tagen habe ich mich am Boston College für die online-Weiterbildung zur Synodalität angemeldet. Ich wähle also noch, was meinem Auftrag dient. Meine Wunschthemen für später sind: geistliche Tradition des Christentums, Heiligenbiographien und Kunstgeschichte des Christentums.

 

…Und wenn Du Dich in der Kirche der Schweiz und weltweit umsiehst: Worauf würdest Du bei künftigen Bildungsangeboten besonderen Wert legen, was «tut Not»?

Not bringt die Bildungsresistenz, der man in den kirchlichen Berufsgruppen begegnet. An Angeboten mangelt es nicht. Darum versuche ich, das kirchliche Personal für Bildung zu motivieren; den Anstellungsbehörden empfehle ich, Bildung finanziell und mit Arbeitszeit zu unterstützen.

 

… Was willst Du dem TBI auf seinem weiteren Weg mitgeben? Welche Impulse wünschst Du Dir vom TBI?

T wie Theologie: Das Ringen mit Gottes Wort und das Einbringen der Rede von Gott und seinem Wirken möge Mittelpunkt und Massstab bleiben.

B wie Bistümer: Zwischen dem TBI und den Bistümern bleibe ein reger Austausch in der Überzeugung, wir sind füreinander da.

I wie Inspiration: Ich wünsche dem TBI, dass es geistbeseelt vorausschauend in den Menschen, die im TBI Kurse belegen, die Bereitschaft zum Zeugnis stärken und begeisternde Hoffnung entfachen kann.

 
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