David Wakefield wird neuer Institutsleiter des TBI

 

Das Theologisch-pastorale Bildungsinstitut der deutschschweizerischen Bistümer (TBI) mit Sitz in Zürich ist das Kompetenzzentrum für theologische Bildung Erwachsener und berufsbezogene Weiterbildung kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Deutschschweiz. Ende Mai 2024 wird der bisherige Institutsleiter Dr. Christoph Gellner pensioniert. Bereits an dieser Stelle ein grosser Dank an Dr. Christoph Gellner für sein kompetentes und weitblickendes Wirken.

 

Mit David Wakefield konnte eine bestens qualifizierte sowie in der katholischen Bildungslandschaft der Deutschschweiz anerkannte Persönlichkeit für seine Nachfolge gefunden werden. Auf Antrag des TBI-Vorstandes hat die Deutschschweizerische Ordinarienkonferenz (DOK) an ihrer Sitzung vom 22. August 2023 seine Anstellung bestätigt. Der 40jährige wird die Leitung des TBI am 1. Juni 2024 übernehmen.

David Wakefield hat nach dem Studium der Theologie in Bonn und Fribourg seine Affinität zur Bildung entdeckt und durch verschiedene Anstellungen und Weiterbildungen (z.B. eidg. dipl. Ausbildungsleiter) vertieft. Derzeit ist er Studienleiter und Dozent am Religionspädagogischen Institut RPI der Universität Luzern. Der gebürtige Rheinländer ist sehr gut mit der Kirche in der Deutschschweiz vertraut und verfügt über ein breites Netzwerk im Bereich Bildung. Zusammen mit dem TBI-Team wird er den sich rasant wandelnden Bildungsbereich weiterentwickeln.

 

Der Vorstand des TBI freut sich auf die Zusammenarbeit mit David Wakefield und wünscht ihm schon heute einen guten Start in die neue Aufgabe.

 

Andreas Brun, Präsident des Trägervereins des TBI

Auf Weihnachten zu

 

 

Ein inspirierender 5-teiliger Gedichtzyklus der Luzerner Theologin und Autorin Jacqueline Keune möge Sie begleiten durch die Tage und Nächte bis zum Christfest und darüber hinaus. Eine Weihnachtsgeschichte in Geschichten, die sie für diese PRISMA-Ausgabe verfasst hat:

 

1

In jener Gegend

 

In jener Gegend

wo alle Welt ab- und eingeschätzt wird

– je ärmer, desto gründlicher

wo die Mauern eng stehen

die Habenichtse frieren

und die Sehnsucht Funken aus der Nacht schlägt

 

In jener Gegend

wo die Felder ins Dunkel schweigen

wo die Engel sich verzweigen

ein Stern durch das Dach einer Baracke fällt

und eine Futterkrippe zu atmen beginnt

 

In jener Gegend

wo die auferlegten Wege enden

wo der Mund eines Himmels sich weitet

das Heil ausläuft in unbetretene Zeit

und sich der Welt in den Arm legt

 

 

 

2

Das Dunkel der Welt

 

Ein Namenloser zieht über die Erde

Ein Gefangener hämmert die Einsamkeit in eine Zellentür

Eine ohne Obdach streichelt den Heizkörper im Wartesaal

Ein schmales Paar trinkt den Schlaf herbei

Ein Schwarm Fische hält Totenwache auf dem Grund des Meeres

Ein paar Zerlumpte halten die aussichtslose Stellung

derweil sich das Massengrab am Rand des Dorfes

mit dem lieben Namen

bläht

 

Ein Prophet schaut den Wolf beim Lamm –

in den Kasernen haust allein der Wind

Ein Volk harrt, ein Volk hungert

Ein Kaiser klammert sich an die Macht

Ein Beamter beschriftet die Steuerlisten

bet lehem

Eine Wirtin schüttelt die Federbetten auf

Ein Kundiger liest den Nachthimmel

Eine junge Frau verspricht sich einem Mann

derweil die ungläubige Hand über die

gewölbte Hoffnung

streicht

 

Ein Hirte verflucht die Welt

Ein Stern macht sich auf den Weg

Ein Engel geht unter die Haut

Ein Esel lacht und weint

Ein Himmel beugt sich tief zur Erde

derweil ein Kind auf Stroh

die Angst

zerbricht

 

 

 

3

Die Stimme

 

Eine Stimme ruft

auf den Feldern der Armut

bereitet dem Kind den Weg

seid nicht von Nutzen

tanzt aus den Reihen

tötet nicht die Träume

siedelt Sterne an

haltet euch an Engel

und einander

unverletzt

 

 

 

4

Den Menschen

 

Ein Bretterverschlag

vielleicht

im Bergland von Albanien

und der warme Atem

von Tareks Ziege

 

Ein nächtlicher Hinterhof

vielleicht

in Neu-Delhi

und drei bergende Müllcontainer

die sich in den Wind stemmen

 

Eine zerbombte Schulstube

vielleicht

am Dorfrand von Butscha

und ein Stern

der in die Ruinen fällt

 

Maria

vielleicht

eine junge Schichtarbeiterin

und Josef ein arbeitsloser Kellner

in einem Lazarett

 

Sicher aber

die Botschaft der Engel

noch immer die gleiche –

Friede auf Erden

 

 

 

5

Ich trete in die Nacht ein

beissende Kälte

die nach mir greift

kein Stern nirgends und

alles anders

als versprochen

 

Aber wie von selbst

gehe ich

in die Knie vor dem

Kind

 

dass es meine

Hoffnung

 

repariere

Seelsorge und Diakonie – Ethische und praktisch-theologische Perspektiven

 

Die berühmte “Gretchenfrage”, gestellt vom namengebenden Gretchen an ihren Liebhaber Faust, kommt beim Lesen des Sammelbandes “Seelsorge und Diakonie” unmittelbar in den Sinn. Denn eine der grossen Fragen dieses auf eine Tagung im Frühjahr 2023 in Bern zurückgehenden Buches lautet: Gibt es etwas – und wenn ja, was – das christliches diakonisches Handeln von dem anderer Sozialdienstleister unterscheidet? Michael Hartlieb findet die Beiträge sehr lesenswert.

 

“Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.“

 

Die berühmte “Gretchenfrage”, gestellt vom namengebenden Gretchen an ihren Liebhaber Faust, kommt beim Lesen des Sammelbandes “Seelsorge und Diakonie” unmittelbar in den Sinn. Denn eine der grossen Fragen dieses auf eine Tagung im Frühjahr 2023 in Bern zurückgehenden Buches lautet: Gibt es etwas – und wenn ja, was – das christliches diakonisches Handeln von dem anderer Sozialdienstleister unterscheidet? Oder ist es so, dass jenes einfach nur (theologisch überhöhtes) normales (mit-)menschliches Handeln ist? Hat, anders gefragt, christliche Diakonie einen Mehrwert?

 

Eine der weiteren Fragen in diesem mit 124 Seiten recht schmalen Bändchen bezieht sich auf das Zueinander von “Seelsorge” und “Diakonie” generell, auch hinsichtlich der Klärung eines potenziellen Vorrangs der einen Aufgabenstellung gegenüber der anderen. Und nicht zuletzt wird immer wieder auch die Frage aufgeworfen, in welchem Verhältnis “Subjekt” und “Objekt” von Seelsorge und Diakonie miteinander stehen sollten (und ob nicht eher beide Rollen getauscht werden sollten, um ein theologisch stimmiges Bild zu ergeben. Informativ dazu v.a. Isabelle Noth auf S. 93f).

Um sich auf die Schnelle einen Überblick zu verschaffen, reicht erstaunlicherweise nicht der Blick in das arg kurz geratene und wenig die folgenden Beiträge einordnende Vorwort, sondern ein Blick auf Seite 65. Auf dieser werden im Rahmen des Beitrags von Mathias Mütel auf kürzestmögliche Weise heute relevante Definitionen von Seelsorge und Diakonie zusammengefasst. Anschliessend lohnt sich ein Blick auf die einzelnen Beiträge sehr.

 

Doris Nauer verweist am Beginn ihres Artikels auf die “Seelsorge-Schuldgeschichte” (S.11) der letzten Jahrhunderte und kommt angesichts dieser zum Verständnis einer Seelsorge, die multidimensional und professionell erfolgen muss – orientiert an den Zeichen der Zeit und zugleich im ständigen Abgleich am Vorbild von Jesus Christus. Multidimensional bedeutet in ihrem Ansatz: Sie muss die spirituell-mystagogische, pastoral-psychologisch-heilsame und diakonisch-prophetische Dimension umfassen. Diese Dimensionen werden erörtert und mit Kompetenzen unterlegt, wodurch sie sich beinahe wie ein Berufsprofil lesen (und dadurch den Graben zu gegenwärtig auch machbaren Erfahrungen mit Seelsorge noch tiefer erscheinen lassen). Hier (wie in den folgenden Beiträgen auch) lassen sich diese auf folgende Grundkompetenzen herunterbrechen: Seelsorge heisst, Glauben im Sinne von Satzwahrheiten nicht vermitteln, sondern Menschen auf ihrem Glaubensweg begleiten; mystagogische Seelsorger sollten neugierig machen auf die christliche Sicht von Gott und Mensch; und diakonisch-prophetisch tätige Seelsorgende sollten ein Gespür für die komplexen sozialen Gefüge haben, in denen Menschen heute leben – und sich radikal auf die Seite der Menschen stellen.

 

Heinz Rüegger buchstabiert eine auf diese Art verstandene seelsorgliche Diakonie mit Blick auf gerontologische Herausforderungen aus. Besonders anregend ist in diesem Kontext, wie diakonisches Handeln durch seelsorgende Praxis gestärkt werden kann: Sie fördert beispielsweise ein “absichtsloses Wahrnehmen” des Gegenübers oder ermöglicht bei diesem eine Stärkung der “pathischen Dimension” des Lebens und befreit nicht zuletzt vom “Erfolgszwang” des diakonischen Tuns. Die eigentliche Frage des Beitrags wird am Schluss aber eher dünn behandelt: Gegen den Jugendwahn bezieht der Autor ausführlich Stellung, aber wie Seelsorge im Alter dazu dienen könnte, lebensklug und mit Lebenskunst zu altern, das hätte einer ausführlichere Darstellung verdient.

 

Christine Wenona beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit “Seelsorge in sozial-diakonischen Kontexten und arbeitet dabei heraus, dass Armut in erstaunlicherweise in praktisch-theologischen Beiträgen eine nur sehr untergeordnete Rolle spielt , anders als im englischsprachigen Umfeld. Von dieser Ausgangslage entwickelt sie interessante Perspektiven, wie seelsorgendes Handeln darauf reagieren könnte und vor allem auch, welche theologischen Versicherungen dabei unterstützend wirken könnten: Seelsorge sollte Zeugnis ablegen von einem Gott, der “schaut”, der also einen Blick hat für Ungerechtigkeit und die Not der Menschen. Auch hierdurch werden Diakonie und Seelsorge eng miteinander verknüpft.

 

Mathias Mütel beleuchtet in seinem Beitrag die “Diakonie als Aufgabe der Gesamtpastoral” und konstatiert wie andere Beitragende, dass es gerade bei der Diakonie eine überaus grosse Spannung zwischen der gesellschaftlichen Wertschätzung der Diakonie auf der einen Seite, und ihrer ostentativen theologischen Randlage auf der anderen Seite gibt (dazu illustrativ S. 86 im Beitrag von Isabelle Noth). Soweit so schon der Pastoraltheologe Herbert Haslinger in den 1990er Jahren. Mütel beschäftigt sich anschliessend mit der Frage, ob es ein Proprium christlicher Diakonie gibt, die durch niemanden sonst geliefert werde kann. Nach Mütel gibt es kein explizites christliches Sondergut, aber die Bibel und namentlich der Psalter eröffnen eine Tiefendimension, die eine ganzheitliche, nicht-dualistische Sicht auf den Menschen ermöglicht. Das erörtert Mütel anschliessend sehr schön an der augustinischen Psalmenexegese (S. 64).

 

In ähnlicher Perspektive ist auch Franziskus Knolls Beitrag zu lesen. Mit einem Schwerpunkt zunächst auf der Theologieentwicklung zu Seelsorge und Diakonie bei Yves Congar und dessen Einfluss auf die Genese des 2. Vatikanischen Konzils stellt er den Zusammenhang von eben Seelsorge und Diakonie sehr anschaulich dar. Interessant und in ähnlicher Weise auch in anderen Beiträgen vorkommend nimmt er anschliessend die Seelsorgepraxis von Jesus als Vorlage eigener Überlegungen hinsichtlich der Frage, wie sich gute Seelsorge charakterisieren lässt. Ein nüchterner Ausblick auf die eigentlich notwendigen Auswirkungen dieser Überlegungen auf die kath. Kirche schliessen einen weiteren bemerkenswerten Beitrag in diesem Sammelband ab.

 

Eine gewisse Sonderstellung im vorliegenden Band nimmt Isabelle Noth ein. Ihr Anliegen ist es nämlich, unter Berücksichtigung der Faktoren Psychologie und Motivation doch besondere Haltungen für diakonisches Handeln aus einem gelebten christlichen Leben heraus entdecken zu können. Kein reflektiertes, bewusstes Handeln ohne Motivation – und diese Motivation kann sich insbesondere auch auf die Länge und den Verpflichtungsgrad gegenüber der Handlung auswirken. Sehr spannend und bereits an anderer Stelle in dieser Rezension erwähnt ist eine Motivation, die normalerweise nicht mit dem Subjekt von diakonischem Handeln in Verbindung gebracht wird: Dankbarkeit.

 

Martin Wirths Beitrag markiert ebenso eine Sonderstellung in diesem Buch. Sein Beitrag ist eher in der politischen Ethik angesiedelt, insofern er die widerstreitenden Positionen von Martha Nussbaum und Rainer Forst zur Güterfrage ins Gespräch bringt und die Ergebnisse in die Fragen eines richtigen Verständnisses von Diakonie einspeist. Ein methodisch voraussetzungsreicher, aber gewinnbringender Beitrag für Kenner:innen der Materie.

 

Omar Ibrahim beschliesst den Band mit einer Untersuchung von “Dimensionen philosophischer Hermeneutik in Seelsorge und Diakonie”. In ihm geht es grob gesagt um die Darstellung, dass philosophische Hermeneutik nicht auf das Verstehen von Texten oder Medien beschränkt bleiben muss, sondern dass sie auch fruchtbar zum Verstehen des Beziehungsgeschehens in Seelsorge und Diakonie eingesetzt werden kann – dabei gleichzeitig aber als Methode auch nicht überfordert werden darf.

 

Insgesamt liegt ein sehr themenreiches Buch vor, das zum Glück Seelsorge sehr weit fasst und keinerlei Priester- oder Amtszentrierung erkennen lässt. Möglicherweise auch ein Einfluss der ökumenischen Tagungsstruktur? Jedenfalls hat es seinen grossen Reiz darin, dass es die Theorieebene immer mit der Praxis zusammen denkt. Natürlich ist das hier kein Werkbuch mit Umsetzungsvorschlägen, aber die/der Leser:in findet Assoziationsanregendes in Hülle und Fülle, um das eigene Nachdenken über Seelsorge und Diakonie zu motivieren. Das hilft auch dabei, einige Redundanzen zu überlesen, die sich gleichwohl bei einem Tagungsband nie ganz vermeiden lassen. Sehr empfehlenswert!

 

Noth, Isabelle; Knoll, Franziskus; Mütel, Mathias; Wirth, Mathias (Hgg.), Seelsorge und Diakonie. Ethische und praktisch-theologische Perspektiven, Stuttgart: Kohlhammer 2023, 124 Seiten

Eine radikale Theologie des Unbedingten

 

Auf verschlungenen Wegen ist Michael Hartlieb dem inzwischen ins Deutsche übersetzten Buch des US-amerikanischen Autor John D. Caputo „Die Torheit Gottes. Eine radikale Theologie des Unbedingten“ wiederbegegnet und hat es mit grossem Gewinn gelesen.

 

Es gibt Autoren oder Bücher, die verfolgen einen über Jahre. Immer wieder werden sie erwähnt oder empfohlen, aber die letzte Motivation zum vertieften Kennenlernen oder zur Lektüre mag sich nicht einstellen. Wie gross ist dann der Frust, wenn es endlich doch zum «Showdown» kommt – und sich herausstellt, dass man das Buch lieber schon fünf Jahre früher gelesen hätte … Ein solcher ist persönlich für mich «Die Torheit Gottes» von John D. Caputo, einem US-amerikanischen Theologen und Religionsphilosophen. Erstkontakt hatte ich mit dem Autor vor einigen Jahren bei einer Akademietagung, als ihn der Pastoraltheologe Michael Schüssler als hochinteressanten Denker vorstellte, der die grossen «kontinentalen» Strömungen des 20. Jahrhunderts – Phänomenologie, Hermeneutik und Dekonstruktion – für eine «radikale» Theologie fruchtbar macht. Dazu gleich mehr. Dann stiess ich bei der Recherche zu einem anderen Buch zufällig auf eine Beschreibung, wie «Die Torheit Gottes» ihren Weg in den deutschen Sprachraum gefunden hatte (bis heute sind nur wenige Bücher von Caputo übersetzt): Als Übersetzungsprojekt einiger Seelsorgepersonen aus Deutschland während der Corona-Zeit, auf das dann auch Caputo selbst mit grosser Begeisterung reagiert. Verschlungene Wege fürwahr – und Wege, die mich endlich dazu motivierten, das schmale Büchlein selbst zur Hand zu nehmen.

Bereits das Inhaltsverzeichnis lässt aufhorchen, zumal wenn man selbst Theolog:in ist: «Theologie beginnt mit Atheismus». Huch, was ist denn damit gefordert? An gleicher Stelle wird sogar zu einer «Theologie des Vielleicht» aufgerufen – um damit sicher einige zu verwirren, die von theologischen Fachvertretern äusserst meinungsstarke Positionen zur je eigenen Theologie gewohnt sind.

 

Was also hat dieses Buch für ein Anliegen?

Als Vertreter der sog. «schwachen» oder «radikalen» Theologie möchte Caputo mit der Hilfe der philosophischen Methoden Jacques Derridas zunächst einmal die aufgeblähten und herrschaftlichen kirchlichen Vorstellungen, die mit dem Begriff «Gott» oder «Reich Gottes» verknüpft sind, auf ihre Wurzel (lateinisch «radix», daher «radikale» Theologie) dekonstruieren. «Dekonstruktion» klingt in mitteleuropäischen Ohren ähnlich wie «Destruktion», Caputo legt jedoch grossen Wert darauf, dass es ihm gerade nicht um Zerstörung geht sondern um die Eröffnung neuer Zugängen zum Christentum für denkende Menschen der Gegenwart.  Im Vorwort bzw. in den ersten Kapiteln seines Buches zeigt er deshalb auf, auf wie problematische Weise die «hohe Theologie» christliche Begriffe und Vorstellungen gekapert hat. Gott ist oft genug immer noch der Mächtige mit zahlreichen Attributen der Macht, der am Ende der Zeiten seinen präexistenten Sohn Jesus Christus als Weltenrichter mit dem Schwert auftreten lässt. Gott und Vorstellungen wie das «Reich Gottes» werden dadurch, so der Vorwurf Caputos, von der Theologie auf ein irgendwie bestehendes «Sein» festgelegt, mit dem gerechnet und das berechnet werden kann. Gott wird dadurch selbst Verfügungsmasse der Theologie, wird leicht zum Herrschaftsinstrument und dadurch unglaubwürdig.

 

Gottesvorstellungen entsprachlichen

Caputo plädiert im Gegensatz dazu, Gottesvorstellungen zu entsprachlichen, zu entattributieren und sie als Chiffre für das «Unbedingte» des Daseins, unseres Daseins zu begreifen. Vom «höchsten Wesen» der «hohen Theologie» neuplatonischer Prägung wird Gott (hier kommt das atheistische Moment aus dem Inhaltsverzeichnis in Spiel) in Caputos Denken zu einem «schwachen Vielleicht». Schwaches Vielleicht, das lässt an den Agnostizismus denken. Es gehört zu den Stärken des Buches, das solche potenziellen Missverständnisse von Caputo konsequent thematisiert werden. Nein das «schwache Vielleicht» ist eng verknüpft mit Caputos Vorschlag, wie wir heute auf angemessene Weise von Gott denken können: Gott wird dabei zu einem «Ereignis, das uns bedrängt, für andere öffnet und verändert.» Ein Ereignis ist etwas, das sich nicht kontrollieren, nicht einhegen, nicht unterdrücken lässt – im Gegensatz zu Begriffen wie «Gott» oder «Reich Gottes», deren Verständnishorizont mindestens ein Stück weit kontrolliert werden kann. Um mit Michael Schüssler im Nachwort zu sagen: «Das Ereignis Gottes kann letztlich nicht in ein Bekenntnis oder eine Glaubensformel eingesperrt werden.» (S. 164).

Nun lässt sich fragen, was denn ein solches Verständnis für die Kirchen bedeutet. Lassen wir Caputo kurz selbst zu Wort kommen: «Die kurz gefasste Antwort lautet, dass die Kirchen das Unbedingte [im Sinne dessen, woran wir üblicherweise denken, wenn wir «Gott» sagen, M.H.] enthalten und dass es dort eine Quelle heilsamer Unruhe ist, die kreativ durcheinanderbringt – oder so sollte es zumindest sein.» (S. 17). In gleicher Weise ist es auch nicht das Anliegen Caputos, die Fundamente und Traditionen des christlichen Glaubens – Bibel, Glaubenssätze, Frömmigkeitspraxen usw. – einfach so über Bord zu werden. Sie sind vielmehr als «Theopoesie» neu zu entdecken und zu erschliessen, also als menschliche Annäherungen an das Unbedingte und die Ereignisse, die jenes in vergangenen Leben und in unseren heute gezeitigt hat und weiterhin zeitigt.

 

Natürlich dürfen auch kritische Anfragen an das Buch erlaubt sein. Christlicher Glaube lebt nicht zuletzt aus der Erfahrung des (dauerhaften) Angesprochen-seins durch Gott, das «Du», das in eine Beziehung münden kann. Wie passt das zum vorgeschlagenen Ereignischarakter Gottes? Wie verhält sich dieser überhaupt zum konkreten Befreiungshandeln, das ja eine Zentralperspektive der Bibel ausmacht? «Schuldet» Gott seiner leidgeprüften Schöpfung nicht in gewisser Weise Gerechtigkeit im «Reich Gottes»? Doch halt: Tappt dieser Gedanke nicht schon wieder genau in die Gottes-Falle, die Caputo so eingängig beschreibt: Dass wir recht infantil Gott mit Aufgaben beladen, die wir selbst lösen sollten?

 

An diesen Fragen wird deutlich, wie anregend die Lektüre dieses Büchleins ist. Gerichtet ist es übrigens an eine breite Leserschaft. Wo mehr Fachwissen notwendig ist – zum Beispiel hinsichtlich der Analyse-Methoden Jacques Derridas- steuert dieses Caputo mit einer gewissen Freude an trockenem Humor bei. Der – für eine deutschsprachige Leserschaft – sehr untheologische Schreibstil ist Offenbarung und Bürde zugleich. Offenbarung, weil durch die lockere US-Hochschulsprache oft ungeahnte Assoziationen möglich werden – Bürde, weil nicht jeder Witz zündet und man schon irgendwann verstanden hat, welches Probleme Caputo mit bestimmten Protagonisten aus Theologie und Kirche hat. Trotzdem: Dieses Buch ist uneingeschränkt empfehlenswert für alle, die sich auf eine Theologie mit Wagnischarakter einlassen wollen.

 

Caputo, John D., Die Torheit Gottes. Eine radikale Theologie des Unbedingten, 2. Auflage, Ostfildern: Matthias Grünewald 2022, 167 Seiten.

Dank an die religiös Indifferenten

 

Wer sind sie: die Menschen, die nicht in die Alternative von gläubig oder nicht-gläubig passen? Die sich fern halten von kirchlichen Institutionen und ihren Glaubenssystemen? Der frühere Bischof von Poitiers ist bei den «religiös Uninteressierten» in die Schule gegangen. Das Resultat? Ein Blickwechsel, den Christoph Gellner inspirierend findet.

 

In Meinungsumfragen muss man meist mit Ja oder Nein antworten. Diejenigen, die weder «dafür» noch «dagegen» sind, sondern «anderswo», werden rasch als Parteigänger oder noch nicht erklärte Gegner behandelt. Doch Albert Jean-Marie Rouet weiss um die Unzulänglichkeit solcher Schablonen, gerade auch in religiös-spiritueller Hinsicht: «Das spirituelle Leben und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft sind mittlerweile zwei voneinander getrennte Dinge, und beide gehen in letzter Instanz aus der souveränen Entscheidung des oder der Einzelnen hervor.»

 

Ohne Karte losgehen

Der emeritierte Erzbischof von Poitiers (Frankreich) will bewusst «ohne Karte» aufbrechen, um diese neue Welt jenseits der vorgefassten Kategorien von Gläubigen und Ungläubigen zu erkunden: «Indifferenz geht nicht notwendig mit plattem Materialismus einher. Sie bewahrt sich eine Offenheit für ein Über-sich-selbst-Hinaus und einen Ruf. Doch dieser Ruf richtet sich an keine etablierte Religion. Er richtet sich an etwas ausserhalb oder neben ihnen», beschreibt er empathisch die religiös Indifferenten – «Uninteressierte» nennt sie der der deutschsprachigen Übersetzung des 2013 im französischen Original erschienenen Buchs hinzugefügte Untertitel.

Eberhard Tiefensee lobte Rouets selbstkritisch-konstruktiven Essay als «eine starke Anfrage an das bisherige kirchlich-missionarische Agieren». Kaum zufällig erinnert der Alt-Bischof daran, dass «Dialog im Sinne des Konzils» nicht nur Begegnung und Austausch meint, sondern einen Übergang, der eine selbst-missionierende Veränderung in den Blick nimmt: «Wer sich auf den anderen einlässt, wird sich seiner selbst lebendiger bewusst». Dialog erwächst aus einer «Selbsthingabe, die sich den Überraschungen aussetzt, die mit dem Anderssein des anderen verbunden sind.» Schon der Buchtitel [frz. L’etonnement ce croire, wörtlich: Das Staunen zu glauben] ist Programm: «Blickwechsel und Umkehr zum Leben, dank ‘der Anderen’» (Gotthard Fuchs).

 

Eine Anfrage an das bisherige kirchlich-missionarische Agieren

«Es geht nicht darum, den Glauben vorzuschlagen, sondern mit diesen Menschen einen Glauben zu entdecken, der uns allen vorausliegt», setzt sich Rouet kritisch vom Brief seiner Mitbischöfe an die Katholiken Frankreichs «Proposer la foi dans la société actuelle» (1996) ab. Religiöse Indifferenz betrachtet Rouet als Spezialfall jener Indifferenz, die ein Charakteristikum des «postmodernen» Menschen in seinem (Über-) Lebenskampf sei. Sie resultiere aus den heutigen Lebensbedingungen, sei eine Reaktion auf die Fragmentierung der individualistisch-pluralistischen Konsumgesellschaft.

Von daher versteht Rouet Indifferenz als Schutzwall, als eine Vorsicht, die eine Person vor Zwängen von aussen bewahrt und vor Vorschriften, die sie nicht mitentschieden hat. Aus dem Selbstschutz kann auch «Rückzug in die Gefühllosigkeit» oder aggressive Verteidigung des Privatbereichs werden. Gleichzeitig bewahre sich diese Indifferenz «eine spirituelle Dimension, erkennbar an spontaner Grosszügigkeit, in dem Wunsch nach einem intensiven Privatleben und, erstaunlicherweise, im Empfinden einer Leere, der eigenen Winzigkeit, des eigenen ‘Nichts’». Unter dem Phänomen der Indifferenz verbergen sich existentielle Fragen, die jedoch nicht in die «grossen» Fragen (etwa nach dem «Sinn des Lebens») münden, sondern auf die individuelle Alltagsexistenz ausgerichtet bleiben.

 

Es braucht eine neue Einstellung

Indifferenz werde meist wie ein Symptom behandelt wird, nicht wie eine Frage. In dieser Sichtweise ortet Rouet mehrere Unzulänglichkeiten hergebrachter kirchlicher Verkündigung:

«Die erste Unzulänglichkeit besteht darin zu meinen, der Sinn erwüchse aus der Antwort – und nicht aus der Frage.»

«Die zweite Unzulänglichkeit besteht in der Meinung, eine gute Vermittlung von Kenntnissen über die Religion würde genügen, um Geschmack daran zu bekommen, zu leben und zu glauben.»

«Die dritte Unzulänglichkeit betrifft den Blick, den die Kirche auf die Personen richtet. Allzu oft noch hockt sie beleidigt auf dem Aventin, von dem aus sie urteilt, bevor sie Anteil nimmt, mit-lebt, sich Freude und Trauer zu eigen macht […] Die Aufmerksamkeit für das ganze Leben der Menschen, verbunden mit der Zuwendung zu dem, was es im Innersten ausmacht, braucht eine neue Einstellung», die weniger institutionell, stärker auf die Sorge jedes Einzelnen ausgerichtet ist.

 

Wie gelingt mein Leben?

Durch ihre massive Präsenz sei die Indifferenz eine Anfrage an den Glauben: «Es gilt herauszufinden, warum er kein Begehren (désir) mehr auslöst.» Indifferenz bildet so etwas wie eine schützende Tonschicht zwischen Oberflächen-Pragmatismus und dem verborgenen Wunsch nach gelingendem Leben, der in der Tiefe unentdeckt bleibt: «Es geht um nichts weniger als das, was einen Menschen lebendig macht, mithin seinen Elan, sein Verlangen». Dass Menschen Vertrauen aufbringen, um ihr Leben zu führen, Vertrauen auf Werte, auf die Liebe, ist gar nicht selbstverständlich. Rouet nennt solches Lebensvertrauen «’ersten Glauben’. Er ist das Erdreich, in dem sich der religiöse Glaube verwurzeln kann. Denn der erste Glaube öffnet der einzelnen Person einen Horizont, der sie weitet und über sich selbst hinausführt.»

Oft höre man, wie den Indifferenten der Vorwurf gemacht wird, sie interessierten sich nicht für die wesentlichen Fragen, begnügten sich also mit einer oberflächlichen und banalen Existenz. Doch ist es nicht wesentlich, fragt Rouet zurück, sich um das zu sorgen, was der Existenz eine konkrete und dauerhafte Anerkennung verschafft? Ein Mensch wisse recht gut, was in ihm pocht: das Verlangen zu existieren, anerkannt zu werden in seinem Einzigsein.

Schon der Theologe Pseudo-Dionysius, der eine Synthese aus Platon und christlichem Glauben anstrebte, wusste: «Selbst ein Mensch, der nach dem schlechtesten Leben strebt, begehrt doch überhaupt nach Leben, und zwar dem, das ihm als bestes erscheint, und deshalb hat er Anteil am Guten, sofern er da Streben selbst hat, Leben erstrebt, und zwar ein bestes Leben beabsichtigt.»

 

Erstaunter Glaube

Das berührt sich eng mit dem, was der Pariser Jesuitentheologe Christoph Theobald «Lebensglaube» nennt. Im Zeichen einer «Leben zeugenden Pastoral» (Pastoral d’engendrement), deren Vorbild Jesu absichtslose Gastfreundschaft und Zuwendung zu den Menschen ist, denen er begegnete und sagte: «Dein (!) Glaube hat Dich gerettet» (Lk 17,19), fordert Theobald, den pastoralen Scheinwerfer auf diesen elementaren Lebensglauben eines jedes Menschen auszurichten. Darauf, wie Menschen ihren Glauben an das Leben finden, Vertrauen ins Leben investieren, ja, ihrem Leben Kredit geben.

Haben wir uns schon einmal gefragt, weshalb Jesus so grossen Wert darauf legt, dass die von ihm Geheilten selbst die ersten Schritte in ihrer neuen Verantwortung für ihr Leben tun, fragt Rouet und gibt selbst die Antwort: Jesus bindet sie nicht an sich, vielmehr glaubt er an sie, gibt sie frei und ermächtigt sie, in Freiheit ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Damit zielt er über das hinaus, was sie in sich selber verschliesst. «Auf diese Weise schenkt Jesus ihnen Hoffnung durch das Vertrauen, das er ihnen bekundet. Er gibt sie sich selbst zurück, macht die Schicht, mit der sie sich schützen, durchlässig und berührt ihr Herz.» Nur so, von innen her, ist die Öffnung der Indifferenz möglich.

Wie gelangt man vom ‘ersten Glauben’ zu einem christlichen Glauben? Nur durch Vertrauen und ein respektvolles Lernen vom Anderen, ja, eine Haltung der Geschwisterlichkeit («auf Augenhöhe») und der Geduld. Was voraussetzt, sich denen gegenüber, die sich indifferent nennen, nicht indifferent zu zeigen. «Erinnern wir uns», beschliesst Rouet seine der deutschsprachigen Ausgabe hinzugefügte Relecture seines Buchs acht Jahre nach der Publikation des französischen Originals, «an den ersten Satz, den Jesus zu seinen Jüngern sagt, die keine besondere Bildung mitbrachten: ‘Ich werde euch zu Menschenfischern machen.’ (Mt 4,19) Er geht von ihrem Menschsein und von ihrer alltäglichen Arbeit aus. Angesichts der Indifferenz scheint mir das interessant zu sein.»

 

Albert Rouet: Erstaunter Glaube. Dank an die religiös Uninteressierten, hg. v. Hadwig Ana Maria Müller und Reinhard Feiter, Matthias Grünewald Verlag: Ostfildern 22023, 143 S.

Beim Leben in die Lehre gehen

 

Eine Weisheitstheologie für das 21. Jahrhundert macht Klaas Huizing in seinem unkonventionellen Grossentwurf christlicher Dogmatik stark: eine «Lebenslehre», resonant für das aktuelle Lebensgefühl heutiger Menschen. Ein anregender und heraufordernder Neuansatz, findet Christoph Gellner.

 

Klaas Huizing, evangelischer Theologe in Würzburg, der auch mit Belletristik wie dem Jesusroman «Mein Süsskind» oder einer kleinen Kunstgeschichte christlicher Gesten «Handfestes Christentum» hervorgetreten ist, legt eine innovative Gesamtdarstellung systematischer Theologie vor, die die biblische Weisheitstheologie für eine Neubestimmung der christlichen Rede von Gott fortschreibt.

Mit Aleida Assmann versteht er Weisheit als «Wissen um ein gelingendes Leben, eine Ars vivendi und moriendi (=Kunst des Lebens und Sterbens) unter den Bedingungen menschlicher Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit. Wissen und Handeln sind deshalb untrennbar verbunden.» Indem sich Weisheit der «Imagination» und «Fiktion» bedient, macht sie «neue Spielräume, neue Chancen sichtbar» und trägt so zur Veränderung des Bestehenden bei, besitzt also innovatives, kreatives Potential.

 

Beim Leben in die Lehre zu gehen bedeutet, es zuerst zu bejahen

Wie schon im AT steht in Huizings weisheitlicher Lebenslehre die Leibgebundenheit des Menschen im Zentrum, dazu gehören Kreativität und Lebendigkeit im Sinne von Resonanzfähigkeit bzw. -offenheit, Freude und Genuss. Schöpfungstheologie und theologische Anthropologie bilden denn auch den Schwerpunkt von Huizings leibsensibler, genussfreudiger Theologie, die die Liebe zum Leben feiert. Ausdrücklich lädt er ein: «Werden Sie ein andächtiger Geniesser. Finden Sie Ihren Platz und ihre eigene Lebensform in einer resonanten Welt!»

Biblischer Schlüsseltext ist für Huizing das bildkräftige Weisheit-Gedicht von Spr 8,22-31, ein Stück Dichtertheologie par excellence: Uranfänglich hat Gott als Anfang seiner Werke die Frau Weisheit gewebt, die ihn spielend, tanzend und scherzend zum kreativen Schöpfungshandeln animiert. Mit den Augen von Spr 8, so Huizing, «lesen wir die Welt als Nahrung und Wohnstätte, die Genuss und Geschmack macht. Lebendigkeit, Kreativität, Entwicklungspotential sind das Webmuster der Welt. Ein ganz neues Bildprogramm.»

Ethisch gewendet bedeutet dies: Genuss stärkt die Kräfte des Bewahrens der Grosszügigkeit der Schöpfung und macht zugleich sensibel für das Leiden der Kreatur. Wie kommt es zur Weltliebe, zu einem neuen Verhältnis zur Tier-, Pflanzen- und Umwelt? Huizing ist überzeugt: «Erzählte, szenisch stark gebaute Geschichten, Theopoesien, ermuntern stärker dazu, unsere Weltwohnung auch für spätere Generationen zu schützen als kluge Manifeste. Weil diese Erzählungen Szenen vor Augen malen, in die sie leiblich eingebunden werden, erfahren sie die Weltliebe atmosphärisch dicht.»

Weisheitliche Gottesfurcht, betont Huizing, darf nicht als autoritäre Gehorsamsforderung, sondern muss als wohlwollende Ermutigung zur Klugheit und zum Kampf gegen das Böse gelesen werden. Die Weisheit ist nicht nur Schöpfungsmittlerin, sie hat innerweltlich auch einen Lehrauftrag, um über die Ambivalenzen der Lebenswelt (trotz und auch wegen der erfahrbaren Kreativität, Lebendigkeit und Entwicklungsfähigkeit) aufzuklären, für einen weisheitlichen Lebensvollzug zu werben und zugleich das Böse zu hassen, indem sie Handlungen, die das Gemeinwohl aus dem Fokus verlieren, Lügen öffentlich anzeigt und durch Überzeugungsarbeit für Alternativen wirbt.

 

Zurück zum Leib!

Zeit- und kultursensibel entfaltet Huizing die grossen Themen christlichen Glaubens im Gespräch mit zeitgenössischer Literatur und bildender Kunst sowie im ständigen Bezug zur Leibphänomenologie des Philosophen Hermann Schmitz, der in grosser Nähe und Sympathie zum Religionswissenschaftler Rudolf Otto steht und die Erfahrung des Heiligen als eigentümliche Atmosphäre der leiblichen Betroffenheit qualifiziert – mit seinem neuen Alphabet der Leiblichkeit wollte Schmitz, so Huizing, nichts weniger als den Menschen ihr wirkliches Leben begreiflich machen.

Als Pointe seiner Lebenslehre streicht Huizing heraus: «Der Leib ist das Urmedium der Resonanz und Ausgangspunkt für unsere Wahrnehmung, unser Spüren, unser Erleben. Ich lerne mich überhaupt erst kennen durch leibliche Betroffenheit. Es ist das leibliche In-der-Welt-Sein, das dem Menschen Erfahrungen des Heiligen ermöglicht.» Zugänge zum Transzendenten erschliessen sich im leiblichen Spüren. Von daher kann Huizing zuspitzen: «Religion ist Betroffenheit von Göttlichem als affektiver Betroffenheit mit unbedingtem Ernst.»

Mit Verweis auf eine eindringliche Formulierung aus Navid Kermanis Buch Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott (2022) – «Allein schon im Atmen liegt das ganze Leben mit all seinen Widersprüchen: Zwang und Freiheit, Schmerz und Freude, Zufall und Vorsehung, Beklemmung und Erlösung» – betont Huizing: «Leibliche Lebendigkeit verdichtet sich im geschenkten Urexistential des Atmens. In theologischer Deutung wird in jedem Atemzug Gottes Geist erfahrbar.»

 

Salomonisches Lernen

Leib meint weniger den über die fünf Sinne wahrnehmbaren Körper als vielmehr leibliche Regungen (z.B. Angst, Ekel, Wollust, Müdigkeit, Hunger), die wir spüren, wenn Gefühle als Atmosphären andrängen. Zugunsten der leiblichen Resonanzoffenheit empfiehlt Huizing, sich keinen Panzer der Coolness zuzulegen, irritierbar und betreffbar zu bleiben. Andächtiger Genuss, dem immer auch Ehrfurcht beigemischt ist, macht dankbar und demütig, zugleich leidsensibel für gefährdetes Leben.

Für die internationale biblische Weisheit versteht sich, dass es vielfältige Realisationsformen und Praktiken des Heiligen gibt – auch ausserhalb der Kirchenmauern. Seine theologischen Reflexionen lockert Huizing daher mit mehreren Essays auf, die «Wege und Realisationsformen des Heiligen» in Literatur und Kunst erschliessen. Augenöffnend das Kapitel über den Schweizer Schriftsteller Gerhard Meier als Poeten weisheitlicher Schöpfungsfrömmigkeit. Huizings Affinität für Theopoesie wird in seinen Bibelexegesen fruchtbar, die sich, nicht selbstverständlich für einen Dogmatiker, auf der Höhe aktueller Reflexion der Eigentümlichkeiten literarischer Narration und Fiktionalität bewegen: «Poesie ist dem Glauben zu Eigen wie der Atem dem Leben», zitiert er Christian Lehnert. «‘Gott’, das ist eine riesige Galerie von Bildern, fiktiv und schön, die soviel sichtbar macht, wie sie verbirgt.»

Wichtig ist zu sehen: Huizing wuchs in einem streng calvinistischen Milieu nahe der niederländischen Grenze auf und forderte mit «Schluss mit Sünde» anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 «eine neue Reformation». Gegen die den anthropologischen (Erb-) Sündenpessimismus vor allem im Raum protestantischer Theologie macht er nun den anthropologischen Optimismus der Weisheit stark.

Sein wichtigster Beleg? Statt wie in der vorherrschenden Auslegung Gen 3 müsste Gen 4 als die eigentliche Sündenfallgeschichte angesehen werden. Sie stellt zugleich die alttestamentliche Urform der Rechtfertigungslehre dar, bleibt Kain doch auch nach dem Brudermord an Abel als Gottes Geschöpf mit dem Kainsmal unter Gottes Schutz. Weisheitlich zielt Gen 4 auf einen klugen Umgang mit Aggressionsgefühlen, auf präventives Lernen, sich von aggressiven Atmosphären zu distanzieren. Neutestamentlich kommt Jesus als Weisheitslehrer, ja, als Plakat der christlichen Liebe ins Spiel.

 

Weihnachtschristentum

Wie schon Matthias Morgenroth plädiert Huizing für ein Weihnachtschristentum, in dem nicht Sünde und Tod im Mittelpunkt stehen, sondern die Geburt, die durch Jesus Christus in die Welt gekommene neue Freiheit: «Das Christentum startet mit der Krippe, nicht mit dem Kreuz; dieser Neuanfang wird als Geburt höherer Ordnung, als neuerliches Menschwerden des Menschen gedeutet: Dieses Kind in der Krippe bietet den Neuanfang eines Lebens, das sich später als plakatiertes Bild gelingenden Lebens, als Gleichnis für die Menschwerdung des Menschen zur Identifizierung anbietet – im Blick auf dieses Leben wird durchsichtig, wie Leben gelebt werden kann.»

Statt notorischen Kreisens um sich selbst steht Jesus – formuliert Huizing abkürzend-verdichtend in den «Results» – für die Macht der Liebesatmosphäre Gottes, die sich nicht länger an Ehre und Status orientiert, vielmehr «Selbstzurücknahme, Opferbereitschaft und Statusverzicht zugunsten eines friedlichen, gewaltfreien aber auch genussreichen Lebens in unserer Weltwohnung einsetzt».

Die Lebenslehre des von den Evangelisten plakatierten Jesus – Lukas ist Huizing am nächsten – steht ganz im Zeichen der Freude, was er eingehend an Lk 1 + 2 demonstriert. Die Philosophin Hannah Arendt konzipierte von der «Geburtlichkeit des Menschen» her ihre Anthropologie und verwies dabei ausdrücklich auf Weihnachten: «Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien ‘die frohe Botschaft’ verkünden: ‘Uns ist ein Kind geboren.’» Huizings Fazit? «Kreativität ist Natalität, wird – Hannah Arendt erweitert den Begriff entsprechend – erfahrbar in jedem schöpferischen Prozess.»

Jesus Christus als «Plakat der christlichen Liebe» ist die einzigartige Verdichtung der göttlichen Liebesatmosphäre: Lukas inszeniert eine Atmosphäre der Freude, die als Weitung gespürt wird. Nicht zufällig beginnt dieses Evangelium mit der Freude der Geburtlichkeit, der Freude eines neuen Anfangs. Das Christentum ist daher im besten Sinne Geburtlichkeitsreligion, feiert jedes Weihnachten das Wunder eines Neuanfangs: «Gotteskindschaft ist der Fokus einer Theologie der Geburtlichkeit. Was ein lebendiger, kreativer, entwicklungsfähiger Mensch sein kann, wird von hier aus erzählt.»

 

Mehr als Salomo! Und auch mehr als Jona!

In Lk 10,17-20 ruft Jesus zu einer Freude ohne Statusehrgeiz oder Machtallüren auf: Nicht die ruinöse Konkurrenz, wer der beste Exorzist ist, ist massgebend, sondern «die Vorfreude auf eine alle gleich auszeichnende Gestimmtheit im himmlischen Frieden, die aber auch innerweltlich im anbrechenden Gottesreich nahe ist». Was echte Freude ist, wird in den drei Gleichnissen Lk 15 erkundet: die Freude über ein wiedergefundenes Schaf, eine verlorene Drachme und den verlorenen Sohn. In diese Reihe gehört für Huizing auch die literarische Höhenkammerzählung über den Zöllner Zachäus (Lk 19,1-10): Vielleicht zum ersten Mal fühlt sich der kleinwüchsige Aussenseiter als Mensch gemeint, weil Jesus zu ihm hochschaut und mit ihm feiern will. Lukas inszeniert Jesus als einen inklusiven Weisheitslehrer in prophetischer Tradition, der die göttlichen Heilszusagen über allzu enge Grenzziehungen hinaus lenkt – gerade darum heisst es von ihm: Hier ist mehr als Salomo! Und auch mehr als Jona! (Lk 11, 31f.)

Das Christentum endet nicht mit Karfreitag, sondern mit Ostern. Für Klaas Huizing zeigen die Oster-Narrationen des NT: «Das Leben endet nicht tragisch.» Bei allem Streit, wie das Kreuz anstelle der überkommenen Sühnopfer- und Satisfaktionstheologie neu zu deuten ist oder wie wir uns die Auferstehung vorstellen können: «Soviel ist sicher: Jüdisch-christliche Literatur ist Tragödienkritik. Alles wird gut. Ob die gespürte Nähe des Neuen sich auf die Lesenden überträgt und Freude auslöst, die Kräfte freisetzt für die Etablierung einer [christlichen] Gegenkultur, hängt wesentlich ab von der Grandezza der inszenierten [biblischen] Texte», aktualisiert er das protestantische Schriftprinzip.

Selbst wenn man Huizings Deutungen nicht gänzlich teilen mag: Der durch «Kleine Rekapitulationen» sowie «Antworten auf E-Mails nach der Vorlesung» gut aufbereitete 568-Seiten-Grossentwurf – mit Anmerkungen und Bibliografie im Anhang – macht auf jeden Fall Lust, theologisch (neu) zu denken.

 

Klaas Huizing: Lebenslehre. Eine Theologie für das 21. Jahrhundert,

Gütersloher Verlagshaus 2022, 775 S.

Fehlt Gott?

 

Gott ist aus unseren zu engen Gottesvorstellungen ausgezogen, seine Spur ist ausserhalb ‘seiner’ Kirche auszumachen und neu zu entdecken: das ist Ausgangspunkt einer lesenswerten Spurensuche, die aufspürt, wo Gott zur Leerstelle und zur Frage geworden ist. Christoph Gellner stellt sie vor.

 

«Wer sagt, es gebe Gott nicht, und nicht dazu sagen kann, dass Gott fehlt und wie er fehlt, der hat keine Ahnung. Einer Ahnung allerdings bedarf es», zitiert der Kapuzinerbruder Stefan Walser, Juniorprofessor für Fundamentaltheologie in Bonn und Herausgeber des Bandes «Fehlt Gott? Eine Spurensuche» den kürzlich verstorbenen Schriftsteller Martin Walser. «Aber er fehlt. Mir.»

Die Leitfrage der biblischen, spiritualitätsgeschichtlichen, theologischen, religionsphilosophischen und zeitdiagnostischen Beiträge lautet: Wie kann man von einem Gott sprechen oder predigen, der nicht selbstverständlich ist, ja, der einer Gesellschaft und einer Kirche abhanden gekommen scheint?

Gott woanders finden

Jürgen Werbick stellt der gängigen Vorstellung vom Abhandenkommen Gottes in unserer säkularen Alltagswelt wie der mit der Umnutzung von Kirchengebäuden verbundenen pragmatischen Abriss-Perspektive die verstörende biblisch-prophetische Exodus-Perspektive Jer 7,1-15 entgegen: «Gott ist ausgezogen aus seinem Tempel. Da wollte er nicht mehr wohnen; das wollte er nicht länger mit sich machen lassen, dass man sich seines Schutzes und der Geborgenheit bei ihm sicher war – und tat, was man wollte. Er zieht aus und lässt ein gottverlassenes Volk zurück. Er entzieht sich dem König und den Priestern, die sich als seine Stellvertreter aufspielen und ihn vor den Völkern blamieren.»

Der Beitrag des Altmeisters der Fundamentaltheologie «Wohin ist Gott?» ist der herausforderndste. Für ihn hat sich die Kirche der Scheiterns-Perspektive auszusetzen, warum Gott seine «Menschheits-Bedeutung» verloren hat: «Gott selbst zieht aus. Er entzieht sich dem Macht-Gehabe, der pompösen Inszenierung, dem Herunterdonnern der Moralapostel auf die, die man wegen ihrer Verworfenheit nicht einmal mehr als von Gott gesegnet ansehen will. Er ist nicht da, wo man seine Macht zu menschlich-allzumenschlicher Selbstbehauptung nutzen will. Das ist die Lektion, die Elia lernen muss: Gott im leisen Wehen, in dem Wink, der ihn dahin weist, wo er jetzt gebraucht wird» (1 Kön 19,1-18).

Kirchenglaube oder Gottesglaube?

Erstaunlich, wundert sich Werbick, «wie wenig die Kirche dieses Gotteslernen auf sich beziehen wollte». Doch nun «muss sie auf den leisen Hauch achten, nach der Spur suchen, in der sie ihm jetzt nachzufolgen hätte. Die Mesalliance zwischen der Kirche Jesu Christi und einer feudalen kirchlichen Selbstinszenierung ist so sehr aus der Zeit gefallen, dass sich auch viele Menschen in der Kirche abwenden. Das hat in manchen seiner Texte – etwa in Evagelii gaudium – keiner so deutlich ausgesprochen wie Papst Franziskus.»

Gott-verlassen komme einem die Kirche vor, mit ihrem Gottes-Anspruch gescheitert, so Werbick. Da dränge sich die Frage auf, «ob wir tatsächlich ihm glauben oder doch lieber mit unserem Glauben in der Kirche zuhause sein wollen. Glauben wir ihn oder die Kirche? Wir können nur hoffen, dass das eine falsche Alternative ist; dass die Kirche Dienerin für unseren Gottesglauben geblieben ist. Dass sie ihm vielfach Schaden zugefügt hat, wird leider auch wahr sein; dass man Gott in ihr missbraucht hat: durch Moralisierung, Sakralisierung, Vereinnahmung. Aber unser Gottesglaube sollte doch nicht zersetzt werden können vom allgegenwärtigen Kirchen-Misstrauen und kirchlichen Scheitern!»

Mehr Gottesherrschaft leben

«Ist es überhaupt so», fragt Werbick, «dass Gott aus dem Tempel unserer prachtvollen Antworten ausgezogen ist und uns – weithin unerkannt und unerhört – mit der Frage belästigt: Was bedeuten dir die Antworten? Diese Frage entwaffnet die Antwort-Besitzer in den Kirchen. Gott ist ausgezogen aus dem, was wir von ihm wissen. Er klopft von draussen an, damit wir herauskommen, uns seinen Fragen draussen stellen, uns denen aussetzen, die zu viel haben von den wohlfeilen Antworten.»

Er ist offensichtlich da, «wo es nicht nach Gott aussieht», schlussfolgert Werbick: «Das ist schon für die ersten Christinnen und Christen die ebenso furchtbare wie beglückende Erfahrung gewesen, die ihnen das Kreuz Christi zumutete. Gott war in Christus da, der ihn abseits der religiösen Zentren lebte und dahin mitbrachte, wo man ihn vermisste.»

Es sei unfruchtbar, sich darüber zu streiten, ob man Gott braucht, ihn brauchen müsse, fährt Werbick fort: «Der Gott Jesu Christi ist nicht der, den man unabweisbar braucht. Am Kreuz hätte Jesus ihn ‘gebraucht’. Gott selbst liess ‘sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz’ (Bonhoeffer). Wo man ihn brauchen könnte, um zu überleben, hilft er nicht heraus. Brauchen lässt er sich nicht. Man muss ihn wagen. Ich müsste es wagen, mit ihm anders zu leben.» Die Verkündigung Jesu sagt: «Wir müssten es mit ihm wagen, Gottesherrschaft zu leben; draussen, da, wo das gute Leben auf dem Spiel steht.»

Gott wagen – Kirche wagen

«Dass Gott uns das ratlose Jetzt und das Suchen zumutet, das Hineingehen ins Unbekannte, in seine Zukunft, in sein Dasein: Das ist eigentlich Glaubens-selbstverständlich. Aber in einer Kirche, die im Entscheidenden immer schon alles Glaubens-Wichtige gewusst haben will und peinlich darauf achtet, dass aus dem ‘Reichtum’ ihrer Tradition nur nichts wegkommt, hört sich das befremdlich an. Sie scheut jedes Wagnis, möchte lieber im Vorgestern als im Jetzt leben: Bleiben wir unbeirrt bei dem, was Gott durch Christus für unsere Kirche für ewige Zeiten angeordnet hat! Es ist verblüffend, mit welcher Sicherheit man da weiss, was diese Anordnung alles umfasst. Aus der aufmerksamen Lektüre der Bibel kann sich diese Sicherheit kaum speisen. Da findet man etwa nur Spurenelemente einer Amtstheologie, die man heute für unabänderlich festgeschrieben hält. Und ganz viel anderes, was einem dabei in die Quere kommen könnte […] Wie kleinkariert denkt man eigentlich Gott und Vater Jesu Christi, wenn man ihm das Verbot unterschiebt, eine Kirche zu wagen, in der nicht nur Männer amtliche Verantwortung tragen! Aber die Kirchenkrise geht ja viel tiefer: Wie soll eine Kirche den Menschen das Wagnis Gottes bezeugen, wenn sie nichts wagt?»

Werbicks Fazit? «Eine Kirche, der man nicht ansieht, dass sie Gott sucht und wagt, zeigt sich den Menschen ratlos und geistlos, mit Antworten auf Fragen, die nur noch ‘Eingeweihten’ von Herzen kommen mögen. Gott suchen hiesse auch, die Menschen suchen, ihre Sehnsucht, ihr Fühlen, ihre Ängste, ihre Lust und Freude, ihre Not, ihren bösen und ihren guten Willen. Wenn man sie wirklich aufsuchen, wenn man das Mitsuchen und Mitfühlen mit ihnen wagen will, wird man sie finden und antreffen. Wird man mitten unter ihnen dem Herrn der Kirche begegnen.»

Sich jenseits der eingeübten Glaubensmuster neu auf Gott einlassen

Die übrigen Beiträge vertiefen diesen Aufschlag: Paul Deselaers biblisch-poetisches Plädoyer für die Würde des Fragens, Margareta Grubers biblisch-spirituelle Meditation über den Schrei Jesu und das Fehlen Gottes im Markus-Evangelium, Klaus Kleffners Erschliessung der als «dunkle Nacht» erlebten Erfahrungen der Abwesenheit Gottes in der spanischen Mystik oder Hans-Joachim Höhns kritische Überlegungen zu einer belanglos-trivialisierenden, ja, «zu Tode geglaubten», weil «ausgeliebten» Gottesverkündigung, wo doch Gott als der unerreichbare und insofern stets ferne, gerade so aber der weiteste Horizont eines Menschenlebens stark zu machen wäre. Stefan Walser macht dies für die Predigt fruchtbar, indem er einschärft, was den Unterschied macht: reden «in», nicht reden «über».

 

Stefan Walser (Hg.): Fehlt Gott? Eine Spurensuche, Grünewald Verlag: Ostfildern 2023, 152 S.

Academics for Future

 

Zur anregenden Lektüre für Tage der Musse sei auch der Band «Schöpfung und Ökologie» empfohlen, herausgegeben von Margit Wasmaier-Sailer und Michael Durst, erschienen im Frühjahr 2023[1].  Im 42. Band der Reihe «Theologische Berichte» haben Professor:innen und Lehrbeauftragte der Theologischen Fakultäten in Luzern und Chur angesichts der Klimakrise Texte verfasst, die den Beitrag der Kirche(n) zu einem nachhaltigen Lebensstil begründen und (neu) ausleuchten. Sie tun dies vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Disziplinen in Auseinandersetzung mit Schrift und Tradition.

 

 

Die Selbstbezeichnung und -verpflichtung, als «Academics for future» zu schreiben und zu arbeiten, entstammt dem letzten Beitrag des Buches. Sie bezieht sich dort auf die politische Brisanz des Themas «religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung (rBNE)»: Der geschützte Raum der akademischen Reflexion könne nur den ersten Schritt bezeichnen. «Im zweiten Schritt zielt rBNE konsequenterweise auf Protest und verändernde Taten. Das ist ganz im Sinne der ‘Academics for future’» (S. 230).

 

Der Alttestamentler Matthias Ederer (S. 21-48) deutet Ezechiels Vision vom Tempelstrom (Ez 47, 1-12) als eine von Gott initiierte grosse «Transformation» mit einer ökologischen und einer sozialen Dimension. In der Auslegung paulinischer Briefliteratur stellt der Neutestamentler Robert Vorholt Gottes Letztverantwortung für seine Schöpfung der menschlichen Selbstüberschätzung und damit auch Selbstüberforderung gegenüber (S.49-75). Aus judaistischer Perspektive betont Simon Erlanger den Aspekt von Gabe und Aufgabe der Schöpfung an den Menschen. Seine Verantwortung gegenüber der Schöpfung nehme der Mensch biblisch gesehen u.a. mit dem Halten des Gebots der Sabbatruhe wahr (S.76-85). In seinem Beitrag «Gott ist (bio)divers. Über die theologische Begründung der Biodiversität nach Thomas von Aquin» präsentiert Giovanni Ventimiglia als wichtigen Strang im Denken des Aquinaten die Deutung der Vielfalt der Geschöpfe als Spiegel göttlicher Güte und Vollkommenheit (S. 86-95).

 

«Let there be light. Zur Performativität der Schöpfung» – Der Artikel der Dogmatikerin Franca Spies steht in Spannung zu den vorher genannten Ansätzen, vor dem Hintergrund dezidiert ökofeministischen Denkens dekonstruiert sie – in Anlehnung an Judith Butler –  das göttliche Schöpfungshandeln in Gen 1,1-2,4a als performativen Akt eines mächtigen Subjekts. Stattdessen denkt sie ein Konzept von Schöpfung als sich wiederholender Prozess, «hier und jetzt». Am Schöpfungsprozess sind so auch nicht-göttliche und nicht-menschliche Akteur:innen beteiligt. (S. 96-121).

Einen neuen Ansatz bietet auch der Beitrag des Fundamentaltheologen Bernhard Fresacher «Die Materie der Schöpfung. Theologische Problemanzeigen». In Anlehnung an das Buch Hiob und an Joh 8,1-11 stellt er die «Erdhaftigkeit» des Menschen in den Vordergrund (Der Mensch ist selbst «Baum des Feldes»). Der Autor identifiziert die sogenannte «afarische» Wende in weisheitlicher Tradition (von hebr. afar: «lockere Ackerkrume», in der Aschermittwochsliturgie der Kirche auch mit «Staub» übersetzt) als den dritten Wendepunkt (nach der ökologischen Wende und der materialistischen Wende) auf dem ideengeschichtlichen Weg hin zu einer wirklichen ökologischen Theologie oder theologischen Ökologie auf Augenhöhe. (S. 122-156).

Mit «Klimagerechtigkeit und Menschenrechte» stellt der Sozialethiker Peter G. Kirchschläger die allgemeinen Menschenrechte als ethischen Referenzrahmen für die Verwirklichung der Klimagerechtigkeit vor. Eine Begründung des Klimaschutzes auf der Basis der Menschenrechte schliesse dabei die nicht-menschliche Welt keineswegs aus. Die transnationale, generationenübergreifende und überzeitliche Geltung der Menschenrechte ist unverzichtbar im Kampf gegen jedwede Diskriminierung. Interessant ist auch die Auseinandersetzung mit der Frage, ob es ein Menschrecht auf eine saubere Umwelt gebe (S. 175-199).

 

Zum Abschluss bieten Christian Cebulj, Christian Höger und Hildegard Scherer Impulse an aus einem interfakultären und interdisziplinären Seminar für eine religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung (rBNE) (S.203-230). Den Ausgangspunkt bildete die Auseinandersetzung mit Untersuchungen zur ökologischen Krise, es folgten die Identifikation von Handlungszielen in Anlehnung an die 17 «Sustainable Development Goals» SDGs der Agenda 20230 aus dem Jahr 2015 sowie die Arbeit mit sozialethischen Schriften zum Nachhaltigkeitsbegriff, zur katholischen Soziallehre und zu motivationalen Faktoren. Für Katrin Bederna formuliere die «Visionsorientierung» als eine besondere Kompetenz des christlich-religiösen Beitrages an Bildung für nachhaltige Entwicklung, da sie pädagogisch die «Auseinandersetzung mit bestimmten Visionen (Schöpfung als Vision von Gerechtigkeit; Reich Gottes) und bestimmten Vorbildern (für die z. B. Suffizienz Gestalt der Nachfolge Jesu ist)» fruchtbar mache und dadurch Gestaltungskompetenz fördere[2].

Aus bibeltheologischer Perspektive erfolgte die Auseinandersetzung mit dem Gestaltungsauftrag und dem vermeintlichen Herrschaftsauftrag. Auch hier wird die Sabbatruhe gemäss der Schöpfungserzählungen als Möglichkeit zu umfassender Regeneration betrachtet.

 

Im Schulkontext der Schweiz werde die Leitidee der Bildung für nachhaltige Entwicklung BNE im «Lehrplan 21» in sieben überfachlichen Themen gefördert: 1. Politik, Demokratie und Menschenrechte, 2. Natürliche Umwelt und Ressourcen, 3. Geschlechter und Gleichstellung, 4. Gesundheut, 5. Globale Entwicklung und Frieden, 6. Kulturelle Identität und interkulturelle Verständigung, 7. Wirtschaft und Konsum. Diese Auswahl basiere einerseits auf bestehenden Bildungskonzepten und folge anderseits den Schlüsselthemen der UNO-Dekade «Bildung für Nachhaltige Entwicklung 2005-2014» sowie neueren Konzepten. Mit der überfachlichen Neuausrichtung soll gleichzeitig das vernetzte Denken gefördert der Kinder und Jugendlichen werden. Bei der Umsetzung der überfachlichen Themen kommt dem Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft ERG besondere Bedeutung zu.

Im Hinblick auf die Verankerung von (r)BNE bei Kindern und Jugendlichen kann der (konfessionelle) Religionsunterricht mit seiner «Visionsorientierung» ergänzend und weiterführend dazu beitragen, die Orientierung an einer erwünschten, hoffnungsvollen und lebenswerten Zukunft in didaktische Lernschritte für nachhaltiges Lernen umzusetzen. In der Beschäftigung mit biblischen Geschichten und deren visionären Potential, in der Auseinandersetzung mit Schöpfungstheologie, Umwelt- und Sozialethik sollte «Nachhaltigkeit» als Handlungsprinzip die logische Konsequenz sein. Anschliessend an schon länger existierende Konzepte unter den Leitbegriffen «Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung» identifizieren die Autor:innen «Bildung für nachhaltige Entwicklung» als genuines Bildungsziel christlicher Religion.

Dorothee Foitzik

 

[1] Margit Wasmaier-Sailer / Michael Durst (Hg.) Schöpfung und Ökologie, Freiburg im Breisgau (Herder) 2023

[2] Katrin Bederna: Didaktik religiöser Bildung für nachhaltige Entwicklung, in: Ulrich Kropac / Ulrich Riegel (Hg.): Handbuch Religionsdidaktik (Kohlhammer-Studienbücher Theologie 25), Stuttgart 202, 325, zitiert S. 214)

 

Den Übernächsten lieben wie sich selbst

 

Die Nächstenliebe gehört zur DNA von Christinnen und Christen. Angesichts der Klimakrise braucht es jedoch das Prinzip der „Übernächstenliebe“, das auch künftige Generationen und die Mitwelt einbezieht. Der erste Band in der Reihe «ZürcherZeitZeitzeichen» mit dem Titel «Von Kloster bis Kommune. Gemeinsam nachhaltig leben» ist der „Nachhaltigkeit“ als Handlungsprinzip im Leben der Kirche gewidmet.

 

«Liebe deinen Übernächsten wie dich selbst» wird Kirchenratspräsidentin Martina Tapernoux zitiert. An der Synode der evangelisch-reformierten Landeskirche beider Appenzell im Juni 2023 habe sie mit dem Begriff der «Übernächstenliebe» die Verpflichtung bezeichnet, bei allen Planungen auch an künftige Generationen zu denken. «Übernächstenliebe», gedacht in einer vertikalen (generationenübergreifenden) Dimension und in einer horizontalen ökologischen Dimension (Einbezug aller Lebewesen und Ökosysteme) korrespondiert mit einem nachhaltigen Lebensstil.

 

 

Von Kloster bis Kommune. Gemeinsam nachhaltig leben 

Einen Beitrag der Kirche(n) zu einem nachhaltigen Lebensstil will der erste Band in der Reihe «ZürcherZeitZeichen» leisten. Der Sammelband mit dem programmatischen Titel «Von Kloster bis Kommune. Gemeinsam nachhaltig leben» herausgegeben von der Katholischen Kirche im Kanton Zürich[1], verweist einerseits auf Spuren nachhaltigen Lebens in traditionsbewährten kommunitären Lebensformen innerhalb der Kirche, im gemeinsamen Gebet und in der Stille, im Pilgern, in der Gütergemeinschaft, im gemeinsamen Arbeiten und Feiern. Anderseits werden Ansätze nachhaltigen Lebens aufgezeigt in innovativen zeitgenössischen Projekten des Zusammenlebens, im Engagement für soziale Gerechtigkeit, in der Armutsbekämpfung und im Engagement für Geschlechtergerechtigkeit. Einige Unternehmungen liegen ausserhalb der Kirche(n), andernorts werden die Grenzen kirchlicher Gemeinschaft bewusst überschritten, man bleibt nicht unter sich. Zwei Berichte verweisen auf eine produktive Zusammenarbeit mit Vertreter:innen der «Klimajugend» – beim Engagement für Nachhaltigkeit zusammenwirken, ohne einander zu vereinnahmen. Neben theologisch-fundierten Artikeln dienen Einblicke in die beiden Enzykliken von Papst Franziskus, «Laudato si’» und «Fratelli tutti» als Referenzrahmen des kirchlichen Handelns.

 

In der Einführung nennt der Herausgeber Detlef Hecking, aktuell Pastoralverantwortlicher des Bistums Basel, die Koordinaten einer «Nachhaltigkeits-Praxis zwischen UNO-Entwicklungszielen, Laudato si’ und persönlichen Lebensformen». Das Buch nimmt verschiedene Praxisansätze in den Blick, die als Denkanstösse für die eigene Lebensführung dienen können. Hecking hat dazu Gespräche geführt mit Menschen, die in Klöstern und spirituell ausgerichteten Gemeinschaften einen nachhaltigen Lebensstil führen. Er hat Menschen um Berichte gebeten, die in verschiedenen Genossenschaften und Lebensgemeinschaften eine nachhaltige Lebensweise praktizieren. In den Begriff des nachhaltigen Lebens und Handelns fliessen Aspekte der sozialen Gerechtigkeit und der Partizipation sowie der Bekämpfung von Hunger und Armut mit ein, Hinwendung nicht nur zum Nächsten, sondern auch zur  «Übernächsten» im Lebensraum.

Die zentralen Themen der Enzyklika «Laudato si’» von Papst Franziskus (2015) hat Detlef Hecking herausgearbeitet und in den facettenreichen Zusammenhang der «Nachhaltigkeit» gestellt. Er verweist darauf, dass die häufig erwähnte Enzyklika «Laudato si’» weit mehr sei als eine Umwelt-Enzyklika. Vielmehr umfasse sie die Sorge um «Mutter Erde», um das gemeinsame Haus aller Lebewesen und der Natur (S. 141-159).

 

Unter dem Titel «Wir könnten anders!»[2] nimmt der dreiteilige Band im ersten Kapitel nachhaltige Perspektiven aus der Bibel (Hildegard Scherer, Gedankenanstösse zum Mass des Notwendigen aus der biblischen Tradition, S. 19-29), aus der Kirchengeschichte (Gregor Emmenegger, Alternative christliche Lebensformen im Wandel der Zeit, S. 31-48) und der kirchlichen Soziallehre (Noemi Honegger, Nachhaltigkeitskonzepte in der kirchlichen Sozialverkündigung von Leo XIII. bis Papst Franziskus, S. 49-63) in den Blick. Priorin Irene Gassmann OSB, ist überzeugt, im Kloster Fahr wie in anderen Klöstern habe man schon nachhaltig gelebt, bevor man das Wort Nachhaltigkeit kannte (S. 64-71).

 

Was wir von christlichen Gemeinschaftsformen in Sachen Nachhaltigkeit lernen können

Das umfangreiche zweite Kapitel ist verschiedenen Ansätzen des «Anders zusammenleben» gewidmet, so der Titel (S. 73-138). Der Begriff der Nachhaltigkeit wird ausgefächert in Geschwisterlichkeit, soziale Freundschaft und Bekämpfung der Armut. Br. Niklaus Kuster OFMCap verweist auf die Vision einer geschwisterlichen Welt, die Papst Franziskus in seiner Enzyklika «Fratelli tutti» dargelegt habe (S. 75-80).

Im Interview mit der Philosophin, Geschlechterforscherin und Redakteurin Geneva Moser, «Warum reicht es nicht, dass es genügt?» (S. 126-138) treten interessante Verbindungen (aber auch Abgrenzungen) zwischen schöpfungstheologisch begründeten nachhaltigen Traditionen klösterlichen Lebens und aktuellen Innovationen zu Tage, besonders angesichts des «westlichen» Lebensstils und Wirtschaftens. Moser kennt das Wohnen in überfamiliären gemeinschaftlichen Wohnformen, sie ist verankert im Denken des Ökofeminismus und des Sozialismus. Nach ihrem Eintritt in die Benediktinerinnen-Abtei St. Hildegard in Eibingen (D) teilt sie Leben, Arbeiten, spirituelle Suche und (Stunden-)Gebet in der klösterlichen Gemeinschaft. Für sie hat «nachhaltig leben» auch mit Verzicht zu tun, die Haltung der Suffizienz reiche nicht aus, um einen nachhaltigen Wandel herbeizuführen. Im Hinblick auf ein nachhaltiges Leben und Wirtschaften plädiert sie zudem für den Einbezug indigener Stimmen.

 

Das dritte Kapitel hat die «Ökologische Umkehr» in den Kirchen und in der Umweltpolitik angesichts des Klimawandels zum Gegenstand. Einen neuen Ansatz für eine nachhaltige Schweizer Klimapolitik bieten beispielsweise Stefan Salzmann und Roman Bolliger (S. 161-168).

Selbstredend kommt im «ZürcherZeitZeichen» auch das Zürcher Projekt für mehr Nachhaltigkeit in der katholischen Kirche zur Darstellung: Das «Zürcher Modell» wird von den Verantwortlichen, Daniel Otth, Susanne Brauer und Kevin Ischi vorgestellt (S. 169 -176). Auf der Website der Katholischen Kirche im Kanton Zürich finden Interessierte zahlreiche Informationen zu den Aktivitäten im Rahmen der Strategie «Nachhaltig Kirche leben».

 

Der Beitrag von Jürg Liechti-Möri schlägt die Brücke zu einer anderen theologisch-kirchlichen Publikation. «Wake up: Es brennt! Ca chauffe!» ist ein Bericht über die Kooperation von Klimaaktivist:innen und Kirchgemeinden, begonnen am Pfingstfest 2020 (S. 177-180). Dieser Text erschien bereits im Jahr 2021, in der Publikation «Gott in der Klimakrise. Herausforderungen für Theologie und Kirche», herausgegeben von David Plüss und Sabine Scheuter[3]. Die Buchreihe «denkMal» ist ein Gemeinschaftsprojekt der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich und der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn mit dem Ziel, zu aktuellen Themen in Theologie und Kirche das Gespräch zwischen Wissenschaft und Praxis zu suchen.

Den ersten Band der Reihe «ZürcherZeitZeichen» beschliesst ein Gespräch mit dem Kapuziner Br. Niklaus Kuster OFMCap, aktuell im Kapuzinerkloster Rapperswil lebend. Das Kloster Rapperswil versteht sich als «Kloster zum Mitleben». Während 30 Wochen im Jahr können Menschen in unterschiedlicher Intensität und Dauer das Leben der Gemeinschaft teilen. Aktuell bilden sechs Brüder und eine reformierte Pfarrerin diese Gemeinschaft.

Kuster verweist auf das Leitbild der Kapuziner, auf Franz von Assisi, der schon ein Pionier gewesen sei, bevor es ökologische Diskussionen gab. «Wir sind ein Teil der einen Erde, und wenn wir ihr nicht Sorge tragen, dann fällt das auf uns und auf die nächsten Generationen zurück» (191). Das sei auch das Bild, das Papst Franziskus verwende: «Die Welt, die Schöpfung ist das eine, gemeinsame Haus, in dem alle atmen und gut leben können sollen – nicht nur alle Menschen, sondern auch alle Lebewesen, die mit uns zu dieser Mitwelt gehören» (ebd.). Auch hier ist «Liebe deine Übernächste wie dich selbst» sowohl in der vertikalen als auch in der horizontalen Dimension zu verstehen.

 

Das Buch ist empfehlenswert als impulsgebende Lektüre für Tage der Musse. Musse, die Raum für das «Übernützliche» schafft, die Kräfte sammeln lässt für Neuorientierung und neues Engagement. Die Beiträge sind anschaulich geschrieben, sowohl die theologischen Grundlagentexte als auch die Berichte. Die lebendigen Interviews mit Gesprächspartner:innen aus verschiedenen Gemeinschaften, Initiativen und Genossenschaften erleichtern es der Leserin und dem Leser, den eigenen Begriff (weiter)zu entwickeln: «Wir können auch anders!»

Dorothee Foitzik

 

[1] Von Kloster bis Kommune. Gemeinsam nachhaltig leben. Im Auftrag der Katholischen Kirche im Kanton Zürich herausgegeben von Detlef Hecking, Zürich (TVZ) 2023

[2] Vgl. Maja Göpel: Wir können auch anders! Aufbruch in die Welt von morgen. Berlin 2022

[3]David Plüss / Sabine Scheuter (Hg.) Gott in der Klimakrise. Herausforderungen für Theologie und Kirche, Zürich (TVZ) 2021

Religion, Poesie und Bildung

 

TBI-Tagung am 28. Mai 2024, 13.30–20.00 Uhr Veranstaltungszentrum Paulus Akademie, Zürich

Der Dichter und Theologe Christian Lehnert sowie die schweizerisch-deutsche Spoken-Word-Poetin Nora Gomringer eröffnen neue zeitgenössische Zugänge zu Religion und Poesie. Im Blick auf die Gottesfrage und die Suche nach spiritueller Erfahrung vermittelt die Tagung zeit- und kultursensible Impulse für die theologisch-pastorale Bildung.

 

13.00 Uhr           Ankommen

13.30 Uhr           Begrüssung

13.45 Uhr           Flügelschläge. Gott im Schweigen – Gott in der Poesie

Eröffnungsreferat Dr. Christian Lehnert

 

15.30 Uhr           Brücken zur theologisch-pastoralen Bildung

Dr. Christoph Gellner, Dorothee Foitzik, Dr. Michael Hartlieb (TBI)

Vertiefung in 4 Ateliers (Lehnert/Gellner/Foitzik/Hartlieb)

 

17.30 Uhr           Spoken Word(s): Gedichte und Sprechtexte von Nora Gomringer

Religiös-Spirituelles mit spielerischem Witz und hintergründigem Ernst, zwischen freimütigem Bekenntnis, zweifelnden Fragen und neuer Nachdenklichkeit

Lesung, Vortrag und Gespräch, Moderation: Dr. Christoph Gellner

19.00 Uhr           Apéro

 

 

Detailinformationen und Anmeldung ab 20. Juli 2023 auf der TBI-Website

 
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